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Abschiebepolizisten verprügelt

Widerstand und Kollaboration in der Migrationspolitik Guineas

Conni Gunßer

Sechs französische Polizisten wurden in Guineas Hauptstadt Conakry am Flughafen verprügelt, als sie zwei aus Frankreich deportierte Guineer ablieferten. »Wir erhielten eine Menge Schläge von den beiden Abgeschobenen, einigen Passagieren sowie von zwei Polizisten«, hieß es in einem französischen Polizeibericht über den Vorfall, der sich am 16. August 2007 zugetragen haben soll. Dem Bericht zufolge hatten Passagiere, die über Misshandlungen der Abgeschobenen empört waren, per Handy ein »Empfangskomitee« am Flughafen organisiert. Hinterher seien die Franzosen auf einer Polizeiwache beschimpft worden, und beim Sicherheitscheck zum Rückflug habe eine Beamtin ihnen gesagt: »Ihr Barbaren. Die Kolonialzeit ist vorbei.«1

Welche Hintergründe hat dieser Vorfall? Im folgenden Artikel sollen die Zusammenhänge mit den jüngsten Entwicklungen im westafrikanischen Guinea und der EU-Migrationspolitik, insbesondere den Machenschaften französischer und deutscher Abschiebebehörden, untersucht werden.

Diplomatische Kontroversen

Der Vorfall selbst löste heftige Kontroversen auf Regierungsebene aus. Am 23. August 2007 stand in einem Artikel auf guineenews.org, die guineische Regierung habe sich nicht entschuldigt, sondern nur ihr Bedauern ausgedrückt, sich aber auch beklagt, dass Frankreich als einziges Land Abschiebungen nach Guinea durchführe, ohne die dortige Regierung im voraus darüber zu informieren. Am 25. August hieß es auf africatime.com, die guineischen Behörden würden dementieren, dass einige ihrer Polizisten an den Handgreiflichkeiten auf dem Flughafen von Conakry beteiligt waren und hätten eine Untersuchung dazu eingeleitet. Guinea wolle auch Aufklärung über die Bedingungen während des Fluges, da die abgeschobenen Guineer Spuren von Gewaltanwendung aufwiesen.
Drei Tage später, am 28. August traf sich Brice Hortefeux, französischer Minister für »Einwanderung, nationale Identität und Entwicklung«, mit dem guineischen Premierminister Lansana Kouyaté. Neben Erörterung von Fragen der Entwicklungspolitik habe Hortefeux von Kouyaté eine Erklärung zu der »Misshandlung« der sechs französischen Polizisten am Flughafen Conakry gefordert. Kouyaté habe versichert, dass die guineischen Polizisten sich keinesfalls gegen ihre französischen Kollegen gewandt, sondern im Gegenteil diese in Sicherheit gebracht hätten, nachdem schockierte Passagiere den Abgeschobenen geholfen hatten, sich gegen sechs Polizisten zu wehren, die sie ohne Information der guineischen Regierung, also »heimlich«, um 4 Uhr morgens auf dem Flughafen abgeliefert hatten. Hortefeux nahm diese Erklärungen positiv auf und bedauerte seinerseits, dass Guinea nicht ordnungsgemäß informiert wurde. Künftig sollten die Rückführungen besser koordiniert werden. Kouyaté habe angekündigt, dass der guineische Außenminister demnächst zur Unterzeichnung eines Abkommens nach Frankreich reisen werde.2

Vorangegangen waren Auseinandersetzungen über einen seit dem 15. Juni 2007 andauernden Hungerstreik von zirka 60 Sans Papiers in Lille und ähnliche Aktionen in Rennes und Toulouse.
Auch die beiden Abgeschobenen gehörten zu diesen Sans Papiers. Der französische Einwanderungsminister hatte am 13. August 2007 den zuständigen Konsul der guineischen Botschaft zu einem Gespräch einbestellt und ihn aufgefordert, mit Hilfe eines nach Lille geschickten Dorfältesten die guineischen sans papiers zur Beendigung ihres Hungerstreiks zu bewegen. GuineerInnen aus einer bestimmten Region seien die Rädelsführer von Aktionen gegen die Regierung von Sarkozy. Wenn dies nicht beendet werde, gäbe es keine Visa und keine Legalisierungen mehr für GuineerInnen.3 Am 30. August wurde nach Aushandlung eines Kompromisses der Abbruch des Hungerstreiks in Lille gemeldet.

Entwicklungen in Guinea

Die aktuellen Auseinandersetzungen müssen im Zusammenhang mit der Geschichte Guineas und den politischen Entwicklungen seit Jahresbeginn gesehen werden. Guinea wurde 1958 als erstes westafrikanisches Land von Frankreich unabhängig und wandte sich unter Präsident Sekou Touré scharf von der ehemaligen Kolonialmacht ab und dem »sozialistischen Lager« zu. Nach Sekou Tourés Tod 1984 gelangte durch einen Militärputsch Lansana Conté an die Macht, der sich in fragwürdigen Wahlen als Präsident bestätigen ließ. Unter seiner Herrschaft öffnete sich Guinea dem Westen und entwickelte sich trotz (oder gerade wegen?) seines Rohstoffreichtums (unter anderem Bauxit) zu einem der ärmsten und korruptesten Länder der Welt. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung fand zum einen in zunehmender Auswanderung, zum andern in einer traditionell starken und inzwischen auch politisch oppositionellen Gewerkschaftsbewegung ihren Ausdruck.

Am 10. Januar 2007 wurde in Guinea ein Generalstreik ausgerufen, der im ganzen Land zu einer Bewegung anwuchs, der es nicht nur um ökonomische Forderungen (zum Beispiel Preissenkungen für Grundnahrungsmittel), sondern auch um den Rücktritt des Präsidenten und die Bildung einer neuen Regierung ging. Präsident Conté antwortete am 09. Februar mit der Verhängung des Kriegsrechts, und auf Demonstrationen und bei willkürlichen Hausdurchsuchungen wurden zirka 150 Menschen getötet und Tausende verletzt. Durch Vermittlung der Economic Community of West African States, ECOWAS wurde Ende Februar ein neuer Premierminister, Lansana Kouyaté, ernannt, der auf einer von den Gewerkschaften ausgearbeiteten Liste stand. Er versprach eine Neubesetzung der Funktionärskader, Preissenkungen und eine Verbesserung der Wasser- und Stromversorgung. Präsident Lansana Conté blieb jedoch im Amt, gestützt vor allem auf Teile des Militärs.
Weltbank, EU-Kommission und andere Geldgeber sagten 90 Millionen Dollar für Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und Armutsbekämpfung zu, und der IWF sprach von sichtbaren Fortschritten seit Kouyatés Regierungsübernahme.4 Anfang Juli zog die außerparlamentarische Opposition jedoch eine vernichtende Bilanz der neuen Regierung. Zusagen wurden nicht erfüllt, und die Gewerkschaften schließen für den Herbst weitere Streiks nicht aus. Dabei geht es auch um Korruption und die Besetzung von Posten in der Verwaltung.

Dubiose Delegationen und korrupte Beamte

Ein Beispiel für Korruption und Kollaboration Staatsbediensteter mit europäischen Abschiebebehörden sind die Besuche dubioser Delegationen aus Guinea, die seit 2005 in Deutschland (Hamburg, Braunschweig, Dortmund), der Schweiz, Frankreich, auf den Kanarischen Inseln und wahrscheinlich auch in weiteren EU-Ländern stattfanden und meist von Protesten begleitet waren. Zweck der Reise von jeweils vier hohen BeamtInnen des guineischen Innen- und Außenministeriums: »Identifizierung« afrikanischer Flüchtlinge als guineische Staatsangehörige und Ausstellung von Papieren für die Abschiebung. Eigentlich ist dies Aufgabe der Botschaft, aber da die diplomatischen Vertretungen Guineas nicht genug »Kooperationsbereitschaft« zeigten, sprich: nicht jedem afrikanischen Flüchtling, den europäische Behörden zum Guineer erklärten, entsprechende Papiere ausstellten, wurden für einiges an Geld (neben Reisekosten gab es pro Person Tagegelder von 100 Euro und »Gebühren« pro Reisepapier in unbekannter Höhe) willige Staatsbedienstete aus Guinea eingeflogen und Hunderte von AfrikanerInnen zu »Interviews« in die Ausländerbehörden vorgeladen.
Pikanterweise stellte sich beim dritten Besuch der Delegation in Deutschland heraus, dass ihr Leiter, Herr N’Faly Keita, leitender Beamter der Visaabteilung im guineischen Außenministerium, sich auch als so genannter »Schleuser« betätigt und ausreisewilligen GuineerInnen für horrende Beträge Visa und Flugtickets nach Europa besorgt hatte. Nach Zeugenaussagen betroffener Flüchtlinge ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund seit gut einem Jahr in dieser Angelegenheit. Herr Keita war beim jüngsten Delegationsbesuch in Braunschweig nicht mehr dabei. Meldungen aus Guinea zufolge soll er inzwischen seinen Posten in der Visaabteilung verloren haben. Neuer Delegationsleiter war im Juli 2007 Ousmane Diao Balde, Keitas (ehemaliger) Vorgesetzter. Er soll auch mit dem Bundesinnenministerium über ein Rückübernahmeabkommen verhandeln, tauchte allerdings entgegen den Ankündigungen nicht in Deutschland auf. Aufgrund von Protesten betroffener GuineerInnen und einer Oppositionspartei erklärte das guineische Außenministerium in einem Communiqué vom 01. August 2007 (einen Tag vor der Beendigung der Anhörungen in Braunschweig) den Stopp jeder Mission zur Identifizierung und Abschiebung. Vorher müsse ein Abkommen abgeschlossen werden, das die Sorgen Guineas berücksichtige. Ob das nun heißt, dass die bereits ausgestellten Abschiebepapiere keine Gültigkeit haben, ist fraglich.

In der Schweiz hat sich die dubiose Delegation im November 2006 betätigt. Außerdem sollen die für die Schweiz zuständigen Mitarbeiter der guineischen Botschaft in Paris mit Hilfe von Herrn Keita bestimmten Schweizer Kantonen Blankopapiere zur Abschiebung guineischer Flüchtlinge verkauft haben.5 Als Folge dieser Dienstleistungen verlässt monatlich ein Abschiebecharter mit fünf bis sieben angeblichen GuineerInnen die Schweiz Richtung Conakry. Die Zahl der aus der Schweiz abgeschobenen GuineerInnen hat sich gegenüber 2004 auf 53 vervierfacht, zehnmal so viele sind untergetaucht.6

Nicht verwunderlich ist, dass einige der Abschiebeflieger Zwischenlandung auf den Kanarischen Inseln machen, und auch von dort wurde von Besuchen einer Delegation aus Guinea berichtet. Auch in Afrika selbst hat die guineische Regierung ihre Dienste als Abschiebehelfer angeboten: Anfang Februar 2007 gab es zum Beispiel Streit um die Aufnahme von zirka 400 Flüchtlingen von einem auf dem Weg zu den Kanaren in Seenot geratenen Frachter namens »Marine I«. Nach etlichem Hin und Her wurde er nach Mauretanien geschleppt – unter der Bedingung, dass die Flüchtlinge von dort mit spanischer Finanzhilfe sofort abgeschoben werden. Nach der Weigerung anderer Länder akzeptierte der guineische Präsident, der gerade dringend Geld brauchte, um eine Meuterei des Militärs abzuwenden, die afrikanischen Flüchtlinge und steckte sie in Guinea in ein Lager. Auch Ende März ließ er ein von Frontex-Booten gestopptes Schiff mit 350 asiatischen Flüchtlingen in den Hafen von Conakry schicken, da es angeblich von dort ausgelaufen sei. EU-Justizkommissar Frattini sprach in einem Interview der FAZ vom 29. März 2007 der guineischen Regierung für ihre Abschiebehilfe ein großes Lob aus: »Guinea hat dabei bisher einen positiven Geist der Kooperation gezeigt.«

Migration als umkämpftes Terrain

All diese Vorfälle zeigen, dass Migration ein Bereich ist, in dem widersprüchliche Interessen eine Rolle spielen: Zuerst natürlich das berechtigte Interesse der Flüchtlinge und MigrantInnen, selbst entscheiden zu können, wohin sie gehen, um in Sicherheit leben und Geld nach Hause schicken zu können. Interesse an den Rücküberweisungen (die inzwischen weltweit offiziell fast das Dreifache der »Entwicklungshilfe« ausmachen) haben jedoch nicht nur die Familien der MigrantInnen, sondern ebenfalls die Regierungen der Herkunftsländer, denn sonst müssten sie sehr viel mehr soziale Unruhen fürchten – oder Ernährung, Schulbesuch, Gesundheitsversorgung etc. der Mehrheit ihrer Bevölkerung auf andere Weise finanzieren.

Nicht zuletzt haben auch korrupte Staatsbedienstete ein Interesse an Migration, vom Leiter der Visaabteilung bis zum Polizisten am Flughafen, der für entsprechendes Geld Ausreisewillige passieren lässt. Dem stehen die Interessen von Regierungs- und Verwaltungsmitgliedern an Geldern entgegen, die europäische Regierungen für Rückübernahmeabkommen und entsprechende Dienstleistungen bei Abschiebungen zahlen. In den EU-Ländern gibt es nicht nur das Interesse der Regierungen, sich unerwünschter Flüchtlinge zu entledigen, sondern auch das bestimmter Wirtschaftszweige an rechtlosen und damit optimal ausbeutbaren Arbeitskräften. Welche Interessen sich jeweils durchsetzen, hängt nicht zuletzt von politischen Kämpfen ab – zum Beispiel von Opposition und Gewerkschaften im Herkunftsland, aber auch von Flüchtlingen, MigrantInnen und ihren UnterstützerInnen in den Zielländern der Migration. Und hier bleibt noch einiges zu tun.‹›

Anmerkungen:

1 die tageszeitung, 24. August 2007 

2 Internet: http://fr.allafrica.com/stories/200708290441.html

3 Internet: http://collectif28sansp.canalblog.com/archives/2007/08/23/5976274.html

4 IRIN, 26. Juli 2007 

5 http://guineenews.org, 25. Juli 2007 

6 http://www.antidot.ch, Dezember 2006

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