In Science Fiction wird Zukunft entworfen. Doch Menschen machen Geschichte nicht nur fiktional. Sie machen sie mal mehr oder weniger folgenreich. Mal ist es ein Traum, der Wirklichkeit wird, ein anderes Mal ein Alptraum. Nachdem wir mit der ZAG zu einem Ende gekommen sind, stellt sich für uns die Frage, was machen wir weiterhin. Jahrelang hat uns dieser Termin in der Redaktion, die Arbeit an der Zeitschrift immer wieder zusammengeführt. Wir haben über den Zustand der Welt geredet, wir haben mit ihr und uns gehadert und manchmal auch auf uns und euch angestoßen. Aber was bringt die Zukunft? Und was macht die Linke ohne die ZAG?
Star Trek ist eine dieser Geschichten, die einen utopischen Gehalt haben. Die Menschheit verträgt sich mit dem Rest der Galaxis, es gibt kein Geld und keine Armut mehr. Bedauerlicherweise sind fast alle Lebensbereiche durchmilitarisiert. Uns hingegen fehlt bei Star Trek der kollektive Anspruch, die Gleichheit, Freiheit und demokratische Willensbildung. Irgendwie der Geist von Arbeiter*innenräten. Falls das mit Star Trek einmal wahr werden sollte, dann bitte als solidarische Gesellschaft mit Kontrolle der Produktionsmittel. Keine Grenzen, weder auf der Erde noch im Weltall, keine Staaten, keine Nationen.
Vielleicht hilft es aber bereits Bautzen nach Polen zu verlegen und andere Orte, die durch faschistische Umtriebe auffallen, ins Universum zu verlagern. Dann wäre Ruhe. Die Nazis könnten Nazis sein, sich gegenseitig erschlagen und stressen – und wir könnten das Glück in vollen Zügen genießen. Ein Vorschlag, der nicht so neu ist. Dutschke schlug vor, dass die Kapitalist*innen ja alle in die Schweiz ziehen und dort nach ihren Vorstellungen leben könnten. Unter der Bedingung, dass sie unseren Verein der Freien und Gleichen in Ruhe machen lassen. Nun wollen wir der Bevölkerung in der Schweiz oder Polen nichts Böses, aber ein Land für jede Perversion – Rassismus, Faschismus und Antisemitismus? Darüber sollte vielleicht wieder nachgedacht werden.
Nur ist es so, dass die Allgemeinheit aka Pöbel keine Vorstellung von einem freien und gleichberechtigten Leben hat. Sie wählt nicht mal links; wäre aber auch zu schön; ein paar Probleme wären kleiner, wie z. B. die AfD. Die gäbe es dann gar nicht. Um dahin zu kommen, braucht es vielleicht eine andere Linke, eine pöbeligere Linke? Also nicht falsch verstehen, es geht um pöbeln, nicht um den Pöbel. Das wäre cool, einfach mal gerade heraus, dass das mit der Ausbeutung schlecht ist, und dann eben keinen Hummer oder Kaviar essen. Nicht dass wir das irgendwem nicht gönnen würden, aber den Gegner nicht mehr Gegner zu nennen, ist nicht cool. Also einfach mal die Losung von Habermas umsetzen, es geht um Klarheit, Wahrheit und Wahrhaftigkeit nicht nur beim herrschaftsfreien diskutieren, sondern auch beim Schreiben oder auf der Demo.
Häufig bauen sich ängstliche Leute, an der Schwäche anderer auf oder rufen den großen Bruder oder die große Schwester. Die regeln es dann. Die anderen werden gebraucht, um sie abwerten zu können. Die anderen werden gebraucht, um sich den anderen nicht selbst stellen zu müssen. Das ist selbstverständlich eine traurige Vorstellung gemeinsamen Lebens auf dieser Welt. Unsere fröhliche Utopie fordert geradezu Offenheit gegenüber anderen und die Anerkennung unserer unendlichen Bedürfnisse. Wir haben Interessen, die wir selbst vertreten müssen, für die wir einstehen. Da hilft kein Gott und kein Tribun.
Nun hatten wir noch kürzlich festgestellt, dass Religion und Staat eine ungünstige Verbindung darstellen. Eine Verbindung, die ein paar Jahrtausende in den verschiedenen Reichen, Staaten und Herrschaftsgebieten gehalten hat, aber individueller Autonomie und gesellschaftlicher Emanzipation nicht förderlich waren. Ein säkularer Staat, wo Religion eine private Angelegenheit ist, ist eine Errungenschaft, die wir auf dem Weg in eine bessere Gesellschaft, nicht missen möchten. Und doch laden Menschen ihren Rassismus mit religiöser Intoleranz auf und rufen den Staat herbei, wenn ihre ach so religiösen Gefühle verletzt werden. Daher: keine Kreuze in der Schule, in Behörden, keine Bevorzugung religiöser Gemeinschaften – es wäre so viel klarer.
Es ist genug für alle da. Weshalb also nicht glücklich leben? Umverteilung des Reichtums, von oben nach unten – nicht von unten nach oben – scheint doch keine schwierige Sache zu sein. Dass Bankiers einmal im Gefängnis landen, ist so unwahrscheinlich, wie die Tatsache, dass Fußballmanager ihre Strafe absitzen müssen. Die Gefängnisse müssten voll sein von reichen Leuten. Weshalb trifft es sie so selten? Herrschaft ist ein finanzielles, ein wirtschaftliches Phänomen. Es ist also schwieriger als gedacht. Neben der Verteilung sind da ja noch Produktion und Konsum von Waren, der ganze Kladderadatsch kapitalistischer Verhältnisse und dann noch die alltäglichen Ungerechtigkeiten, die wir uns gegenseitig antun. Die Konkurrenz der ganz Normalen um das kleine Sonnenfleckchen, in dem sie sich in den Spiegelungen des Reichtums ihr Herz wärmen können. Arme Leute Sonne. Das unterscheidet Illusionen von konkreten Utopien. Wir wollen einfach alles für alle, weil alles vorhanden ist.
Aber vielleicht bleiben dann immer noch Wünsche offen, hat doch wieder eine mehr als der andere. Dann wird Krieg geführt. Krieg ist nicht gut für die Gesundheit. Dass nicht auf jeder Waffe stehen muss: „Achtung. Die Benutzung dieser Waffe kann das Leben anderer gefährden“. Hier bleibt die EU hinter unseren Erwartungen zurück. Stattdessen treten wir für die Aufhebung der NATO ein. Sie ist nicht gerade eine Friedensmaschine. Aktuelles Beispiel ist der Einmarsch der Türkei in Syrien und ein paar andere Stellvertreterkriege. Der ewige Frieden – auch so ein Star Trek Thema – hängt eng mit der Emanzipation des Menschen zusammen. Bis es soweit ist: einfach mal nicht den III. Weltkrieg anfangen. Und ganz kurz: keinen Rassismus, keine Rassist*innen.
Im Gegensatz zu Star Trek enthält Star Wars die Legende vom Kampf von Gut und Böse, neben dem ödipalen Gedöns. Die dunkle Macht und die gute Macht – und eine omnipräsente, unendliche Kraft, die mit jemandem sei. Ungefähr so ist es mit Rassismus (dass wir auf dieses Thema stets zurückkommen ;). Nur, dass Rassismus keine Naturkonstante ist. Deshalb steht nicht die Natur im Wege, sondern Menschen, Organisationen und Institutionen, die unsere Interessen und Wünsche nicht teilen. Nicht das unendlich Böse, sondern höchstens die Dummheit. Denn merke: dumm sind immer die anderen. Zumindest sind sie nicht selbstironisch.
Die AfD ist eine rassistische Partei. An ihr lässt sich beobachten, wie anschlussfähig der gebildete elitäre DM-Nationalismus der Professoren Lucke &Co für alle möglichen rassistischen und religiös-fundamentalistischen Gruppen ist. Viele Wahlstimmen gewann sie mit Hilfe der diffusen Wut gegen „die da oben“. Das Spektrum erstreckt sich von enttäuschten Nationalkonservativen und religiösen Fundis wie Beatrix von Storch oder Gabriele Kuby bis hin zu Wähler*innen, die von SPD und Grüne seit Schröder und Fischer tief enttäuscht sind. Leider funktioniert spätestens seit Rostock-Lichtenhagen die rassistische Erzählung, die einen Zusammenhang zwischen neoliberaler Politik und dem Zuzug geflüchteter Menschen herstellt. Uns stellt sich der Zusammenhang etwas anders dar. Die neoliberale Politik seit Reagan und Thatcher hat die nationalen Demokratien zunehmend unter Druck gesetzt. Der Markt soll es richten. Und er sorgt – wie schon von Marx analysiert – dafür, dass die Schere zwischen Superreich und Arm immer weiter auseinander geht. In Deutschland hat sich Kohl nicht getraut, diese Politik gegen Nationalkonservative und Anhänger der christlichen Soziallehre in der eigenen Partei und gegen die SPD umzusetzen. Das haben Schröder und Fischer dann erledigt.
Gleichzeitig ist es der neuen Rechten gelungen, eine sehr akademische Linke der Lächerlichkeit preis zu geben. Es ist ihr gelungen, Themen zu setzen, die die Linke spalten. Der anti-muslimische Rassismus spaltet in eine Gruppe, die bedingungslose Solidarität fordert und eine, die wegen ihrer religionskritischen Haltung auch für den Islam nicht eintreten will. Die Kampagnen über den angeblichen Sexismus „Der Muslime“ spalten in einen tendenziell rassistischen Feminismus der Marke Alice Schwarzer und Verleugnung oder bedingungslose Solidarität auf der anderen Seite. Natürlich gab es auch großartige Antworten. Zum Beispiel die Aktion #ausnahmslos, die das Kunststück vollbrachte, Sexismus von Geflüchteten auf eine nicht rassistische Weise zu benennen, indem zugleich auf den Sexismus der Mehrheitsgesellschaft hingewiesen wurde.
Solche Initiativen werden nicht flächendeckend wahrgenommen. Das liegt nur zum Teil daran, dass die meisten politisch linken Akteure akademisch geprägt sind und es wichtiger finden, auf hohem Komplexitätsniveau Recht zu haben, als gehört zu werden. Andererseits scheint es uns auch nicht erfolgversprechend, wie Wagenknecht die Teilung zwischen deutsch und geflüchtet der Einfachheit halber populistisch zu akzeptieren und Obergrenzen für ein Menschenrecht zu fordern. Konzerne wie Amazon und Starbucks machen Riesengewinne und zahlen in Deutschland praktisch keine Steuern während ihre Beschäftigten teilweise beim Jobcenter um Aufstockung betteln müssen. Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen Reich und Arm.
Zum anderen Teil liegen die Defizite linker und antirassistischer Politik darin, dass es nur wenige finanzmächtige Akteur*innen gibt, die eine linke Politik unterstützten. Indessen gibt es zahlreiche konservative Mediengiganten, von denen einige eine politische Agenda verfolgen. Die Springer Presse ist bekannt für ihre politischen Kampagnen. So wurde ein Bundespräsident gestürzt, nachdem er befand, der Islam gehöre zu Deutschland. Bertelsmann ist etwas subtiler bei den Medienkampagnen, nimmt aber sehr erfolgreich politischen Einfluss über die Bertelsmann Stiftung, die im Wesentlichen auch die Hartz-Reform vorbereitet und ausgeführt haben.
Dabei ist der Übergang von Medien, Politik und Wirtschaft fließend. Der SPD Finanzminister Scholz beruft als Staatssekretär den Chef der deutschen Niederlassung der Bank Goldman Sachs. Seine Zuständigkeit: Banken- und Finanzmarktregulierung. Daneben gibt es unentgeltliche Hilfestellung von Lobbyist*innen beim Schreiben von Gesetzesvorlagen sowie den organisierten Austausch von Mitarbeiter*innen aus der Wirtschaft und der Bundesverwaltung – zum einen als Programm, wobei Angestellte großer Unternehmen die Arbeit in Ministerien kennenlernen sowie andersherum Beamte und Angestellte der Bundesverwaltung eine Zeit lang ihren Platz in einem Firmensitz einnehmen. Zum andern der anstandslose Übergang aus der Politik in die Wirtschaft.
Nun sind dies die offensichtlichen, personellen und ideellen Verstrickungen. Dazu könnte zwar gesagt werden, jede/r ist sich selbst am nächsten, Schäflein ins Trockene und Hauptsache mein Arsch wird nicht nass und weiterhin darüber schweigen. Doch zugleich hat dies Folgen für demokratische Prozesse, die durch die personellen Überschneidungen abgekürzt werden, was wieder zu einer Machtfrage wird. Wenn Mövenpick, wie man 2013 unkte, den Wahlkampf der AfD unterstützte, ist dies nichts anderes, als die Spenden Mövenpicks an die FDP in den Jahren 2008 und 2009. Am Ende wurde die sogenannte „Hotelsteuer“ geboren. Welches Kind käme bei einer Verbindung Mövenpick-AfD heraus?
Vielleicht so jemand wie Alice Weidel, Vorstandsmitglied der AfD, ehemalige Goldman Sachs Mitarbeiterin, lesbisch, mit Hang zu wahnhaften, rassistischen Weltverschwörungen, wie eine durch die Tageszeitung „Die Welt“ vorgelegte Email nahelegt, deren Echtheit jedoch durch die AfD bestritten wird. Keine sympathische Person, mag man denken, aber zugleich erscheint sie widersprüchlich in ihren öffentlichen Ansichten und ihrer privaten Lebensweise. Unaufgelöste kognitive Dissonanz, schizoide Tendenzen oder einfach die Widersprüchlichkeit unserer aller Leben? Tatsächlich zersplittern die Lebensweisen, Szenen entstehen, neue Milieus, Bewegungen aller Orten, die ihr Recht auf Anderssein einfordern. Das führt zu Unübersichtlichkeiten und bei manchen auch zu dem Wunsch nach Rückkehr zu fordistischen, wenn nicht zu feudalen Verhältnissen, in denen die gesellschaftliche Position in der Rückschau so klar erscheint. Lesbische Nazis, homophobe Jüd*innen, Muslima gegen den Islam, nationalistische Linke, neue Identitäten aller Orten – dennoch kein Grund ein Arschloch zu sein.
Die Unübersichtlichkeit und Komplexität steigt, die Folge: Ängste übernehmen die Funktion von Argumenten, Unwissenheit wird zur ausgemachten Wissenschaft, Lügen zu alternativen Fakten. Dort, wo Menschen nicht weiter wissen, da erfinden sie gerne – große Literatur oder kleine Lügen, um die Lücken zu füllen. Dies gezielt zu missbrauchen, ist ein Mittel der Politik, Bismarcks Emser Depesche oder die Erfindung der Weisen von Zion mit Hilfe des russischen Geheimdienstes. Falschmeldungen und Verdrehungen sind Mittel der Zensur und Desinformation, sie führen zu Irritation und Lähmung.
Nicht allein staatliche oder militärische Stellen, sondern auch „Soziale Medien“ haben einen guten Anteil hieran. Unsere Daten werden verkauft, gehandelt, ausgewertet, verändert und gegen uns selbst eingesetzt. Soziale Medien und Werbeindustrie können Meinungen und Wünsche manipulieren, noch viel schneller als in Zeiten von Telegraf und berittenen Boten. Nun muss man aber nicht glauben, dass diese Entwicklung losgelöst von anderen sei, etwas völlig Neues oder eine Art Geheimwaffe der Rechten. Fake News sind eine Möglichkeit innerhalb kriselnder Gesellschaften, die Wirklichkeit zu gestalten, sie gehen über Manipulation durch „die Herrschenden“ hinaus. Ohne die Krise wäre es allerdings nicht so einfach, diese Waffen einzusetzen.
Seit den 1970er Jahren wird diese anhaltende ökonomische Krise dazu genutzt staatliche Garantien auszuhebeln und gewerkschaftliche Rechte zurückzudrängen. Zugleich wird auf anderen Ebenen verschiedenen Ansprüchen und „Identitäten“ Raum gewährt - in der CDU als Modernisierung des eigenen Programms gelobt und gehasst. Homosexualität wird eine Privatsache, der „Migrationsstatus“ zu einer individuellen Ressource. Solange oben und unten akzeptiert wird, solange die Geschäfte nicht gestört werden, ist alles möglich. Das gilt auch für die rumänischen und bulgarischen Sklavenarbeiter in deutschen Schlachthöfen.
Es bedarf einer Strategie. Der Zustand der SPD ist da nur ein Ausdruck des Problems un dkeine Science FictionEs gibt momentan keine politische Alternative, die gesellschaftliche Relevanz besäße. Diskutiert wird ein linker Populismus. Der könne Klassensolidarität herstellen und Gegenpropaganda betreiben – gegen den reaktionären Rollback. Zum einen besagt Populismus nicht nur „die Sprache des Volkes“ zu sprechen, sondern beschwört zugleich den Gegensatz von politischer Parteiführung und dem durch diese vertretenen Anhänger*innen. Diese Anhängerschaft ist dann nichts anderes als die zu mobilisierende Masse, das Mittel zur Macht. Zum anderen, wenn man sich das französische Vorbild „La France insoumise“ anschaut, wird klar: nicht alles was glänzt, ist Gold, Nationalismus ist dort Programm. Aber „Menschen Mündigkeit zu unterstellen, ist naiv“ und Populismus vielleicht doch der geeignete Weg in einem parlamentarischen repräsentativen Wahlsystem, die Geschichte zu ändern? Klappte schon mal hervorragend – „wir“ kamen damit sogar bis kurz vor Moskau. Zu überlegen wie Mehrheitspositionen in einer Gesellschaft errungen werden könnten, das als Existenzgrundlage Rassismus beinhaltet, ist absurd. Wenn überhaupt geht es um die Minderheit, die das als Problem sieht. Diese ist nicht kleiner geworden und die reaktionären oder faschistische Positionen auch nicht größer, wie in verschiedenen Erhebungen erkennbar ist. Ein Unterschied ist allerdings, dass das ‚Netz der Dorfdeppen’, genannt Internet, es möglich macht die Dorfgrenzen hinter sich zu lassen und festzustellen, dass es ja überall einen Dorfdepp gibt und wenn sich diese alle, mit all der Freizeit, die das Dorfdeppentum so mit sich bringt, zusammentun…, na ja, genug dazu.
Wir haben als ZAG immer wieder das Gefühl in einer linken Blase zu leben. Uns gefällt, wie wir sind, was wir lesen und wir regen uns über die gleichen Sachen auf. Wir fühlen uns wohl trotz der Beschissenheit der Dinge. Wie erreichen wir Menschen außerhalb dieser Blase, machen sie bekannt mit unseren Wünschen? Die Losung könnte lauten „adopt a proll“. Jede und jeder wird zur Mentorin, zum Mentor, redet mit Menschen in der Bäckerei, hilft alten Menschen über die Straße, ist nett zu den Nachbarn. Oder ein Programm für alle wie „Ein Jahr ins Ausland“ – vielleicht auch zwangsweise, also temporäre Ausweisung, um den Horizont zu erweitern, eine Art Walz für alle. (Eine Zeitschrift wäre auch eine Möglichkeit, sollten wir drüber nachdenken.)
Wir (die Linke) sind eine Minderheit. „Deshalb müssen wir die anderen zu ihrem Glück zwingen“. D. h. wir müssten den Staat erobern, um Zwang ausüben zu können, um Gesetze zu verabschieden, müssten wir teilhaben am parlamentarischen Prozess Wollen wir das? Wir wollen Nationen und Staaten abschaffen und nicht den Arzt am Bett des Massenmörders spielen. Der Staat ist nicht neutral und der Weg durch die Instanzen wohl keine angemessene Strategie.
Mehr Angst verbreiten? Zum Beispiel durch drohende Katastrophen und Krisen, den Niedergang der Zivilisation, Klimakollaps und Waldsterben, Geschichten von Gut und Böse, wo einige durch entschiedenes Handeln den ansonsten unaufhaltsamen Lauf der Geschichte umkehren können. Wir wollen gerne dabei sein, doch es ist auch nur eine andere Mär von der Avantgarde, von der Bekehrung des Blinden, der sehend wird (Ödipus usw.). Die Hoffnung, dass die Krisen und die absolute Verarmung der Arbeitenden eine Situation erzeugt, aus der eine Revolution quasi automatisch und notwendigerweise erwachsen würde, hat sich historisch nicht bewahrheitet. Hungeraufstände können mit Brot und Spielen bekämpft werden. Die moralische Empörung über die ungerechte Verteilung reicht nicht so weit, den ganzen Laden umzubauen.
Oder wir werden Agent*innen unserer eigenen Sache, indem wir in die Rolle der Gegner*innen schlüpfen. Wir machen False Flag Aktionen, wie der Offiziersanwärter bei der Bundeswehr, der mit einer zweiten Identität als Geflüchteter einen Anschlag verüben wollte, damit alle gegen die Geflüchteten … und dann die Agenda der AfD gestärkt worden wäre … na ja. Satire wirkt ähnlich und wir können darüber lachen. Bei einem guten Witz ertappen wir uns selbst bei bester Laune – und politisches Kabarett hat ja auch die letzten Weltrevolutionen ausgelöst.
Begründet wird der Aufstieg der AfD manches Mal mit den Worten: „Das Gefühl verarscht zu werden stimmt ja“. Die Rechten formulieren Anliegen, die auf Problemen beruhen, die es für bestimmte Menschen tatsächlich gibt, die allerdings der Natur oder Sachzwängen zugeschrieben werden, statt den durch Menschen gemachten Verhältnissen. Hier werden Wahres und Falsches wirkungsvoll verschränkt. Die rassistische Antwort auf Migration, ist „die passen nicht zu uns“ und „die sind anders“, „das können wir uns nicht leisten“ und dann wird nach dem Staat gerufen. Müsste also eine Linke diese Antworten aufnehmen oder selber Antworten formulieren? Muss der Staat das erledigen? Zum Teil wird es Überschneidungen mit den Forderungen von Rechten geben – die deutschen Arbeiter*innen, die deutschen Grenzen, – will man das? Auf diesen Diskurs einzugehen ist der Fehler. Es macht keinen Sinn, darüber zu diskutieren, ob Rassismus irgendwie gerechtfertigt werden kann.
Der Staat ist nicht das Mittel der Wahl, weder höhere Steuern noch schärfere Gesetze. Auch die Parteien sind nicht das Mittel der Wahl. Die SPD mit den Hartz-Reformen in Zusammenarbeit mit Bertelsmann, SPD und Grüne mit ihrem Krieg in Jugoslawien und der Abschaffung der Vermögenssteuer und der Zustimmung zu allen Kriegskrediten seit 1914. Die Parteien sind Fake. Sie sind Teil der Maschine, sie bilden nicht die Meinung, sie kanalisieren sie. Das gilt eben auch für die AfD, deren Rhetorik von Elite und Volk, alt und neu, kaschiert ihre Zustimmung zu den Bedingungen, an die Fleischtöpfe zu gelangen. Allerdings ist die Schwäche der linken und liberalen Parteien die Stärke der AfD. Wenn wir aber nicht in den Parteien mitmachen wollen, dann müssen wir wohl selbst „Partei“ werden, indem wir Partei ergreifen.
Können wir dies durch Bündnisse erreichen? Mit den Gewerkschaften beispielsweise. In der BRD sind auch deren Mitglieder zum Teil rechts. Wir haben hier keine politischen Gewerkschaften wie in Frankreich, Italien oder Großbritannien. Die politische Neutralität der hiesigen Einheitsgewerkschaften drückt sich aus in rassistischen Kampagnen gegen Schwarzarbeit oder Äußerungen von Polizeigewerkschaftern.
Mitglieder der christlichen Kirchen sind aktiv in die Unterstützung Geflüchteter eingebunden, sie bieten Kirchenasyl und alltägliche Unterstützung. Doch zugleich ist die Kirchenhierarchie auf konservative Werte verpflichtet, tritt für ein restriktives Abtreibungsrecht und für die „natürlichen Pflichten“ von Mann und Frau ein.
Da sieht es bei Vereinen schon besser aus. Die sind so vielgestaltig, dass man mit solchen Dogmen nicht in Konflikt kommt, aber in der Regel sind auch sie unpolitisch politisch. In Sportvereinen wird Sport getrieben und keine große Politik gemacht. Das stimmt nicht ganz, sei es beim Ausbau eines Sportplatzes oder Stadions oder bei der Aufnahme Geflüchteter als Spieler*innen. Dieser spielerische Kontakt zwischen Ansässigen und neu Hinzugekommen (beispielsweise fußballspielende, ministrierende Senegalesen) wirkt – wenn auch nicht im Kopf des CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer.
Am deutlichsten machen Kampagnen politische Projekte sichtbar. Die Kampagnen zum G7 in Heiligendamm, gegen TTIP, „Ende Gelände“ und viele mehr. Sie schaffen öffentliche Aufmerksamkeit, sie buhlen um Aufmerksamkeit. Mittlerweile ist dies ein Feld, das auch Rechte wie die „Identitären“ für sich entdecken. Die gezielte Provokation schafft Beachtung und soll dadurch wieder Unterstützung für diese und andere Vorhaben mobilisieren. Die Gefahr besteht, dass die Inhalte unwichtig werden im Verhältnis zur medialen Wahrnehmung der Aktionen. Bei Werbung für Waschmittel, deren Bestandteile eh annähernd dieselben sind, geht es um Marke, Image und Preis, darum, die Konkurrenz auf einem abgesteckten Markt, der nicht mehr wächst, auszustechen. Aber wer benötigt Kampagnen für die Medien?
In diesen Kampagnen wird deutlich, wie mittelschichtslastig die Linke ist. Ressourcen, Zeit, Kenntnisse sind bei angehenden Akademiker*innen ausreichend vorhanden. Die scheinbar selbstverständliche Konsequenz ist also ihr politisches Engagement, bevor es dann mit Familie und Kindern gilt Karriere zu machen. Für wen werden dann aber diese Kämpfe ausgefochten? Werden da Kämpfe für andere gekämpft? Inwieweit verändern sich die Haltungen der Aktivist*innen und wie die der Ziele, Inhalte und/oder Menschen, in deren Namen sie angeblichen kämpfen.
Wie wird also die Linke ohne die ZAG auskommen? Wir sind überzeugt sehr gut. Weil die Verwirklichung eines Vereins freier Menschen nicht von einer Zeitschrift abhängt. Wir stehen auf Wir-Politik, unser Begehren, unsere Interessen. Dazu müssen wir Bündnisse eingehen – Bündnisse, die die verschiedenen Interessen nicht verdecken. Antirassistische und antifaschistische Politik machen wir, weil wir eine bestimmte Vorstellung von menschlichem Miteinander haben. Wir machen es nicht für andere. Was uns vielleicht fehlt, ist die materielle Gewalt, die Praxis, die es ermöglicht, dieses Zusammenleben hier und jetzt zu organisieren, so dass sie sich als allgemein verbindliche durchsetzt. Ein Grund unter anderen, weil unsere Gegner*innen immer wieder versuchen, uns dies zu nehmen. Stattdessen sollten wir ihnen zum Trotz solidarische Verhältnisse fördern, indem wir uns solidarisch verhalten. Das ist die Herausforderung für eine fröhliche Utopie.
Der Artikel gibt eine anderthalbstündige Diskussion innerhalb der Redaktion der ZAG zur Auflösung wieder.