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»Islamkritik« zwischen Emanzipation und Ressentiment

Einige Anmerkungen zum antimuslimischen Rassismus in der Linken

Jonas Fedders und Julian Volz

Unter dem Deckmantel der »Islamkritik« greift auch in der politischen Linken immer wieder ein antimuslimischer Rassismus um sich. Es ist notwendig, eine Kritik an diesen Positionen zu formulieren, ohne eine Kritik der Religion aus den Augen zu verlieren.

Es ist keine besonders neue Erkenntnis, dass vieles, was unter dem Begriff der »Islamkritik« firmiert, schlicht Ressentiment ist. Der Islam avancierte in den vergangenen Jahren zum zentralen Feindbild für rechtspopulistische und rechtsradikale Hetze. Doch auch in linken Kreisen sind seit einer Weile vermehrt Argumentationsweisen anzutreffen, die sich zwar selbst als emanzipatorische oder kommunistische Religionskritik am Islam präsentieren, inhaltlich aber eher an das erinnern, was in der Rassismusforschung als »kultureller Rassismus« bezeichnet wird. So kritisierte Horst Pankow 2015 in der linken Wochenzeitung jungle world ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem das prinzipielle Kopftuchverbot für Lehrerinnen aufgehoben wurde. Beinahe erleichtert heißt es am Ende seiner Ausführungen: »Mit einer Invasion von Kopftuchpaukerinnen an deutschen Schulen ist aber nicht zu rechnen. ›Muslimas‹, die demütige ›Töchter des Propheten‹ und zugleich ›selbstbewusste Demokratinnen‹ sein wollen, gibt es nur in so geringer Zahl, dass sie schon fast literarischer Fiktion angehören.«

Die Pankowsche Polemik ist bei weitem kein Einzelfall. Ausgerechnet eine Antifa-Gruppe »AK Raccoons« aus Kassel verteilte im Sommer 2016 nach dem islamistischen Angriff auf einen queeren Club in Orlando ein Flugblatt mit dem Titel »Das Problem heißt Islam«. Darin wird ausgeführt: »Frauenverachtung, Homophobie, wahnhafter Kollektivismus sowie die Verachtung des Lebens sind nicht bloß Auswüchse des Islam sondern diesem inhärent.« Das Attentat, so die Gruppe weiter, sei ein »Angriff auf die westliche Zivilisation, ein Angriff auf die (bürgerliche) Freiheit«. Demokratie, Emanzipation, Rechte für Frauen und Homosexuelle – all diese Errungenschaften erscheinen in den genannten Beispielen nicht als Resultate von sozialen Kämpfen, die auf der ganzen Welt geführt werden, sondern als inhärente Eigenschaften »westlich« verfasster Gesellschaften. Der Islam wird als absoluter Antagonist (»antiaufklärerisch«, »barbarisch«, »mittelalterlich«) entgegengesetzt. Durch diese Abgrenzung vom »Rest« kann sich »der Westen« als Hort der Aufklärung und Emanzipation gerieren, wie Stuart Hall (1994) es ausdrückt. Eine solche Logik greift auf elementare Legitimationsdiskurse des europäischen Kolonialismus zurück.

Die Konstruktion einer Dichotomie verschiedener homogener Kulturräume (Orient vs. Okzident) wird von der Frankfurter Gruppe »Thunder in Paradise« 2016 noch auf die Spitze getrieben, wenn sie in der Ankündigung für eine auch von vielen Linken besuchte Veranstaltungsreihe kolportiert, dass sich der Westen in einem vom Islam begonnenen Krieg befinde. Auch Pankow scheint in seinem bereits erwähnten Kommentar einen Kriegszustand zu halluzinieren, wenn er die Existenz von kopftuchtragenden Lehrerinnen an deutschen Schulen mit dem Begriff der Invasion belegt, der laut Duden das »feindliche Einrücken von militärischen Einheiten in fremdes Gebiet« bezeichnet. Muslimische Frauen mit Kopftuch werden auf diese Weise als »fremd« markiert und ihnen wird die Zugehörigkeit zur hiesigen Gesellschaft explizit abgesprochen.

Das alles sind bekannte Argumentationsmuster des Rassismus, der sich seit der Diskreditierung des biologistischen »Rasse«-Konzepts zunehmend kulturalistisch äußert. An der Legitimation der Ungleichheit hat sich indes wenig geändert: Noch immer funktioniert der Rassismus über die duale Aufspaltung in »Wir« und »Die Anderen«. Es wird mit vermeintlichen Gegensatzpaaren operiert: Westen/Islam, zivilisiert/barbarisch, aufgeklärt/rückständig usw. Die »Kultur« als genuin soziale, dynamische, von Herrschaftsverhältnissen durchsetzte und von Menschen gemachte, daher auch wandel- und veränderbare Kategorie wird auf diese Weise »zu einem dem biologischen Gefängnis des Rassenkörpers vergleichbaren Raum vorsozialer Unmittelbarkeit gemacht« (Hund 2007: 11).

Wider die Essentialisierung des Islam

Dieses Bild des vorsozialen Raums wird noch verstärkt, wenn auf die weit verbreitete Prämisse von Islamkritiker_innen zurückgegriffen wird, dass der Islam ein klar definiertes und unveränderliches Wesen besitze, das außerhalb von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und Widersprüchen stehe. Häufig wird als Beispiel der muslimische Antisemitismus angeführt, auf den sich nicht nur Rechte und Konservative mit ihrem Gerede von einem »importierten Antisemitismus« berufen, sondern auch »islamkritische« Linke. So schrieb Moritz Hoffmann 2016 in der jungle world in einem Debattenbeitrag über Islamkritik, der Antisemitismus sei der psychodynamische Kern des Islam, um den sich alle seine verfeindeten Untergruppierungen ideell in der Umma vereinten. Gerade dies begründe eine Dialektik vom Besonderen und Allgemeinen. Worin das Allgemeine eines Jihadisten von Daesh und einer ihn bekämpfenden Muslima in den Reihen der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten liegt, bleibt wohl das Geheimnis dieser ganz besonderen von Hoffmann begründeten Dialektik.

Nun kennt der Islam zwar geistliche Autoritäten, aber gerade keine oberste Autorität in Glaubensfragen, die – wie etwa der Papst in der katholischen Kirche – darüber bestimmen könnte, welcher Auslegung der Religion zu folgen sei. Die Gläubigen sind in letzter Instanz allein der »Autorität Gottes« rechenschaftspflichtig. Durch diese heterogene Dogmatik kann jede aus den Quellen des Islam geschöpfte Lehrmeinung für sich beanspruchen, die einzig richtige zu sein, was sowohl terroristische Interpretationen ermöglicht als auch Reformen des Islam erleichtern kann (vgl. Schulz 2011: 20). Insofern ist dem Islam ein rigides Dogma mit ein für alle Mal festgelegten Regeln und Gesetzen fremd; die Interpretation der »Offenbarung« bleibt eine Frage der Praxis.

Floris Biskamp (2011: 147f.) hat dies beispielhaft veranschaulicht: »Wenn Eltern im Irak oder in Ägypten ihren Töchtern eine Genitalverstümmelung antun, weil sie es für islamisch halten und darin von regionalen religiösen Autoritären bestärkt werden, ist dies islamisch; wenn ein junger Mann in Teheran glaubt, dass Islam vor allem ein spirituelles Verhältnis zu Gott ist, das in keinem Widerspruch zu seiner Homosexualität und seiner Vorliebe für Alkohol steht, ist dies islamisch; wenn türkischstämmige Eltern in Deutschland glauben, zum Islam gehöre es, die ›Ehre‹ ihrer Töchter zu schützen, indem sie diese von der Welt abschirmen, ist dies islamisch; wenn Muslim_innen glauben, der Islam gebiete ihnen vor allem, den Mitmenschen zu helfen, ist dies islamisch (...)« usw. usf.

Materialismus statt Ontologie

Diese Offenheit bedeutet also auch, dass der Islam per definitionem weder antisemitisch noch pro-jüdisch, weder demokratisch noch antidemokratisch, sondern empfänglich für gesellschaftliche Entwicklungen ist. Auch in Bezug auf den Umgang mit anderen Religionen werden sich im Koran Stellen finden lassen, die für ein friedliches Miteinander zwischen den »Gemeinschaften des Buches« werben (Sure 29:46) und solche, die zu ihrer Verfolgung aufrufen (Sure 9:29). Dieses Beispiel macht bereits deutlich, wie wenig zielführend es ist, durch das Herauspicken einzelner Koranverse bestimmte Wesenseigenschaften des Islam belegen zu wollen. Die Frage, welche Lehrmeinung und Interpretation des Korans gerade vorherrscht, ist vielmehr aufs Engste mit historischen und sozioökonomischen Entwicklungen sowie sozialen Kämpfen verbunden.

Den Antisemitismus, der gerade die Widersprüchlichkeit kapitalistischer Gesellschaften ideologisch verarbeitet, als den Kern einer etwa 1400 Jahre alten Religion zu bezeichnen, scheint hingegen mehr als an den Haaren herbeigezogen, schließlich ist »der antijüdische Wahn [des Islamismus, d. Verf.] keinem metaphysisch ›Bösen‹, sondern einer historisch und systematisch erklärbaren Sichtweise auf den Kapitalismus entsprungen« (Küntzel 2003: 11). Freilich kannte auch der vorkapitalistische Islam Judenfeindschaft und Judenverfolgung. Im Islam war jedoch die Judenfeindschaft strukturell viel weniger angelegt als im Christentum, da es sich bei ihm nicht um eine sektenhafte Abspaltung des Judentums handelte, die sich immer wieder von diesem abgrenzen musste (vgl. Schmidinger 2005: 14). Statt über ein Wesen des Islam zu fabulieren, müsste man danach fragen, welche Tendenzen der verkehrten Welt immer wieder verkehrtes Weltbewusstsein hervorbringen. Dann müsste man aber auch darüber reden, welchen Anteil die imperialistischen und neokolonialistischen Verwüstungen des »zivilisierten Westens« und die Entwicklungstendenzen eines sich auf globaler Ebene immer barbarischer äußernden Kapitalismus am Aufstieg des Islamismus haben.

Emanzipatorische Kritik statt Ressentiment

Die Kritik am Islam – wie auch die Kritik an anderen Religionen – ist ein notwendiges Unterfangen. Dabei erweist sich die auch von einigen Linken in ihrer reflexhaften Hilflosigkeit gegenüber antimuslimischer Hetze immer wieder postulierte Losung »Islam ist Frieden« als offenkundiger Unsinn. Die allermeisten Muslim_innen sind friedliebende Menschen, dennoch werden im Namen von Allah tagtäglich unzählige Gräueltaten begangen. An der muslimischen Religion gibt es daher nichts zu verklären: Diese Welt wäre selbstverständlich eine lebenswertere, wenn der Einflussbereich des Islam und aller anderen Religionen zurückgedrängt würden. Trotz aller notwendigen Kritik ersetzen subjektiv richtige Beweggründe (»linke Religionskritik«) aber nicht die Verantwortung für das objektiv Gesagte: Wenn in linken Medien eine kategorische Unvereinbarkeit von Muslima-Sein und Demokratin-Sein postuliert wird und Antifaschist_innen die These »Das Problem heißt Islam« vertreten, dann hat dies reale Konsequenzen: Betroffen von dieser Form der »Islamkritik« sind nicht religiöse Praktiken, sondern unzählige Muslim_innen und andere Menschen, die für solche gehalten werden – und die aufgrund dieser wirkmächtigen Narrative Ausgrenzung und Gewalt erfahren.

Der häufig vorgebrachte Einwand, eine Kritik am antimuslimischen Rassismus sei nichts als »Islam-Apologie«, sofern sie nicht gleichzeitig imstande sei, aufzuzeigen, wie eine nicht-rassistische Islamkritik zu formulieren wäre, läuft ins Leere. Denn er impliziert die Annahme, dass ein Austausch darüber stattfinden müsse, was denn im Rahmen der Islamkritik »erlaubt« und »möglich« sei, ohne mit dem Verdikt des Rassismus belegt zu werden. Dadurch wird suggeriert, die Islamkritik sei mit einem Tabu belegt. Das Gegenteil ist der Fall: Islamkritik ist ein Volkssport. Eine emanzipatorische Kritik am Islam wäre stattdessen vor allem negativ zu bestimmen, d.h. in Abgrenzung zu ressentimentgeladenen Anfeindungen – egal, ob diese von rechts oder von links formuliert werden. Eine »Islamkritik«, die auf zentrale Argumentationslogiken des Rassismus zurückgreift, ist keine Kritik, sondern antimuslimisches Ressentiment. Sie unterminiert eine emanzipatorische Auseinandersetzung mit der muslimischen Religion und dem politischen Islam, die imstande wäre, einer Anti-Islam-Hetze mehr als hilflosen Kulturrelativismus entgegenzusetzen.

Infos zum Text

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die überarbeitete Zusammenführung zweier Artikel, die sich im vergangenen Jahr mit dem Thema »Islamkritik« in der Linken auseinandergesetzt haben (vgl. Fedders 2016; Lower Class Magazine 2016).


Literatur

AK Raccoons (2016): Das Problem heißt Islam. Online unter: http://raccoons.blogsport.de/2016/06/16/das-problem-heisst-islam/ (20.05.2017).

Biskamp, Floris (2011): Das Reden über das Reden über den Islam. Kritische Forschung im Double Bind von »Islamophobiekritik« und »Islamkritik«, in: Opferberatung der RAA Sachsen e.V. (Hg.): Tödliche Realitäten. Der rassistische Mord an Marwa El-Sherbini. Hoyerswerda, 136-148.

Fedders, Jonas (2016): Differenzierter, bitte, in: jungle world, Nr. 42/2016.

Hall, Stuart (1994): Der Westen und der Rest. Diskurs und Macht, in: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg, 137-179.

Hoffmann, Moritz (2016): Große Scheuklappen, in: jungle world, Nr. 43/2016.

Hund, Wulf D. (2007): Rassismus. Bielefeld.

Küntzel, Matthias (2003): Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg. Freiburg.

Lower Class Magazine (2016): Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Islam(-ismus) schweigen, in: Lower Class Magazine. Online unter: http://lowerclassmag.com/2016/11/wer-vom-kapitalismus-nicht-reden-will-sollte-auch-vom-islam-ismus-schweigen/ (20.05.2017).

Pankow, Horst (2015): Das Kopftuch gehört zu Deutschland, in: jungle world, Nr. 12/2015.

Schmidinger, Thomas (2005): »Unser Kampf mit den Juden«. Zum erfolgreichen Antisemitismus-Import der arabisch-islamischen Welt, in: Phase 2, Nr. 15, S. 14-18

Schulz, Jörn (2011): Keine Reform ohne Revolution, in: Phase 2, Nr. 39, S. 18-21.

Thunder in Paradise (2016): Feindanalysen. Zur islamistischen Gewalt. Online unter: https://www.facebook.com/gruppethunderinparadise/posts/1808519676090733# (20.05.2017).

 


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