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Religion und andere Drogen

ZAG

Im Namen der Religion werden Anschläge verübt, Kriege geführt und Einreiseverbote ausgesprochen. Religionen sind der Leim, wenn Politik alleine keine Überzeugungskraft hat. Religionen sind ein Set von Glaubenssätzen über höhere Kräfte und Wesen und sind mit Regeln der Lebensführung und mit Weltanschauungen verbunden. Man kann seinen persönlichen Glauben pflegen, der Trost spendet und Leitlinien im Alltag vorgibt. Und im Luther-Jahr ist dies alles um so aktueller.

In der BRD leben gut ein Drittel Konfessionslose, fast 60 Prozent gehören einer christlichen Kirche an und 5 Prozent verstehen sich als Muslime. Der persönliche Glaube hängt dabei weniger von den offiziellen Lehren der Glaubensrichtungen ab. Durch die Bank liegt die Bedeutung von Religion im Leben der meisten Menschen hinter Familie, Freunden, Beruf und Politik. Sinnstiftend ist Religion im persönlichen Leben dennoch. So werden religiöse Feste gefeiert und Taufe oder Beschneidung zelebriert. Selbst, wenn man nicht dran glaubt.

Aber Religion geht über den persönlichen Bereich hinaus. Religion wird organisiert in Kirchen und Gemeinden, in Ritualen und Gottesdiensten, durch Symbole und Macht. Dies sieht man spätestens bei den Fragen zu vorehelichem Geschlechtsverkehr, Abtreibung oder der Öffnung der Ehe für Homosexuelle. Hier sind die Gläubigen im Unterschied zu ihren Religionsgemeinschaften offener und toleranter als die sie vertretenden Institutionen und Funktionäre. Diese erheben aber den Anspruch den richtigen Glauben (auch in Widerspruch zu ihren Anhänger*innen) in der Öffentlichkeit und in Fragen der allgemeinen Gesetzgebung zu vertreten.

Doch möchten wir nicht etwa spezielle Religionen und deren Glaubenssätze einer Prüfung unterziehen, sondern die Bedeutung von Religion im Kontext von Politik und Rassismus erörtern. Mittels Religion lässt sich wunderbar diskriminierendes, sexistisches und rassistisches Handeln begründen. Religion gebiert Feindbilder wie Selbstbilder, die kaum etwas mit der Realität zu tun haben. Dieser Art Realitätsverschiebung gehen wir unter dem Titel »Religion und andere Drogen« auf den Grund.
Die Linke beschäftigt sich eher wenig mit Religion. Spätestens seit Marx wissen wir: Religion ist das Opium des Volkes. Sie ermöglicht das Leiden in dieser Gesellschaft erträglich zu machen und zugleich anzuklagen. Religion ist eine Form der Ideologie und als solche gewährt sie einen verkehrten, naturalisierten und ahistorischen Blick auf die eigene elende Gesellschaft. Diese Religionskritik ist im Marxismus aber sekundär. Im Mittelpunkt marxscher Kritik steht die Kritik des sozialen Lebens, der Ausbeutung und des Staats.

Es gibt einige Kritiken, die dem Sozialismus oder dem Marxismus selbst einen quasi religiösen Status zuschreiben. Zum Zwecke der Erlösung der Menschheit, seien auch Gulag oder »Umerziehungslager« probate Mittel, so lautete der Vorwurf an die real existierenden sozialistischen Staatenlenker. Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao seien die Propheten dieser weltlichen Religion. Und mag dies nun auch unter dem Schutt der Geschichte liegen, so ist die religiöse Aufladung linker Überzeugungen immer wieder zu beobachten, sei es die kanonische Deutung der Schriften, seien es Demonstrationen, die Prozessionen gleichen, die Heiligenverehrung oder der Glaube an die Erlösung in einem zukünftigen Paradies – manchmal mit Arbeiter*innen und Bäuer*innen bevölkert, ein anderes mal mit bio-dynamischen, sich stets zugewandten allseitig begabten Menschen jeglichen Geschlechts. Doch auch dies lässt sich als religiöse Utopie kritisieren – mit eben jenen Maßstäben, die die Kritik der Gesellschaft zur Verfügung stellt.

Weshalb hat Religion ein solches Gewicht? Nach dem Ende der Blockkonfrontation scheinen Kultur und Religion an die Stelle von Imperialismus und Klassenkampf getreten zu sein. Religion ist ein Bezugspunkt in vielen politischen Auseinandersetzungen, wie es sich im Verfahren gegen Mitglieder von Pussy Riot oder bei der Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, oder beim islamistischen Terrorismus gezeigt hat.

Religion grenzt Menschen aus – entlang der Linie der verschiedenen Glaubensvorstellungen und Kirchen sowie entlang gesellschaftlicher Vorstellungen. Dies gilt für antijudaistische und antisemitische Reflexe in den christlichen Kirchen bzw. bei den Pius-Brüdern oder dem Opus Dei wie auch für den Hinduismus gegenüber Sikhs oder für den Buddhismus in Myanmar gegenüber Muslimen. Es lässt sich, wie bei Rassismus auf politischer Ebene, im Raum der Symbole und des materiellen Lebens eine Ordnung, Ein- und Ausgrenzung von Interessen herstellen. Macht und Herrschaft, Verteilung von Ressourcen, Zugang zu Rechten können auf diese Weise organisiert werden. Und die Menschen machen es »gerne«, denn sie sind ja so oder so religiös oder anders, sie können sich damit identifizieren, mit den Etiketten, die andere ihnen geben, und mit ihren Nachbarn, die derselben Religion angehören. Sie werden anerkannt als Teil einer Gemeinschaft, selbst wenn diese Zuschreibungen Nachteile mit sich bringen.

Nun gilt diese Art der Ein- und Ausgrenzung nicht an sich für Religionen; aber Religionen und religiöse Menschen können ihren Rassismus und Antisemitismus religiös begründen. Und damit als göttlich gegeben hinstellen. Religion dient somit auch der Identitätsstiftung und der Letztbegründung von Aussagen und Weltanschauungen. Diskussionen (und andere Meinungen) sind dann überflüssig bzw. ketzerisch. Religionen dienen der Legitimation von Herrschaft, vorhandenen gesellschaftlichen Brüchen und Politiken. Mindestens seit der Französischen Revolution muss sich Religion allerdings rechtfertigen und staatliches Handeln kann sich nicht mehr ohne weiteres auf Religion und Gott berufen. Den säkularen Staat sollten Unterschiede in der Religion seiner Einwohner*innen nicht interessieren. Was ihn allerdings interessiert sind Fragen der Macht, zu der religiöse Institutionen beitragen und religiöse Überzeugungen dienen können.

Auch Konservative und Rechtspopulist*innen in der AfD und Pegida stützen sich auf ihre religiösen Lehren, wenn sie das christliche Abendland anrufen, um Beschneidung, Moscheebauten oder Abtreibung zu verbieten. Alles im Namen des Herrn. Der Versuch der AfD Angst vor dem Islam und Muslimen zu schüren zeigt, dass dafür nicht viel nötig ist. Antimuslimische Ressentiments ermöglichen einen Kulturkampf, der scheinbar Muslime in den Gegensatz zu säkularen oder wahlweise in den Gegensatz zu christlichen Werten setzt. Sie setzen auf Ausgrenzung mittels Rassismus, um ihre Agenda der Entsolidarisierung und Konkurrenz zu verbreiten. Dabei reaktivieren sie Vorstellungen gesellschaftlichen Lebens, die für die 1950er der BRD vielleicht einmal maßgeblich waren. Sie lehnen Abtreibung ab genauso wie die Gleichberechtigung der Geschlechter oder die Homoehe. Diesen Gegenentwurf möchten sie allen aufzwingen und preisen ihn als den Weg der Erlösung aus dem Sündenpfuhl ebenso wie aus der Krise der Gesellschaft.

Wie halten wir es mit der Religion? Unter den Bedingungen von Emanzipation und Autonomie müssen wir wohl oder übel anerkennen, dass Menschen religiös sind und deshalb ihre Gebräuche pflegen. Unsere Aufgabe ist es, Religion als Trostpflaster schlechter Zustände unnötig zu machen.   


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