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Die »Australische Lösung«

Abschreckung auf Kosten der Menschenrechte

Felix Heese

Das Dubliner Übereinkommen der EU, wonach jenes Land das Asylverfahren durchführen muss, in das ein Asylbewerber einreist, trat 1997 in Kraft. Es begünstigte offensichtlich die nördlichen Länder der EU und lies den südlichen Teil Europas weitgehend alleine beim Bewältigen der ankommenden Einwanderer. Heute, knapp 20 Jahre später ist das Abkommen gescheitert. Seitdem suchen europäische Politiker nach Alternativen, die möglichst vielen Menschen die Einreise in die EU verwehren soll. Mit dem »Türkei-Deal« ging die EU, geführt von Deutschland, erstmals ein »Menschen gegen Geld« Abkommen mit der Regierung eines EU-Anrainerlandes ein um einen Großteil der Schutzsuchenden bereits vor Erreichen der EU Außengrenze aufzuhalten bzw. aus dem EU-Gebiet abzuschieben.

Doch einigen Politikern geht diese Maßnahme nicht weit genug. Auf der Suche nach einer endgültigen Lösung werden immer neue Maßnahmen diskutiert, unter anderem auch die »Australische« oder »Pazifische Lösung«.

Auslagerung ins Niemandsland

In Australien wurde 2001 unter Premier John Howard die »Pazifische Lösung« vorgestellt. Alle Asylsuchenden die versuchen illegal per Boot nach Australien zu gelangen, werden seither von der Marine und Küstenwache abgefangen und in Lager auf dem kleinen Inselstaat Nauru und in Papua-Neuguinea interniert, wo sie auf ihre mögliche Anerkennung als Flüchtlinge warten müssen.

Zwar wurde diese Auslagerung der Asylsuchenden 2008 von Kevin Rudd, dem Nachfolger Howards, wieder gestoppt, doch nach einem erhöhten Aufkommen an sogenannten »boat people« wurde die Pazifische Lösung 2012 wiederbelebt. Im Jahr 2013 verschärfte Kevin Rudd sogar die Bestimmungen und erklärte, dass Asylsuchende die ohne Visa per Boot nach Australien reisen, niemals in Australien angesiedelt würden – selbst, wenn sie als Flüchtlinge anerkannt werden. Alle »boat people« wurden nun nach Papua-Neuguinea gebracht und sollten im Falle einer Anerkennung des Flüchtlingsstatus dort angesiedelt werden.

Auch der folgende Premierminister Australiens, Tony Abbott, verschärfte die Bestimmungen für Asylsuchende. Ebenfalls im Jahr 2013 rief er die »Operation Sovereign Borders« ins Leben, welche mit der »No Way«-Kampagne potentiellen Bootsflüchtlingen vermittelte, dass sie in Australien niemals Fuß fassen würden. Der eigentliche Auftrag der »Operation Sovereign Borders« ist jedoch, ankommende Boote nicht nur abzufangen sondern aus australischen Hoheitsgewässern zu schleppen. Teilweise werden Asylsuchende auch in Rettungskapseln oder Schlauchboote gepfercht und darin zurück nach Indonesien geschickt.

Leben im Lager

Neben diesen teils haarsträubenden Methoden, illegale Einreisen über das Meer mit allen Mitteln zu verhindern, werden vor allem auch die Lebensbedingungen in den Internierungslagern auf Nauru und in Papua-Neuguinea von Menschenrechtsorganisationen und der UN kritisiert. Auf dem kleinen Inselstaat Nauru, 21km² groß und 3.000km von der australischen Küste entfernt, leben 380 Menschen in überfüllten Zelten – zum Teil seit über drei Jahren. Ähnlich sieht es auf Manus Island in Papua-Neuguinea aus, wo Ende 2016 noch 866 Asylsuchende untergebracht waren. Der Großteil der Internierten kommt aus dem Iran, wobei genaue Angaben über die Herkunftsländer von den Behörden nicht gemacht werden.

Die Temperaturen auf den tropischen Inseln sind extrem und Klimaanlagen, die die Hitze in den Zelten erträglicher machen könnten, gibt es nicht. Selbst die Duschzeiten sind reguliert. Zusätzlich zu der Unsicherheit der Asylsuchenden ist die medizinische Versorgung mangelhaft und Gängelungen von Sicherheitspersonal und örtlichen Behörden sind an der Tagesordnung. Schwerkranke werden meist nur nach großem Druck auf die Lagerleitung und die australischen Behörden zur medizinischen Behandlung nach Australien geflogen.

Selbst wenn die Internierten als Flüchtlinge anerkannt werden, haben sie keine Chance, nach Australien zu kommen. Sie können sich auf Nauru oder in Papua-Neuguinea niederlassen; einige gehen auch nach Kambodscha, welches ein Aufnahmeabkommen mit Australien abgeschlossen hat. Oder aber sie nehmen etwas Geld von der australischen Regierung an und kehren in ihre Heimat, aus der sie geflohen sind, zurück.

Politik der Abschreckung

Obwohl die sogenannten »boat people« nur einen Teil der Asylsuchenden Australiens ausmachen, ist ihnen besondere Aufmerksamkeit in der australischen Gesellschaft sicher. Die Zahlen der illegal mit Booten nach Australien gelangten gehen mit den Maßnahmen der »Operation Sovereign Boarders« gegen null. Der Preis für diesen »Erfolg« sind unsägliche Lebensbedingungen und eine Missachtung des Menschenrechts auf Asyl. Die Praxis des Zurückschleppens und das Internieren von Flüchtenden mitten im Nirgendwo wird zynischer Weise mit dem Schutz von Menschenleben und der Bekämpfung von brutalen Schlepperbanden legitimiert.

Die stetige Verschärfung der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen von Geflüchteten verbindet Australien mit Deutschland. Auch die Zeitpunkte, zu denen Verschärfungen verabschiedet werden, lassen aufhorchen. Die »Pazifische Lösung« wurde kurz vor der Parlamentswahl in Australien im Jahr 2001 ins Leben gerufen. Nach der Wahl 2008 stoppte der neugewählte Premier Rudd die Praxis – nur um sie kurz vor der Wahl 2013, ein Jahr nach der Wiedereinführung, erneut zu verschärfen.

Beide großen politischen Lager haben die Gesetze zur illegalen Einwanderung verschärft und die Praxis des Abfangens auf hoher See ausgebaut. Der amtierende Premier, Malcolm Turnbull, hat kürzlich einen Gesetzesentwurf vorgestellt, der es allen illegal per Boot eingereisten Asylsuchenden verbietet, jemals ein australisches Visum egal welcher Art zu erhalten. Ihnen soll somit auf Lebenszeit die Chance genommen werden, australischen Boden legal zu betreten. Dies soll alle nach dem 19. Juli 2013 in Internierungslager verbrachte Asylsuchende betreffen, egal ob ihr Flüchtlingsstatus anerkannt wurde und sie bereits in Australien leben, oder nicht.

Mit dem großen Andrang von Flüchtenden an Australiens Stränden kann man diese radikalen Maßnahmen jedoch nicht erklären. Innerhalb der letzten 20 Jahre wurden jährlich nur etwa 13.000 Flüchtende in Australien anerkannt. Worauf beruhen diese Maßnahmen also? Zum einen ist das erklärte Ziel die Abschreckung. Sind die Bedingungen in den Internierungslagern ausreichend prekär und die Chancen auf ein Erreichen Australiens fast unmöglich, so würden weniger Menschen die Flucht wagen. Doch dieses Kalkül rechnet nicht mit der Verzweiflung, die viele Flüchtende durchleben und zeigt auf, wie gnadenlos westliche Demokratien mit Menschen umgehen, wenn es ihren Interessen nutzt.

Zieht Europa nach?

Der österreichische Außenminister Kurz lobte die australische Einwanderungspolitik und trat dafür ein, Aufnahmelager »idealerweise auf einer Insel«1 einzurichten. Auch Thomas de Maizière spricht sich für Abkommen à la »Türkei-Deal« mit Nordafrikanischen Staaten aus, wonach Geflüchtete in Nordafrika »versorgt und betreut« werden sollen – ein Vorschlag, der auch der SPD gefällt.2 Dort, abseits der Festung Europa, sollen die Asylanträge dann bearbeitet werden. Diese Auslagerung von Asylbewerbern soll abschreckend wirken und somit »Menschenleben retten« und die Schlepperbanden stoppen.

Auf der Strecke bleiben das Grundrecht auf Asyl und der moralische Anspruch einer Gesellschaft an sich selbst. Auch werden die eigentlichen Ursachen der Flucht nicht angegangen sondern lediglich verzweifelte und schutzsuchende Menschen in Ländern mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz interniert und Asylbewerber als abschreckendes Beispiel für potentielle Nachahmer missbraucht.

Fußnoten


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