Antifaschistische Recherche ist kein Hobby oder Zeitvertreib. Sie muss strategisch nach Einschätzung von Ressourcen und Nutzen eingesetzt werden, um Informationen bereitstellen zu können. Diese Informationen können, für die jeweiligen Zielgruppen und adressierten Zusammenhänge, grundlegend oder fördernd für weitere politische Diskussionen sein und gegebenenfalls auch als Bildungsgegenstand fungieren. Recherchearbeit kann dabei auch Teil von antifaschistischer Intervention sein, wenn sie dies als Ziel in ihrer Arbeitsweise (strategische Veröffentlichung / Informationsweitergabe, Forderungen) auch entsprechend konzipiert und formuliert.
Antifaschistische Recherche oder die Dokumentation von antifaschistischer Arbeit sind wichtige Grundlagen für eine politische Praxis. Es ist keine »zusätzliche Aufgabe«, sie ist Bestandteil jeder Praxis, auch wenn sie in vielen Zusammenhängen erstmal nicht komplex und explizit erscheint. Wenn ich eine Demonstration gegen eine Neonazi-Kundgebung organisiere, muss ich wissen, was das für eine Neonazi-Kundgebung ist, wer sie angemeldet hat, mit wie vielen Personen gerechnet wird usw. An dieser Stelle beginnt bereits die Recherchearbeit für z.B. einen Aufruf und sie endet für dieses Szenario mit der Auswertung der Neonazi-Veranstaltung.
Das zu recherchierende Feld richtet sich dabei meist an den gesellschaftlichen Zuständen und Ereignissen aus. Im Zuge der Anti-Asyl- und rassistischen Proteste hat sich daher der Fokus automatisch auf »Bürgerinitiativen« und andere rassistische Zusammenschlüsse gelegt. Wenn sich immer mehr RassistInnen zusammenschließen und organisieren, muss das entsprechend dokumentiert werden: Sind bereits bekannte Neonazis in diesen Zusammenhängen organisiert bzw. führen sie diese Proteste? Wer sind die Teilnehmenden, die OrdnerInnen oder andere möglicherweise relevante AkteurInnen? Oftmals kann hier auf zurückliegende Recherchen zu organisierten Neonazis zurückgegriffen werden, um die aktuellen rassistischen Proteste ins rechte Licht zu rücken.
Antifaschistische Dokumentationen und Chroniken erscheinen im gegenwärtigen Moment, wenn Wohnungen und Häuser von Geflüchteten brennen, möglicherweise als übermäßige Fleißarbeit. Jedoch können sie vor allem in den Folgejahren zu wichtigen historischen Dokumenten werden. Darüber hinaus ermöglicht die langfristige und stetige Beobachtung neonazistischer Bewegungen neben dem Aufzeigen von Kontinuitäten auch im Rückblick die Reflektion und Bewertung der Erfolge und Niederlagen antifaschistischer Interventionen.
Dass wir Informationen von Antifa- oder Antira-Gruppen in der Regel den Pressemeldungen der Polizei oder Veröffentlichungen vom Verfassungsschutz vorziehen, ist Praxis. Recherchearbeit muss in jedem Fall, egal welche Quellen genutzt werden, dahingehend reflektiert werden. Einerseits, wie wir mit Informationen aus welchen Quellen umgehen und welchen Prinzipien wir dabei folgen. Andererseits stellt sich die Frage, welche Informationen wie wichtig sind, und: Wer entscheidet, was wichtig ist? Entscheidet die Quelle, mit welcher Priorität Informationen behandelt werden? Entscheidet der Recherche-Zusammenhang? Entscheiden die Umstände, welche Informationen in welcher Form veröffentlicht werden?
Mit der Veröffentlichung folgen Reaktionen, die zuvor zum Teil abgewogen werden können. Durch Outing-Aktionen steigen möglicherweise die Sicherheitsvorkehrungen der geouteten Personen. Dadurch wird es für die Recherchierenden aufwändiger, weiterhin Informationen zu beschaffen oder Aktivitäten zu verfolgen. Was also explizite Ziele von Outings sind — Konsequenzen für den Alltag, Unsicherheitsgefühl, die Kündigung des Arbeitsplatzes — ist mitunter gleichzeitig eine Erschwerung antifaschistischer Recherche. Daher beinhalten Recherche-Veröffentlichungen in den meisten Fällen nicht alle bekannten Informationen über einzelne Personen oder Zusammenhänge. Was zur Verfügung gestellt wird und was nicht, muss ohnehin abgewogen werden — auch in Hinblick auf die eigene zukünftige Recherche-Arbeit.
Wenn Informationen unkommentiert publiziert oder weitergegeben werden, können diese eine gewünschte oder passende Wirkung verfehlen oder gar gänzlich unnütz sein. Ebenso muss in vielen Szenarien abgewogen werden, wann ein guter Zeitpunkt ist, Informationen zu veröffentlichen. Wenn bestimmte Themen über einen konkreten Neonazi in der regionalen Presselandschaft vorrangig diskutiert werden, haben andere »Outings« oder sonstige Veröffentlichungen über andere menschenverachtende Aktivitäten oftmals keinen Raum, oder erfahren nicht die gewünschte Aufmerksamkeit. Dies ist besonders in kleineren Städten mit einer beschränkten Vielfalt von Medien der Fall. Es ist daher von immenser Bedeutung, Informationen strategisch positioniert, sowohl thematisch als auch zeitlich, herauszugeben.
Informationen über bestimmte Personen/Gruppierungen haben dabei erst Relevanz, wenn sie in einen Kontext gestellt werden. Erst durch die politische Arbeit, durch das Auseinandersetzen mit menschenverachtender Ideologie, mit politischer Theorie, wird das Recherchierte relevant und Teil einer zielorientiert arbeitenden antifaschistischen Praxis. Wenn die Recherche ohne Forderung nach diesem Kontext geschieht, ist sie ziel- und dementsprechend häufig wirkungslos.
Eine Veröffentlichung ist nicht gleich eine Veröffentlichung. Schaffen wir nicht erst unnötig Aufmerksamkeit durch einen eigenen Artikel über Neonazi-Aktionen und werten diese damit auf, anstatt diese einfach in einer jährlichen Chronik festzuhalten? Diese Frage kann nicht allgemeingültig beantwortet werden, sondern bedarf einer jeweiligen Abwägung verschiedener vielfältiger pro und contra Argumente. Von der Frage nach dem eigenen und/ oder gesellschaftlichen Fokus der aktuellen Debatten über gegebene Sachzwänge wie zeitliche oder finanzielle Ressourcen, bis hin zu Entscheidungen hinsichtlich der textlichen Positionierung basierend auf komplexen politischen Einschätzungen und Meinungen. Einen richtigen Weg gibt es nicht, nur einen jeweils begründeten und somit subjektiv guten.
Mit unserer Recherche folgen Konsequenzen, wenn wir gewisse Informationen in gewissen Kontexten und Zusammenhängen bereitstellen. Welche Informationen wir bereitstellen, liegt oftmals an uns. Das passiert positioniert, sodass wir nicht von außen auf Geschehnisse schauen und diese analysieren, sondern eben Teil dieser Zusammenhänge sind. Wir sind Teil dieser heutigen Geschichte und genauso verantwortlich, ob wir recherchieren, was wir an Informationen herausgeben und vor allem auch wann. Daher ist eine Verortung unsererseits immer wieder wichtig zu betonen — sich als antifaschistisch begreifende Menschen, die Zustände durch Informationsweitergabe verändern wollen, und hoffen, dass danach Interventionen folgen — sei es, dass die RassistIn ihre Arbeitsstelle verliert, der Neonazi-Verkaufsladen verschwindet oder auf Landesebene Demonstrationen und Gruppierungen verboten werden.
Dieser Artikel wurde erstmals im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) 112 im September 2016 veröffentlicht