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ZAG-Interview mit dem Bündnis gegen Rassismus

ZAG

Fünf Jahre nach dem öffentlich werden des Nationalsozialistischen Untergrundes ist zu wenig passiert und zu viel unverändert geblieben. Das Bündnis gegen Rassismus hat sich vor fünf Jahren, auf Grund der Enttarnung des NSU zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen Rassismus zu handeln.

Vom 29.10. bis 06.11.2016 wird das Bündnis eine Aktionswoche veranstalten, um Gedenken und Trauer mit neuen Initiativen und dem formierten Widerstand zu verflechten. Über das Bündnis und dessen Selbstverständnis mit Blick auf die Arbeit der letzten Jahre und die kommende Aktionswoche sprachen wir mit Nadiye und Zerrin aus dem Bündnis.

 

ZAG: Könnt ihr uns noch einmal die Hintergründe und die einzelnen Akteure hinter dem Bündnis gegen Rassismus erläutern?

Der Hintergrund des Bündnisses ist das Bekanntwerden der NSU-Mordserie und der öffentliche Umgang damit. Als vor fast 5 Jahren bekannt wurde, dass ein breitgefächertes Netzwerk bestehend aus Neonazis und staatlichen Apparaten mordete bzw. Hilfestellungen bot und der respektvolle Umgang mit den Opfern des NSU in Medienberichterstattungen fehlte, hat der Migrationsrat Berlin-Brandenburg zu einem breiten Treffen eingeladen. Zu diesem Treffen kamen sehr viele unterschiedliche Personen, die einen Umgang mit diesem Schock suchten. Schnell stellten wir in dieser Phase fest, dass wir vor allem von Rassismus betroffene Menschen und deren Analysen in den Vordergrund stellen sollten. Und so ist es bis heute geblieben. Einige haben nach dieser Entscheidung das Bündnis verlassen, aber vor allem der Großteil von Rassismus betroffenen Menschen ist geblieben, um dieses Bündnis weiter aufzubauen. Heute sind wir eine gemischte Gruppe, in der weiße Bevormundung wenig Raum hat und wir auf Augenhöhe politisch zusammenarbeiten. Auffällig ist dabei, dass wir uns sehr von klassischen weißen Antifa-Strukturen unterscheiden und intersektionale, aber auch generell politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse für uns benennen und diskutieren.

ZAG: Wie nimmt sich das Bündnis selbst war? Versucht ihr den NSU aufzuarbeiten oder möchte das Bündnis eine allgemeine politische Debatte über und gegen Rassismus führen?

Da wir keine homogene Gruppe sind, herrschen diesbezüglich natürlich unterschiedliche Wissensstände. Als Bündnis bieten wir Raum für Menschen, die sich mit den kleinsten Details des NSU-Umfelds beschäftigen und auch für die, die auf einer anderen Ebene ihre Kritik, Wut und Trauer über die rassistischen Verhältnisse in dieser Gesellschaft äußern. Wichtig ist uns allen dabei, dass alle als Expert*innen anerkannt werden. In der Vergangenheit, haben wir tatsächlich stärker versucht, Rassismus an sich als ein Machtmechanismus in dieser Gesellschaft zu verdeutlichen und Widerstandsstrategien auszuarbeiten. Weshalb wir auch dreimal das Festival gegen Rassismus auf dem Blücherplatz organisiert haben. Denn uns ist wichtig, in unserer antirassistischen Arbeit neben dem Reagieren auf Rassismus auch zu agieren. Das Festival war somit eine Plattform, in der gesellschaftliche Machtverhältnisse nochmal verdeutlicht wurden und wir uns gegenseitig unterstützt und neue Strategien überlegt haben. Das Festival ist für uns ein Ort des antirassistischen Widerstands von und für nicht-weiße Menschen geworden.

ZAG: Die geplante Aktionswoche in Berlin beinhaltet ein facettenreiches Programm, welche Aktionen sind genau geplant? Und sind auch Aktionen in anderen Städten geplant?

Wir vom Bündnis gegen Rassismus wollen anlässlich des fünften Jahrestags der sogenannten Selbstenttarnung des NSU eine Aktionswoche zwischen dem 29.10. und 06.11.2016 in Berlin durchführen. In der Aktionswoche werden an verschiedenen Orten in Berlin diverse Aktionen, Workshops und Interventionen im öffentlichen Raum stattfinden, wie etwa in Spätis, Cafés und Bibliotheken, auf Straßen und Plätzen und an anderen frequentierten Orten. Abschließen möchten wir die Aktionswoche mit einem ganztägigen Kongress am 05.11.2016, der eine Reihe von Panels, Workshops und Performances beinhalten wird, und einem Filmabend am 06.11.2016. Eine Gedenkdemonstration wird zur Zeit seitens anderer Gruppen geplant, mit denen wir ebenfalls vernetzt sind.

Thematischer Schwerpunkt der Aktionswoche ist Gedenken und Widerstand. Erinnern und öffentliches Trauern sind wichtige Formen des politischen Protests. Viele Initiativen wurden aus der Notwendigkeit heraus gebildet, Opfer rassistischer Gewalt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, und weiter an Aufklärung und Gerechtigkeit zu appellieren. Die Frage ist: Wie können wir Gedenken politisch wirksam gestalten? Wir gedenken im Rahmen der Aktionswoche den vom NSU Ermordeten und anderer Opfer rassistischer Gewalt. Wir möchten Erfahrungen mit institutionellem, strukturellem und Alltags-Rassismus sowie die Verschränkung verschiedener Diskriminierungsformen thematisieren. Desweiteren wollen wir Widerstandsstrategien verknüpfen und ausbauen. Wir vergessen dabei niemals Mölln, Rostock-Lichtenhagen, Solingen und immer noch brennende Geflüchtetenunterkünfte in Deutschland und ganz Europa. Wir sehen, wie sich die Geschichte um rassistische Mobilisierung in der BRD immerzu wiederholt. Die Geschichte wiederholt sich – aber wir kämpfen gemeinsam weiter, um unsere Geschichte am Leben zu halten.

ZAG: Was erwartet ihr von den Panels und Performances auf dem Kongress und was können Teilnehmer von den Workshops, die dort angeboten werden, erwarten und mitnehmen?

Das Programm der Aktionswoche und auch des Kongresses steht noch nicht genau fest. So viel kann allerdings schon gesagt werden: Am 5.11.2016 möchten wir vor allem den Analysen und Belangen der Betroffenen des NSU und anderer rassistisch motivierter Mordanschläge sowie generell von Rassismus Betroffenen einen Raum geben. Wir denken nämlich, dass einerseits in der öffentlichen Debatte um den sogenannten NSU-Skandal als auch in linksradikalen Diskussionen die Täter*innen und deren Umfeld im Vordergrund stehen und nicht so sehr, was die Analysen, Belange und Forderungen der Betroffenen sind. Wie soll es also nach dem Tag X – dem Ende eines kaltblütig und halbherzig geführten Gerichtsverfahrens um das mutmaßliche »Terrortrio« – für uns alle weitergehen? Einen weiteren Programmpunkt werden internationale Antira-Aktivist*innen füllen, die wir für unsere Diskussionen sowie Workshops zu »Gedenken und Widerstand« nach Berlin eingeladen haben.

ZAG: In eurem Aufruf für die Aktionswoche fragt ihr: »Was können wir im Zuge des NSU-Skandals lernen?« Habt ihr als Gruppe bereits eine Antwort darauf gefunden?

Ich glaube nicht, dass es dazu eine universelle Antwort gibt. Denn jede und jeder wird aus dem NSU-Skandal unterschiedliche Dinge für sich gelernt und mitgenommen haben. Was wir aber dennoch festhalten können ist, dass wir uns organisieren müssen, um gehört zu werden. Dies haben uns die Angehörigen der NSU-Opfer nochmals gut verdeutlicht. Sie sind von Beginn an davon ausgegangen, dass rechte Strukturen hinter den Morden stecken und dass es einen Zusammenhang zwischen den neun Morden gibt. Es hat ihnen nur niemand zugehört.

ZAG: Wie können antirassistische Gruppen der Vereinfachung des Problems entgegenwirken? Ihr stellt euch als Bündnis entschieden gegen die einfache Darstellung des NSU als kleine Terrorgruppe. Wie können die Tatsachen der Unterwanderung bis in staatliche Institutionen sichtbar gemacht und wie kann gegen eine Ausdehnung rechtsradikalen Gedankenguts gewirkt werden?

Diese Frage hat viele Ebenen und es wird mir schwer fallen, das in ein paar Sätze zu quetschen. Aber ich möchte damit anfangen zu sagen, dass wir – also alle in dieser Gesellschaft samt ihrer Institutionen – begreifen und praktizieren müssen, dass Rassismus ein solides also unumkehrbares Machtverhältnis ist. Dafür steht die politische Arbeit des Bündnisses gegen Rassismus von Anfang an. Wir werden uns also weiterhin selbst organisieren, Öffentlichkeit herstellen und uns von keinem Weißen (Deutschen) vorschreiben lassen, wie wir das zu tun haben – egal aus welcher Ecke der nun auch kommen mag. Wir erleben es nämlich leider zu oft, dass wir – im großen weißen deutschen Antifa-Mythos immer noch als Randerscheinung wahrgenommen werden, statt als Genoss*innen, Mitstreiter*innen und politische Subjekte. Dies sehen wir eben auch an einigen »antirassistischen« Gedenkinitiativen, die mehrheitlich aus weißen deutschen Aktivist*innen bestehen und sich als die einzigen Akteur*innen im Gedenken und im Kampf für Gerechtigkeit für Opfer von rassistischer Gewalt inszenieren. Wenn man sich aber die Geschichte des antirassistischen Widerstands – mindestens seit den 1990ern – anschaut, wird man erkennen, dass es immer schon die Communities der Betroffenen gewesen sind, die sich als allererstes zur Wehr gegen den rassistischen Konsens in Deutschland gesetzt haben. Ich denke aber trotzdem, dass sowohl das Bündnis gegen Rassismus als auch viele andere antirassistische, antikoloniale und antikapitalistische Initiativen sowie Einzelpersonen und nicht zuletzt auch die Geflüchtetenproteste in Deutschland die verschiedenen Formen und Gestalten des alltäglichen und institutionellen Rassismus in der BRD aufzeigen. Schade ist nur, dass wir diese Kräfte zurzeit nicht allzu gut gebündelt bekommen. Das hat mehrere Gründe, aber vor allem denke ich hängt es damit zusammen, dass wir – ganz im Gegensatz zur weißen deutschen Antifa – keine eigenen Orte und Infrastruktur haben, um uns besser selbst zu organisieren und zu wachsen.
Um also zum letzten Teil der Frage zu kommen: Ich denke, dass es uns an kritischem Wissen und Analysen nicht mangelt; aber ist diese Gesellschaft bereit, diese zu hören und ernst zu nehmen, ohne sich gleich in ihren Privilegien bedroht oder sonst wie auf den Schlips getreten zu fühlen?        

Mehr Infos

Für weitere Informationen über das Bündnis gegen Rassismus und die Aktionswoche »Nein zu Rassismus in Politik, Alltag und Institutionen« findet ihr hier: www.buendnisgegenrassismus.org


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