Mann kommt von Brasilien nach Portugal und auf keinen grünen Zweig. Eigentlich wäre inhaltlich kaum mehr zu sagen zu dem Buch des gefeierten Autors Luiz Ruffato, wird er doch allenthalben gerade für seinen lakonischen Stil gelobt. Lakonischer Stil, in den Augen des Betrachters vielleicht ein bisschen lapidar, böse Kommentator*innen könnten sich gar zu einem "belanglos" versteigen.
Also nochmal wohlwollender.
Ségio de Souza Sampaio aus Cataguases erzählt seine Lebensgeschichte. In einfachen, armen Verhältnissen aufgewachsen, zu bescheidenen Symbolen eines geringen Wohlstandes gekommen, scheitert seine Ehe an den manisch-depressiven Phasen, die seine Frau seit Geburt ihres gemeinsamen Sohnes entwickelt. Aus der nachbarschaftlichen Enge und unendlich vielen Anfeindungen und Boshaftigkeiten flüchtend, entscheidet sich Ségio, in Portugal sein Glück zu versuchen. Als Auswanderer von seinem Barrio gefeiert und beneidet, verlässt er Brasilien und landet in einer einfachen Pension in Lissabon und das Glück lässt auf sich warten, da er erst nach längerer Zeit durch Beziehungen einen Job in einem Restaurant findet. Bescheidener Wohlstand in Europa, Geld sparen, die Familie, insbesondere seinen Sohn, unterstützen und später als "reicher Mann" zurückkehren sind seine Ziele, die – obwohl in Wunschträumen immer wieder ausgemalt – sich in der Realität einfach nicht einstellen wollen, denn der Lohn ist gering, das Leben teuer und die Überweisungen an die Familie in der Heimat nehmen den Löwenanteil des Geldes in Beschlag. Ségio lernt Sheila kennen und entwickelt eine zarte Liebe zu ihr, die jedoch jäh endet, nachdem sie in finanzielle Schwierigkeiten gerät und untertaucht. Ségio verliert bei dem Versuch, ihr zu helfen, seine Papiere an einen dubiosen Wucherer, später dann seinen Job in dem Restaurant und arbeitet von da an 'Sans-Papiers' als Bauhelfer für noch kleineres Geld.
Einfach und schnell zu lesen entwickelt der Roman seine Qualität wie ein guter Wein: Er muss lange im Hirn liegen, überlagert werden von alltäglichen Eindrücken um dann, irgendwann, halbvergessen, in der Erinnerung zurück zu kommen und das Gefühl zu spenden, er hätte an einem anderen Leben teilhaben lassen, das unsichtbar neben dem eigenen Alltag stattfindet. Vor seinem doch eher tristen und einfachen Handlungsrahmen breitet Luiz Ruffato ein Kaleidoskop verschiedenster Charaktere aus, die alle nach ihrem persönlichen Glück streben und dabei oft an ihrem Leben verzweifeln. Immer aus der Perspektive der Hauptperson des Buches beschrieben, reihen sich die Begegnungen und Erlebnisse wie eine Perlenkette auf, unaufgeregt beschrieben, unaufgeregt "erlebt". Erst aus diesen vielen kleinen Geschichten entwickelt der Kurzroman seine Stärke und lässt die Leser*innen teilhaben am alltäglichen Leben eines Migranten in Portugal.
Was das Lesen jedoch etwas behindert, sind die hier veranschaulichten Bandwurmsätze und willkürlich kursiv und fett geschriebenen Wörter. Eine Eigenart es Autors? Ein Sinn, der sich nur im portugiesischen Original erschließt? Wir werden es vermutlich nie erfahren.
„Ich war in Lissabon und dachte an dich“
von Luiz Ruffato
Übersetzt von Michael Kegler
2015 im Deutschen erschienen (Originalausgabe 2009), 76 Seiten
Verlag Assoziation A, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin
ISBN 978-3-86241-444-4