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Csak a szél, Just The Wind

Spielfilm über die Bedrohung von Romnja in Ungarn

Gaston Kirsche

Bis in die Kameraführung hinein, die auf Orientierung ermöglichende weite Bildausschnitte verzichtet, inszeniert der Spielfilm »Csak a szél, Just The Wind« beklemmend realistisch die Angst einer Familie, die in Ungarn während einer rassistischen Mordserie gegen Romnja ihren prekären Alltag bewältigt. Jetzt ist der Film auf DVD erhältlich.

In »Just The Wind« ist zu sehen, wie Mari, Anna, Rio und am Rande auch ihr Opa einen Tag verbringen, nachdem sie erfahren haben, dass in ihrer Nachbarschaft eine Romnja-Familie nachts in ihrem Haus erschossen wurde. Die bewegende Unmittelbarkeit, mit der Mari, Anna und Rio im Film zu sehen sind, und für welche »Just The Wind« bei der Berlinale 2012 erfreulicherweise den Silbernen Bären bekam, ist kein Zufall.

Bence Fliegauf hat sich zwei Jahre Zeit genommen, um die Siedlung und das Haus zu finden, in denen der Film spielt. Das fragile Haus, in dem die Familie im Film wohnt, ist mittlerweile nur noch eine eingestürzte Ruine, wie Fliegauf bei einem späteren Besuch des Drehortes feststellte.

Die Hauptfiguren haben Angst, sind ernst, Rio auch mal ausgelassen – mit anderen Jungs am See bei einer Wasserschlacht. Sonst ist er verschlossen, in sich gekehrt. Heimlich geht er in das Haus der ermordeten Familie. Blutspritzer kleben an der Wand, alles sieht aus wie eben noch benutzt. Er nimmt sich Konserven, eine Madonnenstatue. Da tauchen zwei Polizisten auf, Rio versteckt sich, wird so Zeuge wie der einheimische Beamte dem Auswärtigen erklärt, das Attentat hätte die Falschen getroffen: Wenn man ihn gefragt hätte – die getötete Familie sei fleißig gewesen, er hätte Bescheid geben können, welche Familie von raubenden Zigeunern sie statt dessen besser umgebracht hätten, besonders deren Kinder.

Sie sprechen ungarisch miteinander, Romanes spricht kaum jemand in Ungarn. Ist auch nicht gut angesehen. Obwohl geschätzte 10 Prozent der Bevölkerung Romnja sind. Antiziganistische Gewalt ist in Ungarn nichts Ungewöhnliches – bei einer Umfrage 2009 gab jedeR fünfte Romnja an, innerhalb der letzten zwölf Monate Opfer eines gewalttätigen Angriffes geworden zu sein. Aber die Jagdgewehr-Mordserie war auffällig brutal und folgte einem Muster: es waren nächtliche Überfälle auf bewohnte Häuser in Romanje-Siedlungen. Meist wurden Brandsätze geworfen, dann vor der Tür auf die vor dem Feuer Fliehenden geschossen. Im Vorspann des Filmes ist von Überfällen auf 16 Häuser die Rede, bei denen 63 Schüsse aus Jagdgewehren auf 55 Opfer abgegeben wurden, von denen fünf schwer verletzt wurden und sechs starben. »Just The Wind« konzentriert sich auf den gesellschaftlichen Antiziganismus. Der institutionelle Antiziganismus der völkischen Regierung von Verwaltung und Justiz kommt nicht vor, dafür stellvertretend der innerhalb der Polizei. Was gezeigt wird an Elend und rassistischer und klassistischer Ausgrenzung ist nicht übertrieben: »Die Lebensumstände der ungarischen Roma sind realistisch dargestellt«, so Eszter Jovánovics von der Bürgerrechtsorganisation TASZ, »ich fand den Film sehr gut und die meisten Leute, die ich kenne, auch«. Völkische Ungarn kritisierten »Just The Wind« bereits heftig, bevor er überhaupt ins Kino kam. Regisseur Fliegauf meinte, damit hätten sie eine Gegenreaktion provoziert und oppositionelle Ungarn dazu motiviert, sich den Film im Kino anzuschauen. Der Film fand so erfreulicherweise ein großes Publikum, über die für Bürgerrechte von Romnja Aktiven hinaus.

Mehr Infos:

Infos auf Englisch zur Lage der Romnja in Ungarn: Társaság a Szabadságjogokért (TASZ), Hungarian Civil Liberties Union – HCLU: http://tasz.hu/en

Bücher mit Hintergrundinformationen zum Film

Alexandra Bartels et al (Hg.) »Antiziganistische Zustände 2 – Kritische Postionen gegen gewaltvolle Verhältnisse«, Unrast 2013. Mit einem Kapitel von Andreas Koob über die Bürgerwehren in Ungarn.

Holger Marcks, Andreas Koob, Magdalena Marsovszky: „Mit Pfeil, Kreuz und Krone – Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn, Unrast 2013.

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