Der kurze Sommer der Humanität ist zu Ende. Die Kommentare in ZEIT, DIE WELT und FAZ läuteten sein Ende ein: Flüchtlingen wurde nicht zugetraut, das Grundgesetz zu akzeptieren, ihnen wurde unterstellt, dass sie die Rechte von Frauen und Homosexuellen missachten würden. In diesen Kommentaren war keine Rede von katholischen Fundis, dem »Marsch der 1000 Kreuze«, der »Demo für Alle« oder der AfD, die tatsächlich große Probleme mit Menschenrechten, Gleichberechtigung und sexueller Selbstbestimmung haben.
Die Medien verlieren sich ganz überwiegend in tagesaktuellen Berichten über die humanitäre Katastrophe in Deutschland und anderswo in Europa, die Situation der Kommunen, die helfenden Deutschen und die besorgten Bürger (und Bürgerinnen), die ganz überwiegend Rassist*innen sind und gemeinsam mit Neonazis spazieren.
Schon der Begriff »Flüchtlingskrise« ist ebenso wie der der »Flüchtlingskatastrophe« irreführend. Tatsache ist, dass die Verwaltung von Flüchtlingen in der Krise steckt. Durch die vielen Menschen, die in die EU und nach Deutschland kamen, zeigten sich die Mängel in Asylverfahren und -gesetzgebung. Die Bürokratie kam an ihre Grenzen. Die Ankommenden mussten in Notunterkünften untergebracht werden, die Kapazitäten zur Registrierung und Bearbeitung der Anträge auf Asyl reichten nicht aus. Das LAGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in Berlin ist das hervorragende Beispiel für die Überforderung der Administration. Die Gründe für dieses Versagen sind mannigfaltig. Das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) hatte die Zahl der ankommenden Asylsuchenden unterschätzt und musste nachkorrigieren. Die Altfälle, die teilweise über Jahre beim BAMF bearbeitet wurden, sind nicht abgearbeitet worden. Im Berliner LAGeSo kam hinzu, dass das Personal über längere Zeit nicht aufgestockt wurde und nicht in die Infrastruktur des Amtes investiert wurde. So verfügt das LAGeSo über kein eigenes Computersystem zur Bearbeitung der Fälle.
Die Unterbringung der Ankommenden konnte bundesweit nur mit Notmaßnahmen bewältigt werden. Am LAGeSo mussten die Wartenden vor dem Amt kampieren, teilweise erhielten sie keine Unterkunft und ihre Versorgung mit Getränken und Essen wurde von Freiwilligen übernommen. In Berlin wurde frühzeitig mit der Planung von Notunterkünften begonnen. Ziel war es, allen Asyl suchenden bis zum Ende des letzten Jahres eine Unterkunft zu gewährleisten. Dazu wurde das in weiten Teilen leer stehende Gebäude des ehemaligen Flughafens Tempelhof mitten in der Stadt zu einer Notunterkunft umfunktioniert. Denkbar ungeeignet für diesen Zweck soll es mehrere tausend Menschen aufnehmen und das größte Lager in Deutschland werden. Dies ist nur die Spitze eines allgemeinen Versagens. Seit 2008 wurden in den Bundesländern mit Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften Unterbringungskapazitäten abgebaut. Die Unterbringung in Notunterkünften, die keinen Standards genügen, ist das Ergebnis.
Viele sprechen von einem Staatsversagen. Dieses Versagen wurde durch neoliberale Politiken herbeigeführt und die aktuelle Situation in Kauf genommen. Es ging nach dem Muster: Alle Akteure verfolgen ihre Interessen und am Ende kommt Mist heraus, aber irgendjemand hat davon bestimmt profitiert. In diesem Fall sind es Unternehmen, die Notunterkünfte einrichten und betreiben sowie Politiker*innen und Parteien, die die Angst vor Flüchtlingen, welche sie zuvor geschürt haben, instrumentalisieren.
Nachdem klar wurde, dass die Administration nicht ohne Änderung der Rahmenbedingungen die Situation bewältigen kann, wurde die Frage des Flüchtlingsstatus von einem menschenrechtlichen zu einem quantitativen Problem umgedeutet. Als neuer Leiter für das BAMF wurde der Leiter der Bundesarbeitsagentur Weise eingesetzt, welcher mit modernsten Managementmethoden die Situation in den Griff bekommen sollte. Die Fälle der Antragstellenden wurden unterschieden in »Aussicht auf Erfolg« und »ohne Aussicht auf dauerhaften Verbleib«. Zusätzlich wurden neue »sichere Herkunftsstaaten« benannt, so dass die Anerkennungsrate gesenkt und Abschiebungen beschleunig.
Dass auf dieser Liste von Staaten auch Afghanistan stehen soll, mag verwundern, ist aber angesichts des Anteils von Afghan*innen, die Schutz in der EU suchen, nur konsequent; selbst wenn es paradox klingen mag. In Österreich hat man folgerichtig Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen eingeführt. Um all dies zu gewährleisten, wird in der BRD die Asylgesetzgebung verschärft. Den Flüchtenden soll kein Anreiz geboten werden, nach Deutschland zu kommen.
In der EU baut man Zäune und verhandelt mit der Türkei über die Rücknahme von Geflüchteten. Dabei werden die formalen Standards hinsichtlich der: Menschenrechte und EU-Vereinbarungen, verletzt und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unterlaufen. In Fragen der Humanität hat die EU eindeutig versagt.
Die Geflüchteten werden als Objekte der deutschen Politik behandelt. Die Nachrichten sind voll von Berichten über die Situation von Menschen, die nach Deutschland flüchten. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht ihr Elend. Sie leben bei Minusgraden auf der Straße, frieren sich auf der Flucht zu Tode. Sie kommen aus Staaten, die seit Jahrzehnten unter Druck stehen, deren Landwirtschaft und Fischerei durch Fangflotten aus der EU und Industrialisierung der Landnutzung durch Agrar-Multis zum Erliegen gebracht werden. Verarmung und Migration sind die Folgen.
Die Proteste des Arabischen Frühlings haben die alten politischen Strukturen aufgebrochen. In Libyen, Ägypten und Syrien ist der Protest in Bürgerkrieg und neuerlicher Unterdrückung stecken geblieben. Die Entscheidung der Menschen dort war und ist: Protest oder Migration. Momentan richtet sich der Kampf einer internationalen Koalition gegen den IS im Irak, Syrien und Libyen. Und die EU und NATO unterstützen die Türkei und Saudi-Arabien bei ihrem Krieg gegen Kurden und die Regierung in Syrien. Die Konsequenz sind Flucht, Vertreibung, Tod und Verstümmelung.
In der öffentlichen Diskussion in Europa wird der Rassismus weiter gefördert: Das seien nicht die Flüchtenden, die wir uns gewünscht hätten. Die rechtspopulistische AfD feiert Erfolge, ähnlich wie andere nationalistische Parteien in Europa: FPÖ, der Front National, SVP und wie sie alle heißen. Die Stimmung schlägt um. Flüchtlingsunterkünfte werden in einem in der Bundesrepublik bisher ungekannten Ausmaß rassistischen Terrors angegriffen. Indes bagatellisiert die Politik diese Anschläge und verbreitet entweder Zuversicht wie die Bundeskanzlerin oder betreibt Panikmache, wie der Innenminister oder Herr Seehofer von der CSU.
In diesen Strudel wird auch antifaschistisches und antirassistisches Engagement hineingezogen. Was tun? Vor drei Jahren haben die Geflüchteten mit ihren politischen Aktionen noch medienwirksam auf ihre beschissene Situation aufmerksam gemacht. Heute gibt es immer noch genug Grund für solchen Widerstand.
Eure ZAG