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Schutz statt Almosen!

Die derzeitigen »regionalen Lösungen« sind kein Allheilmittel
für Bootsflüchtlinge in Südostasien

Antje Missbach

Mehr als zehn Tage brauchten die Außenminister von Indonesien, Malaysia und Thailand, um ein gemeinsames Abkommen zu unterzeichnen, auf dessen Grundlage tausende verdurstende und verhungernde Rohingya und Bangladeshis, die seit Wochen auf der Andamanensee vor sich hintrieben, gerettet werden sollten. Erst unter enormem internationalen Druck konnten sich Indonesien und Malaysia am 20. Mai 2015 dazu durchringen, 7.000 Bootsflüchtlingen vorübergehend Zuflucht zu gewähren.

Alarmiert von den ersten Bootsflüchtlingen, die am 10. Mai eintrafen, verstärkten zuerst alle drei Länder umgehend ihre Grenzkontrollen auf See. Indonesien entsendete drei Kriegsschiffe sowie ein Flugzeug. Anstatt die sich in Not befindenden Flüchtlinge an Land aufzunehmen, wurden ihre Boote – ausgestattet mit Proviant, Wasser und Benzin – wieder auf hohe See gebracht. Zur Rechtfertigung dieser Push-backs betonten alle drei Regierungen, dass die Bootsflüchtlinge doch eigentlich andere Zielländer hätten. So ging die tödliche Ping-Pong-Partie weiter. Währenddessen warnten die Vereinten Nationen, das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sowie die Internationale Organisation für Migration (IOM) davor, dass jede weitere Untätigkeit die Boote in schwimmende Särge verwandeln würde.

Trotz anderslautender Anweisungen des Militärs hatten Fischer aus der indonesischen Provinz Aceh bereits hunderte Rohingya und Bangladeshis gerettet. Mehr als insgesamt 3.000 war es geglückt, Indonesien und Malaysia selbstständig zu erreichen. Doch geschätzte 7-8.000 weitere Personen befanden sich noch auf der Andamanensee. Bei den zwei Tage nach Unterzeichnung des Abkommens einsetzenden Suchaktionen konnten allerdings kaum noch Bootsflüchtlinge gerettet werden.

Aufnahme für ein Jahr

Der neuerliche Flüchtlingsstrom setzte ein, nachdem die Existenz dutzender Camps im Dschungel in Südthailand und Nordmalaysia, in denen bis vor kurzem Schleuserbanden Flüchtlinge unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten hatten, auf einmal bekannt geworden war. Obwohl die Polizei und das Militär in beiden Ländern seit Jahren vom Menschenhandel profitieren, griffen die Behörden nun durch. Schließlich waren auch Massengräber mit mehr als 150 Leichen entdeckt worden. Wegen dieser Razzien gegen sogenannte Menschenhändler-Netzwerke mussten aber auch immer mehr Rohingya und Bangladeshis nach Indonesien bzw. Malaysia weiterreisen.

Der öffentliche Aufschrei darüber übersieht die Bedeutung der Schlepperrouten für die jeweiligen nationalen Ökonomien. In allen drei Ländern dienten die Asylsuchenden der Plantagen- und Fischindustrie als billige, leicht auszubeutende Arbeitskräfte. So wurden etwa bis vor Kurzem auf der indonesischen Insel Benjina hunderte Fischer aus Myanmar, Bangladesch und Kambodscha zur Arbeit unter sklavenähnlichen Bedingungen gezwungen. Da die Flucht der Asylsuchenden meist sehr lange dauert und sie dabei keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten, bleibt ihnen oft gar nichts anderes übrig, als ausbeuterische Arbeiten anzunehmen. Die Tatsache, dass sie arbeiten müssen, wird jedoch dazu benutzt, um sie als »illegale Arbeitsmigranten« zu diskreditieren – dabei sind sie in erster Linie auf der Suche nach Schutz und einem Leben in Sicherheit.

Das Abkommen zwischen Indonesien, Malaysia und Thailand ist an zwei Bedingungen geknüpft. Binnen eines Jahres muss die internationale Gemeinschaft für die Umsiedlung der Flüchtlinge in einen Drittstaat (Resettlement) oder für ihre Repatriierung sorgen. Ebenso muss sie alle Kosten für die temporäre Zuflucht inklusive jeglicher damit verbundenen humanitären Unterstützung sowie die Bearbeitung der Asylanträge durch das UNHRC tragen. Die Türkei hat der IOM und dem UNHCR 1 Million US$ und Katar 50 Millionen US$ zugesagt. Die Philippinen, die USA und Gambia haben signalisiert, anerkannte Flüchtlinge eventuell dauerhaft anzusiedeln. Aufgrund seiner extrem bornierten Asylpolitik, hat Australien hingegen deutlich gemacht, keinen einzigen der 7.000 Schutzsuchenden aufzunehmen.1

Kein Bleiberecht

Schon jetzt sind die UNHCR-Stellen in Kuala Lumpur und Jakarta wegen der sehr hohen Zahl registrierter Flüchtlinge und Asylsuchender überlastet.2 Jeden Monat kommen hunderte neue Asylsuchende dazu, ungeachtet der australischen Abschreckungskampagne »Operation Sovereign Borders«. Diese hatte die australische Regierung im September 2013 gestartet, um »die Boote zu stoppen« (wie es so schön unverblümt in den offiziellen Regierungsslogans heißt), die in den Jahren zuvor von Indonesien aus nach Australien übergesetzt hatten.

In Indonesien herrschen schlechte Bedingungen für Asylsuchende und Flüchtlinge. Von der Registrierung beim UNHCR bis zum ersten Interview müssen Asylsuchende zwischen sechs und siebzehn Monate warten. Die durchschnittliche Wartezeit auf die Umsiedlung in ein sicheres Drittland ist wegen der wenigen Plätze sogar erheblich länger. Seit Australien Ende letztes Jahres erklärte, keine anerkannten Flüchtlinge mehr aufzunehmen, die sich nach dem 1. Juli 2014 beim UNHCR in Jakarta registriert haben, sind die Chancen auf Resettlement noch geringer geworden.

Zwischen 2000 und Januar 2015 wurden von Indonesien aus 3.874 Personen umgesiedelt, meist nach Australien, Kanada, Neuseeland, Norwegen und Deutschland. 4.590 Menschen kehrten »freiwillig« in ihre Herkunftsländer zurück. Im Moment bereitet Indonesien die Repatriierung von 700 Bangladeshis vor, die unlängst zusammen mit den Rohingya eingetroffen waren. Die Rückführungen finden ungeachtet dessen statt, dass die Premierministerin Bangladeschs, Sheikh Hasina, die Geflüchteten öffentlich als »Geistesgestörte« bezeichnete, die mit ihrer Flucht den Ruf des Landes geschädigt hätten. Sie kündigte außerdem an, die Geflüchteten ebenso wie die Schlepper rigide zu bestrafen.

In Malaysia und Indonesien haben die Flüchtlinge keine Chance auf dauerhafte gesellschaftliche Eingliederung. In Indonesien wurden Asylsuchende und Flüchtlinge bisher in speziellen detention centres untergebracht. Da diese meist überbelegt sind, leben die meisten nun in von der IOM betriebenen und finanzierten Wohnprojekten inmitten der lokalen Bevölkerung. Doch gute Unterbringungsmöglichkeiten sind rar, und es bleibt unklar, wo genau die Neuankömmlinge leben sollen. Fest steht bisher nur, dass die auf Resettlement oder Repatriierung Wartenden in beiden Ländern unter der Verwaltung einer speziellen Taskforce stehen. Die finanzielle Eigenbeteiligung ist bisher dürftig; so kündigte die indonesische Ministerin für Soziales, Khofifah Indar Parawansa, an, umgerechnet lediglich Euro 130.000 für die Grundausstattung der Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Andererseits treffen täglich neue Spenden der Bevölkerung für die Flüchtlinge ein.

Die Rede von der »Lösung«

Während derzeit nach geeigneten Unterkünften gesucht wird, schlug Indonesiens Vizepräsident Jusuf Kalla vor, die Asylsuchenden auf einer gesonderten Insel unterzubringen. Solche Ideen sind nicht neu in Indonesien. Auf der damals wenig bevölkerten Insel Galang wurden von 1979 bis 1996 hunderttausende vietnamesische Flüchtlinge untergebracht. Ursprünglich sollten die Flüchtlinge nur maximal fünf Jahre dort bleiben, bevor sie in ein anderes Land umgesiedelt wurden. Doch die vollständige Umsiedlung zog sich über fast 20 Jahre hin, auch weil immer neue Flüchtlinge eintrafen. Obwohl Indonesien das Beispiel Galang gerne nutzt, um auf seine Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen hinzuweisen, hatten die Aufenthalte auf der Insel viele Schattenseiten. Ehemalige Flüchtlinge berichteten von Vergewaltigungen und Korruption, was der offiziellen Version von einer »reibungslosen« Unterbringung deutlich entgegensteht.

Die zeitweilige Unterbringung von Flüchtlingen auf Galang (und anderen Inseln in der Region) war Teil des sogenannten Comprehensive Plan of Action (CPA), einem der ersten regionalen Abkommen zur Bewältigung von größeren Flüchtlingsbewegungen. Das CPA basierte auf der Kooperation zwischen dem Herkunftsland (Vietnam), den Transitländern (Malaysia, Indonesien, Thailand und Hong Kong) und Empfängerländern (u.a. USA, Kanada, Frankreich, Australien).Von den damals 1,3 Mio vietnamesischen Flüchtlingen wurden unter dem CPA fast 1,1 Mio umgesiedelt; die Übrigen wurden zurückgeschickt. Der CPA wird nun verstärkt als mögliche Blaupause für eine neue »regionale Lösung« angepriesen. Eine solche fordern seit einiger Zeit auch Indonesien, Thailand, Malaysia und Australien.

Es ist verführerisch, in diesen Chor einzustimmen. Doch zuvor muss dringend geklärt werden, was das Ziel solch einer neuen »regionalen Lösung« sein soll. Bisher basiert die Idee von der »regionalen Lösung« für viele Staaten lediglich auf der Prämisse, dass Flüchtlinge in andere Länder umgesiedelt werden sollen – Hauptsache aber nicht im eigenen. Einige Staaten fordern auch, dass die »regionale Lösung« zukünftig verhindern soll, dass Flüchtlinge überhaupt erst ihre Herkunftsländer verlassen und in Transitländer kommen können. Sollte es bei der »regionalen Lösung« nur darum gehen, irreguläre Migrationsbewegungen von Asylsuchenden zu stoppen, wäre das äußerst problematisch. Es ist nicht nur naiv zu glauben, dass die menschliche Mobilität außerhalb von gesteuerten und regulierten Migrationssystemen vollständig verhindert werden kann. Eine derartige, auf effektiveren Grenzschutz zielende »Lösung« wäre außerdem noch lebensgefährlicher für Schutzsuchende.

»Regionale Lösungen« können nur dann begrüßenswert sein, wenn sie als mittel- und langfristig angelegte Prozesse verstanden werden, durch die Asylsuchenden und Flüchtlingen über die gesamte Asien-Pazifik-Region hinweg besserer und effektiverer Schutz garantiert wird. Falls es also den Staaten der Region, einschließlich Australiens, ernsthaft darum geht, Menschen in Not Schutz zu gewähren, dann muss ihre Politik mehr als nur Almosen bieten.


Übersetzung aus dem Englischen von Till Schmidt

Über die Autorin
Antje Missbach forscht seit 2010 zu der Situation von Asylsuchenden in Transitländern, vor allem in Indonesien, und schreibt derzeit an einem Buch darüber. Davor hat sie sich hauptsächlich mit der Politik der acehnesischen Diaspora und der separatistischen Bewegung Freies Aceh (GAM) beschäftigt. Zu ihren Büchern gehören: »Politics and Conflict in Indonesia: The Role of the Acehnese Diaspora«, Routledge, New York, 2011 (2012 übersetzt ins Indonesische) und »Freiheitskämpfer oder Geschäftemacher? Der bewaffnete Kampf der Gerakan Aceh Merdeka (GAM) unter Berücksichtigung klassischer und neuer Guerillatheorien«, Logos Verlag, Berlin, 2005.

Fußnoten

1 Siehe auch »Schlimmer geht immer« von Antje Mißbach in ZAG 67 http://zag-berlin.de/antirassismus/archiv/67_australische_fluechtlingspolitik.html

2 In Indonesien leben 4.806 anerkannte Flüchtlinge und 7.135 registrierte Asylsuchende, in Malaysia 98.207 bzw. 47.352. In Thailand halten sich sogar 132.838 Flüchtlinge (einschließlich der 57.500 nicht bei UNHCR registrierten Personen aus Myanmar in den Flüchtlingslagern) und 8.336 Asylsuchende auf (Zahlen von März 2015 bzw. Juli 2014).

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