ZAG
Die ZAG hat den Slogan »Je suis Charlie« auf ihrer Facebook Seite verwendet.
Dafür hat sie Kritik geerntet. Gut so. Wir nehmen dies zum Anlass, unsere Position zu erläutern und freuen uns auf eine lebendige Debatte.
Die Verwendung des Slogans war unsere spontane Reaktion auf die Anschläge in Paris gegen die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, in deren Verlauf acht Journalisten, ein Besucher der Redaktion, der Polizist Ahmed Merabet und eine weitere Polizistin ermordet wurden, in dessen Folge es zu einer Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt kam, bei der vier KundInnen erschossen wurden.
Den Slogan haben wir begleitet mit Postings gegen antimuslimischen Rassismus und gegen die absehbare Vereinnahmung des Anschlags und von Charlie Hebdo durch rechte Gruppen wie die FN, AfD, HOGESA, PEGIDA und die etablierten rassistischen Parteien in der Mitte des politischen Spektrums.
Unser Vorgehen wurde auf Facebook als »white solidarity« kritisiert und die Frage aufgeworfen, ob die ZAG sich mit der »anti-muslimischen, sexistischen und homofeindlichen Charlie Hebdo« identifiziere.
Dies geht unseres Erachtens am Thema vorbei.
Wir verurteilen die Anschläge.
Wir akzeptieren keine Rechtfertigung für den Mord an unbewaffneten Menschen.
Wir wollten mit dem Profilbild unser Mitgefühl mit allen Opfern und deren Angehörigen ausdrücken,
mit den Opfern in der Redaktion, im jüdischen Supermarkt und in der Polizei Im Nachhinein wurde uns klar, dass mit der Wahl des Slogans die Opfer außerhalb der Redaktion unsichtbar gemacht wurden. Dem wollen wir an dieser Stelle entgegenwirken.
In dem Mitgefühl mit den Opfern und in der Ablehnung der Tat sehen wir uns einig mit großen muslimischen Verbänden in Frankreich und in Deutschland.
Wer meint, dass es im Zusammenhang mit diesem Attentat sinnvoll sei, eine Grenze zu ziehen zwischen der Mehrheitsgesellschaft (white solidarity) auf der einen Seite und Muslimen und AntiRa auf der anderen Seite, der oder die betreibt das Geschäft der Hardliner auf allen Seiten.
Wir identifizieren uns nicht mit den Inhalten von Charlie Hebdo,
weil wir sie gar nicht gut genug kennen. Charlie Hebdo ist ein Satireblatt unter vielen. Wir wollen weder für noch gegen die Karikaturen Stellung beziehen. Wir sehen die Probleme woanders.
»Satire darf alles«
schrieb Kurt Tucholsky. Es ließe sich darüber streiten, ob die Vorwürfe von antimuslimischem Rassismus, Sexismus und Homophobie gegen Charlie Hebdo berechtigt sind oder nicht. Die Kritik müsste an der konkreten Publikation erfolgen. Es ist uns wichtig, dass auch grenzwertige Interventionen möglich sind und weiter möglich bleiben. Angst vor weiteren Anschlägen darf die Pressefreiheit nicht noch weiter einschränken, als dies durch staatliche Instanzen oder wirtschaftliche Abhängigkeit ohnehin schon geschieht. Selber denken ist eine Herausforderung.
Wir wenden uns mit »Je suis Charlie« bewusst gegen die Täter und gegen deren Antisemitismus.
Wir sehen keine emanzipatorische Perspektive im Antisemitismus der Attentäter und interpretieren deren religiösen Krieg nicht als Antiimperialismus.
Wir verstehen uns als linksradikale und säkulare Gruppe.
Wir kritisieren Religionen grundsätzlich und lehnen es ab, dass die oft von religiösen Gruppen ausgehende Intoleranz andere Personengruppen einschränkt. Als säkulare Gruppe behalten wir uns die Möglichkeit vor, Religionen und religiöse Gruppen zu kritisieren. Ebenso wie wir rechtsextreme oder nationalchauvinistische Gruppen in Deutschland und in aller Welt kritisieren.
Gegen Religionen und für Religionsfreiheit.
Wir verfechten das Recht auf Religionsfreiheit. Religionsfreiheit ist in Deutschland nicht gewährleistet, solange die katholische Kirche und die protestantischen Landeskirchen massiv institutionell bevorzugt werden. Wir kritisieren, dass die Staatskirchen viel zu großen Einfluss auf das öffentliche Leben haben (Rundfunkbeirat, Schulunterricht etc.). Wir kritisieren, dass der deutsche Staat die christlichen Kirchen direkt und indirekt finanziert. Religionsfreiheit ist so lange nicht gewährleistet, wie Menschen anderer Religionen an der Ausübung ihrer Religion gehindert werden oder daraus Nachteile in Kauf nehmen müssen. Religionsfreiheit ist so lange nicht gewährleistet wie die Mehrheitsgesellschaft zum Beispiel Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus reproduziert. Aus unserer emanzipatorischen Perspektive fordern wir das Selbstbestimmungsrecht aller Menschen.
Wir kritisieren religiös motivierte Gruppen, die diese Selbstbestimmungsrechte anderer unter Bezug auf ihr religiöses Dogma einzuschränken versuchen. Kein verletztes religiöses Gefühl rechtfertigt eine Mordserie.
Wir distanzieren uns von allen Solidaritätsbekundungen der Marke »Je suis Charlie«, deren Motive nicht mit den hier formulierten Überlegungen übereinstimmen.
Insbesondere distanzieren wir uns vom rechten Lager, also z.B. dem Front National, der AfD, PEGIDA, der CDU/CSU, aber auch der SPD. Leider können wir nicht verhindern, dass diese den Slogan aus gänzlich anderen Motiven gebrauchen.
Im Nachhinein erscheint die vorübergehende Wahl des Profilbildes als kritikwürdig, weil erstens die Opfer jenseits der Redaktionsräume unsichtbar wurden, zweitens weil wir damit in einer Reihe standen mit zahlreichen rechten antimuslimischen Personen und Gruppierungen, gegen die wir seit Jahren anschreiben und drittens, weil wir die damit assoziierten politischen Inhalte nicht klar kommunizierten.
Letzteres haben wir damit nachgeholt.
Womöglich haben wir uns vom Alarmismus der Mainstream Medien zu sehr beeindrucken lassen. Denn zur gleichen Zeit hat die islamistische Miliz Boko Haram im Namen des Glaubens zwischen 150 und 2000 Zivilistinnen und Zivilisten brutal ermordet und die Stadt Baga fast dem Erdboden gleich gemacht. So gesehen hätte es an diesen Tagen heißen müssen
»Nous sommes Baga – we are Baga«.