Im letzten halben Jahr hat der antimuslimische Rassismus eine steile Karriere hingelegt. Dazu haben die Leitmedien kräftig beigetragen. Unter anderem der Spiegel. Von seinem Herausgeber aus der Flakhelfergeneration (Rudolf Augstein) wurde der SPIEGEL noch als »Sturmgeschütz der Demokratie« gefeiert. Zwischenzeitlich entwickelte sich der Spiegel zu einem FOCUS für Sozialdemokraten, der sich in jedem zweiten Heft mit Adolf Hitler beschäftigte. Aber seit 2001 ist der SPIEGEL wie auch die meisten anderen Leitmedien »embedded journalism« im »war on terror«. Diese Einbettung drückte sich dadurch aus, dass jedes zweite Heft mit der »Bedrohung durch den Islam« aufmacht – das Sturmgeschütz der Reconquista.
Bis vor einem halben Jahr gab es noch halbherzige Diskussionen darüber, dass es vielleicht übertrieben sei, alle Muslime in einen Topf zu werfen. Aber dann wurden plötzlich die bösen ISIS-Salafisten entdeckt. Irgendwie tauchten die plötzlich und überraschend auf der Bühne des Weltgeschehens als Bösewichte auf. Die mediale Einhelligkeit war von Anfang an Besorgnis erregend. Vom Neuen Deutschland über DIE ZEIT bis zur FAZ waren sich alle in der Verurteilung der »bestialischen wilden Kreuzritter« einig.
Und da dauerte es auch nicht lange, bis die angeblichen unpolitischen besorgten Hooligans gegen den Salafismus die politische Bühne betraten. Von wenigen Autonomen abgesehen zeigten sich die politische Öffentlichkeit und die Polizei überrascht über den Zulauf. Nachdem das Konzept, die unzufriedene Mitte mit rassistischen Themen zu mobilisieren, nur teilweise aufging, weil viele Bürger_innen Hooligans fast so widerlich finden wie Salafisten, entstand folgerichtig PEGIDA – Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Und zack – wurde aus Salafismus Islamisierung. Hier sammeln sich keine Nazis, nur Mitläufer. Die große deutsche Tradition des »Nachher-nix-gewusst-habens« wird hier gepflegt.
Ironischerweise skandieren sie den Nazi-Slogan von der »Lügenpresse«. Das ist doppelt ironisch, weil sie einerseits behaupten, keine Nazis zu sein und weil sie andererseits ihre Angst aus der »Lügenpresse« haben. Harald Martenstein hat mit seiner Polemik den Vogel abgeschossen: »In Sachsen gibt es so viele Muslime wie in Saudi Arabien Weinlokale. Da könnte man auch gleich gegen die Alkoholisierung des Morgenlandes demonstrieren.« Wer allerdings in Saudi Arabien demonstriert, läuft Gefahr, von deutschen Panzern niedergewalzt zu werden. Denn der Aufstandsbekämpfungs-Leopard II ist in der Region sehr beliebt. Es könnte einem aber auch passieren, dass man mit dem Schwert geköpft wird. Denn das diplomatische Partnerland für Sicherheit und Öllieferungen pflegt all die bestialischen Bräuche der Salafisten: Köpfung mit dem Schwert, auspeitschen – das ganze Programm. An der Stelle möchte man meinen, haben weder unsere Medien noch die Regierung den Schuss gehört.
Weit ab vom Schuss war auch die sächsische Polizei. Was ist, wenn ein 26-jähriger toter Mann aus Eritrea blutüberströmt vor der eigenen, mit Hakenkreuzen beschmierten Haustür liegt? Da kann man Fremdeinwirkung natürlich erst einmal ausschließen. Ganz sicher. Vermutlich Nasenbluten. Jedenfalls nichts mit Rassismus. Von daher war es auch plausibel, einen Zusammenhang mit der wenige Tage zuvor gestellten Anzeige wegen rassistischer Angriffe auf die Wohnung und Hakenkreuzschmierereien gleich mal auszuschließen.
Bei der glücklicherweise gesetzlich vorgeschriebenen Obduktion kommt dann einen Tag später ans Tageslicht: Zahlreiche – offensichtlich für Sanitäter und Polizei unsichtbare – Messerstiche waren die Todesursache. Um dann nach 30 Stunden zu schauen, ob es vielleicht doch noch ein paar verwertbare Spuren am öffentlich zugänglichen Tatort gibt.
Mittlerweile scheint die Tat aufgeklärt, irgendwie gab es wohl doch noch Spuren und ein Mitbewohner hat wohl sogar gestanden. Nach den NSU-Morden bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Auch hier wurde zuerst im Umfeld der Opfer ermittelt und rassistische Motive wurden kategorisch ausgeschlossen.
Der Beigeschmack ist auch deshalb so bitter, weil das dieselbe Polizei ist, die Marwa El-Sherbini im Gericht nicht geschützt hat. Dieselbe Polizei, die bei der tödlichen Messerattacke des rassistischen Russlanddeutschen erst einmal das Feuer auf den Ehemann von Marwa El-Sherbini eröffnete. In der Dresdner Polizei scheint eine dunkle Hautfarbe gleich zu dem Schluss »Selbstmord« oder »Täter« zu führen.
Eure ZAG