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ANTIRASSISMUS UND GESELLSCHAFT

DEN FALLSTRICKEN DER »FEUERWEHRPOLITIK« ENTKOMMEN

MAXIM KAMMERER, FELIX BENJAMIN & DAN CHARMS

»Das Problem heißt Rassismus – doch was heißt das?« fragten wir in einem Artikel für das Antifaschistische Infoblatt,1 der einen antirassistischen Debattenbeitrag um die »Krise der Antifa« darstellte. Ausgehend von dem aktuellen Slogan »Das Problem heißt Rassismus« haben wir eine kursorische Analyse der Rassismuskonzeptionen in Antifa wie auch Antira vorgenommen und unterstellt, dass Engführungen jeweils dazu führten, dass die Mordserie des NSU nicht wahrgenommen werden konnte. Aber auch jenseits der Frage, warum der NSU über viele Jahre hinweg morden konnte, ohne dass der rassistische Gehalt dieser Taten thematisiert wurde, geht es uns um eine Neubestimmung eines Antirassismus.

Wenn wir von Engführungen der Rassismuskonzeptionen sprechen, meinen wir, dass die antifaschistische Bewegung vor allem die Praxis der Neonazis im Blick hatte, während sich für die antirassistische Bewegung konstatieren lässt, dass sie sich mit einem Rassismusbegriff beschäftigte, der um die Figur des Flüchtlings kreiste. Dies war durchaus mit der Politik der Flüchtlingsselbstorganisationen wie etwa The Voice oder Karawane kompatibel, auch wenn diese den Rassismus primär aus einer postkolonialen Perspektive verstanden. Die Politik funktionierte damit vor allem als direkte Identitätspolitik, oder zumindest als ›identity politics by proxy‹, es ging also nicht um die »eigene Identität«, aber um die Identität einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe.

Alle diese Konzepte können aber, so unsere These, trotz ihrer jeweiligen wichtigen Einsichten, Rassismus in Deutschland und Europa heute nur bedingt fassen. Als Manko sehen wir, dass sie letztendlich nur eine Praxis ermöglichen, die den Rassismus anklagt, aber damit über einen Appell, rassistische Praktiken zu ächten, kaum hinausgehen kann. Folglich konnten Strategien zu seiner Bekämpfung, geschweige denn zur Transformation von Gesellschaft, entweder nicht formuliert werden oder blieben zu häufig wirkungslos und marginalisiert. Um den Fallstricken der »Feuerwehrpolitik« und der eigenen Marginalisierung zu entkommen, muss linksradikale antirassistische Politik die Gesellschaft stärker als ihr Aktionsfeld betrachten. Als Ausgangspunkt hierfür schlagen wir vor, Rassismus als soziales Verhältnis, als Form der sozialen Auseinandersetzung zu verstehen und davon ausgehend Gesellschaft zu analysieren. Das bedeutet, dass wir Rassismus nicht als eine weitestgehende homogene und ahistorische Ideologie betrachten, sondern ihn als Ausdruck sozialer Kämpfe verstehen, in deren Kontext er sich (re-)konstituiert und wandelt. Oder, in den Worten von Manuela Bojadžijev: »Konjunkturen des Rassismus bestimmen, organisieren und reorganisieren sich in Kämpfen, d.h. in sozialen und politischen Auseinandersetzungen, die ihre Opponenten […] erst in ihrer Identität und Formation hervorbringen, reproduzieren und transformieren.«2

Was bedeutet eine solche Perspektive auf Rassismus für eine Gesellschaftsanalyse und antirassistische Praktiken? Wir wollen in diesem Beitrag exemplarisch zwei Konfliktfelder beleuchten, in denen Rassismus wirkmächtig ist: einerseits das Aufkommen der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) im Zusammenhang mit der Krise in der EU sowie andererseits die neue Offensive gegen das Asylrecht. In diesen Konfliktfeldern fordern die Kämpfe der Migration und Forderungen nach Repräsentation und gesellschaftlicher Zugehörigkeit rassistische Verhältnisse heraus.

AFD

Wenn wir die Frage nach der AfD im Zusammenhang mit einer Analyse des Rassismus stellen, so verweisen wir nicht auf die in letzter Zeit bekannt gewordenen Biographien und Einstellungen ihres Personals, die vor allem nach den Landtagswahlen der letzten Wochen an die Öffentlichkeit kamen. Tatsächlich bietet die AfD nun die gewohnte Angriffsfläche antifaschistischer Politik, die vorher scheinbar gefehlt hatte.

Uns interessiert in der Tat vielmehr die anfängliche Sprachlosigkeit der Linken, als die AfD als neue Kraft am rechten Rande auftauchte, sich aber gängiger Interpretationsmuster zunächst entzog. Mit ihrem Fokus auf vermeintlich lediglich wirtschaftspolitische Themen, wie etwa den Euro-Ausstieg Deutschlands und Andeutungen einer neoliberalen, an ökonomischen Kriterien ausgerichteten Einwanderungspolitik, blieb ihr rassistischer Charakter verdeckt. Doch ein unverstellter Blick auf ihre politischen Forderungen offenbart, dass sich die AfD genau in die gegenwärtige Konjunktur des Rassismus einreiht. Denn seit der Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland geht es der deutschen Migrationspolitik nicht mehr um die Aufrechterhaltung der Maxime der Null-Einwanderung, sondern um eine Kontrolle der Migration unter sozio-ökonomischen Nützlichkeitsaspekten, was fortgesetzt mit Hilfe rassistischer Zuschreibungen geschieht. Das gilt für den Diskurs um die IT-Fachkräfte aus Indien, der 1999 auf der CEBIT begann, genauso wie er sich heute mit der Einstufung von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien als »sichere Herkunftsstaaten« fortsetzt und der vor allem im Rückgriff auf antiziganistische Stereotypen ermöglicht wurde.

Denn auch wenn es sich vordergründig um einen Angriff auf das Asylrecht handelt, so geht es im Kern doch um eine Beschränkung europäischer Binnenmobilität. Unter diesem Aspekt erschließt sich auch der Rassismus des Euro-Sezessionismus, der das politische Kernanliegen der AfD war und immer noch ist. Denn der Austritt aus dem Euro ist nichts anderes als eine Politik der Re-Nationalisierung und damit auch die Aufkündigung des europäischen Projekts. Offensichtlich ist, dass dies auch schwerwiegende Auswirkungen auf europäische Freizügigkeitsrechte hätte und damit direkt gegen die Migration als Krisenbewältigungsstrategie der südeuropäischen Gesellschaften gerichtet ist. Letztendlich geht es der AfD also um eine rassistische Spaltung Europas, die sich nahtlos in die medialen Diskurse auf dem Höhepunkt der Eurokrise einfügt.

Auch wenn die allzu platten und populistischen Bilder und Slogans nicht mehr auf den Titelblättern von »Spiegel« und »Bild« zu finden sind, so hat sich das problematisierende Sprechen über die EU-Binnenmigration dennoch eigene Bilder und Figuren geschaffen. Die sogenannte Armutsmigration, die zwar statistisch kaum existiert, aber dafür umso mehr Aufmerksamkeit als Problem, das es zu lösen gelte, erhält, sowie die neue Problematisierung von Betteln im öffentlichen Raum sind die neuen rassistischen Chiffren, mit denen es sich auseinanderzusetzen gilt. Dabei kann es jedoch nicht darum gehen, analog zum Flüchtling nun eine sympathische Figur des »Armutsmigranten« zu schaffen und zu verteidigen, wie es eben auch nicht darum gehen kann, diese Chiffren lediglich zu dekonstruieren. Der Rassismus funktioniert und reproduziert sich über diese Chiffren. Ein Antirassismus, der Rassismus eben nicht als falsches Wissen begreift, sondern als zielgerichtetes Projekt gesellschaftlicher Hierarchisierung, muss genau auf diese Transformationen eingehen.

ANGRIFF AUF DAS ASYLRECHT

Die letzten zwei Jahre waren geprägt durch eine Vielzahl von Kämpfen Geflüchteter um Rechte und gegen den rassistischen Ausschluss, den diese in Deutschland vielfach erfahren: Residenzpflicht, Lagerunterbringung, Abschiebungen und quälende Asylverfahren, um nur einige Punkte zu benennen. Sie prangerten Rassismus nicht nur an und setzten das Thema Flucht und Asyl offensiv auf die politische Tagesordnung, sondern erzielten in der Tat auch konkrete Erfolge.

Die derzeit von der Großen Koalition vorgeschlagenen asylpolitischen Verschärfungen sind zwar keine direkte Reaktion auf die Protestbewegung der letzten Jahre. Klar ist aber auch, dass die bisherigen Politiken der Migrationskontrolle des Staates an ihre eigenen Grenzen stoßen. Abschiebungen konnten in den letzten Jahren immer schwerer legitimiert und durchgesetzt werden und auch die Verbannung einer Vielzahl von Flüchtlingen in den prekären Status der Duldung erscheint in Hinsicht auf den an allen Ecken und Enden aufflammenden Widerstand von Flüchtlingen als zunehmend riskante Strategie. Auch das Zugeständnis der Bundesregierung an die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs, die Residenzpflicht nun bundesweit aufzuheben, ist letztendlich ein überfälliger Schritt: Ihre Legitimation und Durchsetzbarkeit hat sie spätestens mit den Protesten verloren, in denen ihr offensiv und in einem klassischen Akt »zivilen Ungehorsams« Widerstand entgegen gebracht wurde.

Gleichzeitig kann, gerade angesichts der derzeitigen weltpolitischen Lage, den meisten Flüchtlingen auch unter den engen Anerkennungskriterien des Bundesamts die Flüchtlingseigenschaft nicht abgesprochen werden. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zur Argumentation der 1990er Jahre dar, die sich vor allem auf die Figur des »Wirtschaftsflüchtlings« bezog. Aus dieser Perspektive lassen sich die neuerlichen krampfhaften Anstrengungen der Widersacher der Migration erklären. Sie reagieren auf die Kämpfe der Migration mit einer verschärften Differenzierung und Kategorisierung von Asylsuchenden, die auch anhand sozio-ökonomischer Kriterien erfolgt. Gerade im Zuge der »Humanitarisierung« des Asylrechts zielen die neuen Verschärfungen zwar auch auf einen weiteren Ausschluss bestimmter Personengruppen vom Asylrecht ab. Stärker wiegt unserer Meinung nach jedoch die zunehmende Hierarchisierung innerhalb des Flüchtlingsstatus, den die Verschärfungen vor allem intendieren. So soll es einerseits leichter sein, Flucht zu kriminalisieren und Geflüchtete in Abschiebehaft zu nehmen, oder Asylsuchende, deren Antrag als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt wird, per Einreisesperre permanent aus Deutschland zu verbannen. Andererseits werden jedoch neue, flexible Kategorien geschaffen, die insbesondere bezüglich der Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt abziehlen. So sollen die Arbeitsverbote für hochqualifizierte Flüchtlinge sofort fallen, für alle anderen erst nach 15 Monaten.

FAZIT

Rassismus als soziales Verhältnis ist wandelbar und unterliegt Konjunkturen. Demzufolge muss antirassistische Politik die Kämpfe gegen rassistische Nützlichkeitsparadigmen und soziale Ausgrenzung im Fokus haben, muss für Bewegungsfreiheit und die Autonomie der Migration eintreten, anstatt sich in Menschenrechtsdiskursen und Toleranzrhetorik zu verfangen. Wenn sie mehr sein will als Lobby, sondern eine radikale Gesellschaftspolitik entfalten will, müssen staatliches Handeln und die gesamtgesellschaftliche rassistische Mobilisierung gegen Geflüchtete gemeinsam analysiert werden.

Hierzu braucht es spontane, länger- oder kurzfristig orientierte Kampagnen, in denen Perspektiven aus den verschiedenen linksradikalen Spektren zusammenfinden. Dafür ist keine Top-Down Organisation notwendig, denn die Schwerpunkte und Aktionsformen sollten lokal an den jeweiligen Kontexten ausgerichtet sein. Die Kampagne »Rassismus tötet« war ein erfolgreiches Beispiel einer solchen Vernetzung. Darüber hinaus muss die Suche nach (temporären) Bündnissen mit anderen gesellschaftlichen Kräften, insbesondere Interessenvertretungen und Flüchtlingsselbstorganisationen, vertieft werden, so schwierig sie auch manchmal sein können. Denn in solchen konzertierten Kampagnen, die sich den oben skizzierten Entwicklungen entgegenstellen, können unserer Ansicht nach jene gesellschaftlichen Veränderungen aufscheinen, die nur in und mit den Kämpfen entstehen und eine antirassistische linksradikale Perspektive wieder als die Alternative zum Bestehenden erkennen lassen, die sie ist. In ihnen geht es eben nicht nur darum, die Herrschaftsverhältnisse anzugreifen, sondern die Momente der Vergesellschaftung selbst aufzubrechen, die die fortlaufende ungleiche Verteilung von Partizipationsmöglichkeiten und Rechten ermöglichen.

FUSSNOTEN

1 https://www.antifainfoblatt.de/artikel/das-problem-hei%C3%9Ft-rassismus-%E2%80%93-doch-was-hei%C3%9Ft-das
2 Bojadžijev, Manuela (2008): Die windige Internationale. Rassismus und
Kämpfe der Migration. Westfälisches Dampfboot. Münster

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