zurück zur Inhaltsangabe

SCHLIMMER GEHT IMMER


DIE AUSTRALISCHE FLÜCHTLINGSPOLITIK DER ABBOTT-REGIERUNG

ANTJE MISSBACH

Seit September 2013 wird Australien wieder unter einer konservativen Regierung geführt. Bereits im Wahlkampf hatten sich der jetzige Premierminister Tony Abbott und sein Team vor allem ein Thema zunutze gemacht: Wie lassen sich boat people (also Asylsuchende, die per Boot kommen) von Australien fernhalten. Obwohl Abbotts Asylpolitik in vielerlei Hinsicht eine Weiterführung der Politik der vorherigen Labour-Regierungen unter Julia Gillard und Kevin Rudd ist, gibt es einige drastische Neuerungen.

Innerhalb von Wochen nach der Wahl startete die neue Regierung die Operation »Souvereign Borders«, deren Hauptaufgabe es ist, keine Flüchtlingsboote durchzulassen. Diese Maßnahmen erfolgen nicht etwa unter zivilen Behörden, sondern stehen unter der Aufsicht des Militärs. In mindestens sechs Fällen haben die Streitkräfte in den darauffolgenden Monaten Flüchtlingsboote aufgegriffen und zurück in indonesische Gewässer gebracht. Dabei sind sie ohne Genehmigung und »aus Versehen«, wie es in den offiziellen Regierungsstellungnahmen heißt, in die indonesische 12 Meilen-Hoheitszone eingedrungen. Der Protest aus Indonesien verhallte allerdings recht bald. Es ist durchaus denkbar, dass es noch mehr Fälle gab, die nicht bekannt wurden. Anders als ihre Vorgängerregierung, die auf Transparenz setzte, hat die Abbott-Regierung Anfang 2014 den Informationsfluss zum Thema Asylsuchende massiv eingeschränkt. Begründet wird diese Maßnahme damit, dass »Pressekonferenzen kein Nachrichtenservice für Schleuser sein sollen«.

VERTRAGSBRUCH

Anfang Juli 2014 wurde trotz der australischen Nachrichtensperren bekannt, dass zwei Flüchtlingsboote mit Tamilen und Singhalesen, die allerdings nicht direkt aus Sri Lanka, sondern aus südindischen Flüchtlingscamps kamen, außerhalb des australischen Hoheitsterritoriums gesichtet worden waren. Das erste Boot, mit 41 Männern, Frauen und Kindern an Bord, wurde an das sri-lankische Militär übergeben. Angesichts der Menschenrechtssituation in Sri Lanka stellt diese Übergabe einen eklatanten Verstoß gegen die internationale Flüchtlingskonvention dar, die Australien bereits 1954 unterzeichnete. Die Menschen an Bord hatten keine Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Die verkürzte Befragung der australischen Immigrationsbehörde via Satellitentelefon umfasste gerade einmal vier Fragen (Name, Ursprungsland, Abreiseort und Grund der Abreise). Die Menschen auf dem zweiten Boot wurden über drei Wochen auf einem australischen Marineschiff gefangen gehalten. Dank einer gerichtlichen Intervention wurde ihre Abschiebung nach Indien zwar gerichtlich ausgesetzt, aber nach Australien kommen durften sie trotzdem nicht. Stattdessen wurden sie nach Nauru, in eins der von Australien betriebenen Camps gebracht.

FLÜCHTLINGSCAMPS IM PAZIFIK

Seit September 2013 ist die Zahl der Bootsflüchtlinge in der Tat stark zurückgegangen. Die von der Regierung verordneten Abschreckungs- und Bestrafungsmaßnahmen für Asylsuchende sind aufgegangen. So absurd es auch erscheinen mag, per Gesetz wurde 2013 das gesamte Territorium Australiens von der Migrationszone ›ausgeschlossen‹. Das bedeutet, Asylsuchende, die per Boot nach Australien kommen, haben keine Chance, einen Asylantrag in Australien zu stellen, sondern werden seit November 2012 in Drittländer verfrachtet. Dort leben sie unter schwierigsten Bedingungen, bis über ihre Anträge entschieden ist. Wie bereits in der Zeit zwischen 2001 und 2007, unter der sogenannten Pacific Solution, hatte die australische Regierung unter John Howard in Nauru und auf der Insel Manus (zu Papua-Neuguinea gehörend) Camps errichten lassen. In dem Glauben, dass sich – nach dem Motto aus den Augen, aus dem Sinn – die kritischen Stimmen im Lande beruhigen würden, scheuten die australischen Regierungen weder Kosten noch Mühen, diese Camps zu errichten und zu betreiben. Schätzungsweise 500.000 AUD pro Person muss die Regierung im Jahr aufbringen, um die Asylsuchenden außerhalb Australiens unterzubringen. Das ist ungef hr sieben Mal so viel, wie eine Asylantragsbearbeitung auf dem australischen Festland kosten würde, da alles – von Baumaterialien bis hin zu Verpflegung und medizinischer Versorgung – eingeflogen werden muss. Allein für das Finanzjahr 2013- 2014 hat die australische Regierung drei Milliarden für die offshore- Abfertigung der Asylsuchenden eingeplant.

Im Mai 2014 lebten ca. 1.340 Asylsuchende (darunter auch Kinder) auf der Insel Manus. Ein Drittel aller Anträge war mittels vorläufiger Untersuchungen abgelehnt und ein Drittel anerkannt worden. Sie sollen in Papua-Neuguinea ein neues Leben starten. Die übrigen warteten noch auf ihre Ergebnisse. Im Juli 2013 befanden sich 545 Asylsuchende auf Nauru. Im Mai 2014 war die Zahl bereits auf 1.162 Personen gestiegen. Laut Berichten waren gerade einmal 13 als Flüchtlinge von den naurischen Behörden anerkannt worden und hatten ein 5-Jahres- Visum für die 21,2 km²-Insel erhalten.

Für JournalistInnen, AktivistInnen und WissenschaftlerInnen ist es fast unmöglich, Zutritt zu den Camps zu bekommen. Angesichts der Situation in Nauru schreibt Amnesty International nach der Besichtigung in seinem Bericht Ende 2012 von »einem toxischen Mix aus Unsicherheit, rechtswidriger Inhaftierung und unmenschlichen Bedingungen, die eine zunehmend unberechenbare Situation schaffen«. Laut des Berichts verletzt nicht nur die australische, sondern auch die Regierung Naurus die Rechte der Asylsuchenden. Amnesty fordert die unverzügliche Schließung der Camps und den Transfer aller Asylsuchenden nach Australien. Im Februar 2013 veröffentlichte der Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) einen Bericht über die Bedingungen in Manus, in dem es heißt, dass die gegenwärtigen Zustände nicht den internationalen Standards zum Schutz von Asylsuchenden (protection standards) entsprechen. Besonders kritisch sieht das UNHCR »das Fehlen eines vollends funktionierenden rechtlichen Rahmens und eines funktionstüchtigen Systems für die Bearbeitung der Anträge der Asylsuchenden«. Auch die Situation von Kindern und Jugendlichen ohne Begleitung bereitete dem UNHCR große Sorge.

Rechtlich gesehen birgt diese Unterbringung in Drittländern (offshore processing) viele rechtliche Grauzonen, weil nicht bis ins letzte Detail klar ist, ob die Camps unter australisches Recht oder papua-neuguineisches bzw. naurisches Recht fallen. Australien will sich jeglicher Verantwortung entziehen, aber internationales Recht verbietet es, Staaten ihre Verantwortung an andere Staaten zu übertragen. Im Unterschied zur früheren Pacific Solution, wo ein Großteil der Asylsuchenden zwar jahrelang auf ihre Asylentscheide warten mussten, aber letztendlich doch nach Australien (und in einige andere Drittländer) umgesiedelt wurde, ist bei dieser Neuauflage der Pacific Solution vorgesehen, dass anerkannte Flüchtlinge nicht mehr nach Australien umgesiedelt werden, sondern vor Ort oder in andere Länder in der Region integriert werden sollen.

Seit Beginn dieses Jahres vertiefte sich die australische Regierung in Verhandlungen mit Kambodscha, einem der ärmsten Länder Südostasiens, um die Regierung in Phnom Penh zu überzeugen, Flüchtlinge aus Nauru dauerhaft aufzunehmen. Was ihr dafür im Gegenzug versprochen wurde, ist bisher unklar. Angesichts der vielen Menschenrechtsverletzungen in Kambodscha haben das UNHCR und andere internationale NGOs diesen Plan scharf kritisiert.

WIDERSTAND

Die internierten Asylsuchenden ergeben sich ihrem Schicksal nicht ohne Weiteres. Immer wieder dringen Berichte über Hungerstreiks und Selbstmordversuche ans Licht der Öffentlichkeit. Im Juli 2013 kam es zu einem Aufstand auf Nauru, bei dem mehrere Gebäude abbrannten. Mehr als ein Drittel der Asylsuchenden beteiligte sich an dem Aufstand, obwohl ihnen nicht nur Verurteilungen wegen Sachbeschädigung, sondern auch negative Auswirkungen auf ihre Asylgesuche drohten.

Mitte Februar diesen Jahres kam es im Camp auf Manus zu schweren Ausschreitungen, bei dem der 23-jährige Asylsuchende Reza Barati aus dem Iran ums Leben kam und 77 Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Sechs Tage lang behauptete Australiens Immigrationsminister Scott Morrison steif und stur, dass Reza nach einem Fluchtversuch außerhalb des Camps starb. Letztlich musste Morrison einräumen, dass mit Macheten bewaffnete Einheimische in das Camp eingedrungen waren und dort ihrer Wut an Asylsuchenden freien Lauf gelassen hatten.

Trotz diverser Untersuchungen ist die Schuldfrage bis jetzt nicht eindeutig geklärt. Allerdings verdeutlicht dieser tragische Fall drei Dinge, nämlich dass Asylsuchende bei solchen Offshore-Regelungen noch zusätzlichen Gefahren für Leib und Seele ausgesetzt werden, dass die pazifischen Empfängerländer gänzlich überfordert sind und dass Australien versucht, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Statt dem viel propagierten Teilen von Verantwortung (burden-sharing) sehen wir de facto das Abtreten von Zuständigkeiten (burden-shifting).

UNBEGRÜNDETE PANIKMACHE IN AUSTRALIEN

Laut des Berichts des UNHCR von 2013 hat die Zahl derjenigen, die weltweit zur Flucht gezwungen wurden, erstmals seit dem 2. Weltkrieg die 50-Millionen-Marke überschritten. Die Asien-Pazifik-Region ›produziert‹ aufgrund vieler anhaltender und neuerer Konflikte nicht nur anhaltende Flüchtlingsströme, sondern ist auch gleichzeitig eine der wichtigsten Transit- und Auffangregionen.

In Australien betrug die Zahl der anerkannten Flüchtlinge Ende 2013 lediglich 34.503. Über 13.559 Asylbewerber warteten laut Bericht auf ihre Bescheide. Von einer Krise kann also nicht die Rede sein. Der Flüchtlingsandrang, den andere Länder in der Region zu bewältigen haben, ist weitaus höher. Beispielsweise in Thailand befinden sich derzeit über 140.000 Asylsuchende, Flüchtlinge und Menschen in flüchtlingsähnlichen Situationen sowie 506.197 Staatenlose. In Malaysia leben derzeit knapp 100.000 Flüchtlinge, 43.000 Asylsuchende und 80.000 Staatenlose. Hauptträger der ›Flüchtlingslast‹ sind nach wie vor Entwicklungs- und Schwellenländer und nicht etwa Australien. Dennoch suggerieren Medien und PolitikerInnen in Australien seit Jahren die Existenz einer ›Flüchtlingskrise‹, wenngleich es für eine solche empirisch gesehen keinerlei Belege gibt. Die Rhetorik einer Krise jedoch rechtfertigt eine Reihe von Ausnahmen in puncto Rechtstaatlichkeit und Gewährung von Grundrechten.

Besonders gravierend ist die Internierung auf unbestimmte Zeit von mehreren Dutzend anerkannter Flüchtlinge – also nicht Asylsuchende –, die bei den Sicherheitsüberprüfungen des australischen Sicherheitsund Geheimdienstes (ASIO) ›durchgefallen‹ sind. Unter den Internierten befinden sich viele Tamilen, bei denen ASIO eine Zugehörigkeit oder Sympathie mit der separatistischen Vereinigung Tamil Tigers vermutet. Im Falle eines negativen Bescheids erhalten die Betreffenden keine Erklärung für die Ablehnung, was wiederum jede Möglichkeit auf Berufung ausschließt.

Neben den Hazara, einer ethnischen Minderheit aus Afghanistan, gelten die tamilischen Asylsuchenden am gefährdetsten. Seit Oktober 2012 gab es mehr als 1.100 mehr oder weniger ›freiwillige‹ Rückführungen von abgelehnten Asylsuchenden nach Sri Lanka. Aus Angst, abgeschoben zu werden, setzte sich der 29-jährige Leo Seemanpillai im Mai 2014 in Brand und erlag seinen Wunden. Einen Monat später versuchte sich ein weiterer tamilischer Asylsuchender zu verbrennen, konnte aber gerettet werden. Der 40-jährige Mann war in Sri Lanka gefoltert worden, weil er Mitglieder der Tamil Tigers mit Lebensmitteln versorgt hatte. Außerdem hatte er unlängst erfahren, dass sein Bruder in Sri Lanka plötzlich verschwunden war.

Die Verletzungen der Rechte von tamilischen Asylsuchenden sind genau dokumentiert. Wie Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen angeführt haben, drohen den Rückkehrern in Sri Lanka, wenn sie im Verdacht stehen, mit den Tamil Tigers zu sympathisieren, körperliche Gewalt, Gefängnisstrafen und Folter durch Polizei und Militär in sogenannten Rehabilitierungslagern. Darüber hinaus ist es nach sri-lankischem Recht strafbar, das Land illegal zu verlassen, d. h. zurückgekehrte Asylsuchende können auch dafür belangt werden. Wie aus Berichten des australischen Verteidigungsministeriums hervorgeht, ist sehr wohl bekannt, dass RückkehrerInnen sich ausführlichen Untersuchungen durch den sri-lankischen Geheimdienst unterziehen müssen. Nicht zuletzt warnt das australische Verteidigungsministerium auf seiner Homepage: »We advise you to exercise a high degree of caution in Sri Lanka at this time because of the unpredictable security environment.« (»Wir empfehlen Ihnen gegenwärtig, sich auf Grund der unvohersehbaren Sicherheitslage in Sri Lanka sehr vorsichtig zu verhalten.«)

LICHT AM ENDE DES TUNNELS?

Für die nächsten Jahre ist mit wenig Besserung in Australiens Asylpolitik zu rechnen. Selbst wenn es zu einem Regierungswechsel kommen sollte, heißt das nicht, dass die drakonischen Abschreckungs- und Bestrafungsmaßnahmen abgeschafft werden. Immerhin hatte die Vorgängerregierung diese zum Teil eingeführt und damit zumindest den Weg für eine weitere Verschärfung der Maßnahmen geebnet. Australien bestimmt selbst, wer in das Land kommt und wer nicht. Pro Jahr werden 20.000 Flüchtlinge aus den weltweiten Camps entsprechend besonderer Auswahlkriterien ins Land gelassen. Der Wunsch nach absoluter Abschottung vor spontan ankommenden Asylsuchenden scheint einem weiten gesellschaftlichen Konsens zu unterliegen. Es bleibt die Frage, wie es möglich ist, dass ein Land – dessen Großteil der Bevölkerung selbst einen Einwanderungs- wenn nicht sogar Asylhintergrund hat – kollektiv so einer irrationalen Asylpanik verfallen kann.

ÜBER DIE AUTORIN

Antje Missbach forscht seit 2010 zu der Situation von Asylsuchenden in Transitländern, vor allem in Indonesien, und schreibt derzeit an einem Buch darüber. Davor hat sie sich hauptsächlich mit der Politik der acehnesischen Diaspora und der separatistischen Bewegung Freies Aceh (GAM) beschäftigt. Zu ihren Büchern gehören: »Politics and Conflict in Indonesia: The Role of the Acehnese Diaspora«, Routledge, New York, 2011 (2012 übersetzt ins Indonesische) und »Freiheitskämpfer oder Geschäftemacher? Der bewaffnete Kampf der Gerakan Aceh Merdeka (GAM) unter Berücksichtigung klassischer und neuer Guerillatheorien«, Logos Verlag, Berlin, 2005.

zurück zur Inhaltsangabe

Archiv