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EIN TOTER, DREI PROZESSE – KEIN URTEIL?

ERNEUTES VERFAHREN WEGEN TODES DURCH BRECHMITTEL IN BREMEN

CHRISTIAN JAKOB

Die Anklagebank des Bremer Landgerichts ist für Igor Volz ein vertrauter Ort geworden. Seit fünf Jahren muss der Polizeiarzt dort regelmässig Platz nehmen. So lange wird dort bereits der Brechmitteltod des Sierra Leoners Laya Alama-Condé verhandelt.

Der mutmaßliche Dealer war im Januar 2005 gestorben, nachdem Volz ihm im Bremer Polizeipräsidium per Nasensonde Wasser und den Brechsirup Ipecacuanha eingeflößt hatte – unterstützt von zwei Polizisten, die Condé fixierten. Durch die Tortur war Condés Zustand so kritisch geworden, dass ein Notarzt hinzukommen musste. Da waren die ersten Kokainkugeln bereits ausgespien, der Zweck der »Beweissicherungsmaßnahme« erfüllt. Der Notarzt stabilisierte Condé vorübergehend. Doch statt die »Exkorporation« nun zu beenden, setzte das Trio um Volz sie weiter fort – insgesamt über 80 Minuten, bis Condé schließlich hirntot ins Koma fiel.

Der mittlerweile dritte Prozess wird in den kommenden Wochen zu Ende gehen. Doch ob jemand für den Tod Condés die Verantwortung übernehmen muss, ist fraglich.

Zwei Mal haben die Bremer Richter Volz bereits freigesprochen – mit gleichermaßen grotesken Begründungen: Im Dezember 2008 urteilten sie, Volz habe sich. »mehrerer objektiver Pflichtverletzungen« schuldig gemacht, die ursächlich für den Tod waren. Doch weil er dies wegen »mangelnder Ausbildung und Erfahrung subjektiv nicht erkennen« konnte, mochten sie ihn nicht bestrafen. Den Chef des Beweissicherungsdienstes, der den angeblich unqualifizierten Volz geschickt hatte, allerdings auch nicht.

Nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben hatte, verhandelte das Gericht erneut – und sprach Volz im Sommer 2011 wieder frei. Es sei nicht gelungen, die Todesursache zweifelsfrei festzustellen. Fünf Gutachter hatten bis dahin bestätigt, dass Condé starb, weil das ihm von Volz eingetrichterte Wasser in seine Lunge gelaufen war. Doch gegen Ende des zweiten Prozesses brachte Volz’ Verteidigung neue Gutachter ein, die plötzlich einen »nicht diagnostizierten Herzfehler« als mögliche Todesursache ins Spiel brachten. Und Volz war aus dem Schneider.

Schon im Dezember 2001 war in der Rechtsmedizin der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf (UKE) der Nigerianer Achidi John nach einer zwangsweisen Brechmittelvergabe gestorben. Die Staatsanwaltschaft hatte damals Vorermittlungen geführt, aber niemanden angeklagt. Gutachter hatten bei der Obduktion von Johns Leiche einen Herzfehler festgestellt – ähnlich wie bei Condé. Zum Teil handelte es sich um die gleichen Sachverständigen, die von der Verteidigung auch im Bremer Verfahren hinzugezogen wurden.

Für den Bundesgerichtshof war die Sache hingegen klar. In zwei Revisionen ließ das höchste Deutsche Strafgericht kein gutes Haar an den Freisprüchen für Volz: Die Brechmittelvergabe sei »klar rechtswidrig« verlaufen, am »Körperverletzungsvorsatz« sei »nicht zu zweifeln«, die Fortsetzung der »Beweissicherungsmaßnahme« sei »schlechterdings nicht zu rechtfertigen«. Es wies das Landgericht an, einen dritten Prozess zu eröffnen.

Zu dessen Beginn hat sich erstmals Volz selbst im April geäußert. »Condés Tod ist mir sehr nahe gegangen« behauptete der 49 Jahre alte Mediziner.

Die Bremer Polizei hat derweil langsam »begonnen, nach einer Haltung und den richtigen Worten zum Tod von Laye-Alama Condé zu suchen«, sagte kürzlich die Polizeisprecherin Franka Haedke. Der neue Bremer Polizeipräsident Lutz Müller schrieb einen Brief an die in Guinea lebende Mutter von Condé und drückte erstmals offiziell sein Bedauern über den Tod ihres Sohnes aus. Am Polizeipräsidium im Stadtteil Neue Vahr, wo Condé getötet wurde, will Müller möglicherweise eine Gedenktafel anbringen lassen.

Grundsätzlich sei es zu begrüßen, wenn die Polizeispitze umdenkt, sagt Volker Mörchen von der Bremer Initiative Gedenken an Laya Condé. Doch »für die Polizei ist insgesamt noch ein langer Weg zurückzulegen, weil rassistische Polizeipraktiken für viele Menschen in Bremen bis heute Alltag sind«. Es sei offen, ob man mit der Polizei zusammenarbeiten werde. Seit 2005 hatte die Initiative jedes Jahr am Todestag Condés an der Bremer Sielwallkreuzung, wo Condé von der Polizei am 27. Dezember 2004 aufgegriffen worden war, eine Gedenkkundgebung organisiert.

Beim Bremer Landgericht ist indes noch kein Umdenken zu beobachten: Im Juni regte die Vorsitzende Richterin Barbara Lätzel an, das Verfahren einzustellen. Erst nach massiven öffentlichen Protesten ließ sie diesen Plan fallen.

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