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Pink Washing Germany?

Der deutsche Homonationalismus und die »jüdische Karte«

Koray Yılmaz-Günay & Salih Alexander Wolter

Jasbir Puar prägte den Begriff des »Homonationalismus«, der eine Tendenz in den Mainstream-Szenen Nordamerikas und Europas beschreibt, die herkömmlichen Ideale von weißer, geschlechtskonformer, heterosexueller Mittelschicht nicht (mehr) grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern ganz im Gegenteil zu stützen, weil sich durch das Othering von anderen neue Gelegenheiten für Zugehörigkeit ergeben (Puar 2007).

Einen guten Einblick in die Situation in Deutschland lieferte u.a. die Rezeption eines Workshops, der 2012 von zwei in Berlin lebenden jüdisch-israelischen Queer-Aktivist_innen im Rahmen des Berliner Transgenialen CSDs (TCSD) angeboten wurde: Unter dem Titel »Pinkwashing Israel« erläuterten sie, wie die Regierung ihres Landes die ihr abgetrotzten Homorechte in der Außendarstellung benutze, um ihre rassistische Innen- und die Besatzungspolitik zu legitimieren. Vermutlich, um niemand darüber zu täuschen, dass solche Analysen »der neueste Kniff aus der antiisraelischen Propagandakiste« seien, verzichtete die der Veranstaltung gegenüber besonders kritische Wochenzeitung Jungle World konsequent darauf, die Herkunft der Referent_innen zu erwähnen (Ströhlein 2012). Das Verhältnis zum Staat Israel ist – unabhängig vom »pro-« oder »antizionistischen« Selbstbild der Diskutierenden – wie kaum ein anderes Thema zum Gradmesser für innerdeutsche und insbesondere auch innerlinke Debatten um die Nation und Zugehörigkeit geworden. Die Frage, wie es »den« Homosexuellen in Israel geht, zählt dabei zunehmend zum Kernbestand sowohl von »Pink Washing« als auch der entgegenstehenden »Pink Watching«-Bewegung. Wie sehr die Figur »der Jüd_innen« in Deutschland für Gefechte um ganz anderes instrumentalisiert wird, ist nicht zuletzt in der deutschen Debatte um Beschneidungen deutlich geworden, wo vor lauter Auseinandersetzungen um »Universalismus« vs. »Kulturrelativismus« ganz in den Hintergrund getreten ist, dass es sich dabei um ganz herkömmliche Menschen handelt, die ein Eigenleben jenseits ihrer Funktion im offenbar nicht-jüdischen deutschen Kollektiv führen.

»Eine Taktik der nationalen Schwulenbewegung«

Es ist im »aufgeklärten« bundesdeutschen Diskurs zum Gemeinplatz geworden, Homophobie und Antisemitismus in einem Atem zu nennen, wobei der gemeinsame Bezugspunkt in der Verfolgung während der Nazizeit gesehen wird. »Ähnlich wie gegen die Juden, wenn auch in kleinerem und die Öffentlichkeit wenig berührendem Maße, ging die SS gegen die Homosexuellen vor«, heißt es dazu in Eugen Kogons erstmals 1946 erschienenem Standardwerk über das System der deutschen Konzentrationslager, und zwar »möglicherweise gerade weil die Homosexualität in den Kreisen des preußischen Militärs, der SA und der SS selbst ursprünglich stark verbreitet war, so dass sie rücksichtslos geächtet und ausgerottet werden sollte«. (Kogon 2004: 284) So stellten die als homosexuell1) klassifizierten KZ-Gefangenen etwa in Buchenwald unter denen, die zur Ermordung abtransportiert wurden, »im Verhältnis zu ihrer Anzahl den höchsten Prozentsatz«; auch die Menschenversuche zur »Behebung der Homosexualität« durch SS-Mediziner spricht der christliche Antifaschist an (ebd.: 284f). Doch während diese Fakten – anders als die Zahl der Opfer2) – in der internationalen Forschung unumstritten sind, unterstreichen Burkhard Jellonek und Rüdiger Lautmann in ihrer Einleitung zu dem Sammelband »Nationalsozialistischer Terror gegen Homosexuelle« schon 2002, dass die meisten ausländischen Fachleute der Behauptung vieler einheimischer Autoren entgegentreten, der Homosexuellenverfolgung im Dritten Reich komme »ein Sondercharakter zu, so wie ihn die sogenannte Endlösung der Judenfrage im Vergleich zu den geläufigen Antisemitismen aufweist« (Jellonek/Lautmann 2002:12).

Den Hintergrund für den »strategischen Gebrauch der Parallele Holocaust/Homocaust […] als eine Taktik der nationalen Schwulenbewegung« (ebd.: 13) bildete die rechtliche Situation nach der Befreiung vom Faschismus. Der nach der deutschen Reichsgründung aus dem preußischen Recht übernommene Paragraph 175, der Homosexualität unter Männern kriminalisierte, war von den Nazis 1935 verschärft worden. Während in der DDR zunächst der ursprüngliche Paragraph zurückkehrte und dann 1957 ein Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft trat, das die faktische Aufhebung der Strafbarkeit für Homosexualität unter erwachsenen Männern bedeutete, wurde in Westdeutschland die NS-Fassung beibehalten und noch 1957 vom Bundesverfassungsgericht als in den sittlichen Anschauungen des Volkes gründend bestätigt – es handle sich dabei um kein spezifisch nationalsozialistisch geprägtes Recht. Etwa 50.000 der insgesamt rund 100.000 im Westen eröffneten Verfahren gegen sogenannte 175er endeten mit einer Verurteilung (vgl. Bluhm 2012). Die Verurteilten waren nicht selten auch weiterhin barbarischen medizinischen Eingriffen ausgesetzt (vgl. Voß 2013: 42-46). Um gegen die fortgesetzte antischwule Gewalt von Staats wegen zu argumentieren, galt es »die« Schwulen als vergessene Leidtragende des deutschen Faschismus darzustellen (vgl. Bochow 2011: 85). »Das Schicksal der Verfemten. Die Verfolgung der Homosexuellen im ›Dritten Reich‹ und ihre Stellung in der heutigen Gesellschaft«lautete ein Buchtitel von Harry Wilde aus dem Jahr 1969, und auch noch Hans-Georg Stümke und Rudi Finkler ging es 1981 darum, Schwule insgesamt möglichst nah an die Jüd_innen als die anerkannten Opfer des NS-Rassenwahns zu rücken: Rosa Winkel, rosa Listen. Homosexuelle und »Gesundes Volksempfinden« von Auschwitz bis heute.

Allerdings urteilt zum Beispiel John C. Fout – der für mehrere deutsche Großstädte den bis zum Ende des Faschismus durchgehenden Betrieb von Schwulenbars feststellte und für Hamburg übrigens ermittelte, dass 50% der als »homosexuell« verfolgten Männer NSDAP-Mitglied waren –, es habe im Vergleich zur Schoah »trotz der Konzentrationslager, trotz der Ermordung von Schwulen in der NS-Zeit nie eine totale Ausmerzung der Homosexualität und keine systematische Verfolgung der Schwulen gegeben« (Jellonek/Lautmann 2002: 169). Was die ideologischen Grundlagen angeht, bemerkt Heinz-Jürgen Voß, dass in Nazi-Deutschland »gerade nicht prominent von der Erblichkeit von Homosexualität ausgegangen wurde, wie es vor dem Hintergrund der dort geführten ›Rassen‹- und ›Degenerations‹-Diskurse zu erwarten wäre.« (Voß 2013: 29; vgl. Grau 2011) Vielmehr ging es den Nazis, wie James D. Steakley resümiert, bei der Verfolgung von Homosexuellen – die »nicht restlos zusammengetrieben, sondern nur selektiv gefangengenommen« worden seien – um die »Umerziehung zur Heterosexualität oder zumindest sexuellen Abstinenz«. Das unterscheide sie »grundsätzlich von der NS-Judenverfolgung, die bis auf den letzten Mann, die letzte Frau, das letzte Kind durchgeführt werden sollte« (Jellonek/Lautmann 2002: 66). Der Verhaltens-Aspekt wird durch den Namen der zuständigen Verfolgungsbehörde »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung« zusätzlich unterstrichen.

Für Steakley ist es ein gefährlicher politischer Mythos, wenn »schwule Meinungsmacher« homosexuelle Männer gelegentlich sogar »als die primäre Zielgruppe der nationalsozialistischen Ausmerzungskampagne« erscheinen ließen, denn damit »spielten sie den faschistischen Rassenwahn herunter und stellten die Homophobie als das entscheidende Movens der NS-Bewegung hin« (Jellonek/Lautmann 2002: 63). Es muss also differenziert werden – nicht zwischen Opfern des Nazi-Terrors, wohl aber zwischen nicht-jüdischen deutschen Schwulen. Die Mehrzahl von ihnen gehörte »genau wie die anderen deutschen Männer und Frauen zu den willigsten Untertanen und Nutznießern des Nazistaates« (ebd.: 65).

Die Kunst der Aneignung

Zwar gab es in der neuen Schwulenbewegung, die sich in der Bundesrepublik bildete, nachdem es dort 1969 ebenfalls zu einer gesetzlichen Lockerung gekommen war, Ansätze für ein differenzierendes Geschichtsbild. Vereinzelt begann man sich auch kritisch mit den Aktivisten früherer Generationen zu beschäftigen und entdeckte, dass es unter ihnen Vertreter völkisch-antisemitischer Tendenzen gegeben hatte (vgl. Nieden 2005). Manfred Herzer, einer der Mitbegründer des Schwulen Museums Berlin, fasste zur großen westberliner Ausstellung »Eldorado« von 1984 den Stand dieser Auseinandersetzung so zusammen:

»So richtig es zweifellos ist, die Nazizeit als eine Periode extremster Verfolgung und Repression gegen Homosexuelle anzusehen, so falsch ist es doch, sich mit dieser Erkenntnis als der vermeintlich ganzen Wahrheit zu bescheiden. Die Komplexität des Verhältnisses zwischen Hitlerfaschismus und Homosexualität ist heute nicht annähernd so weit erforscht, um es verstehbar erklären zu können« (Herzer 1992: 47).

Indes wurde gerade für die linken »Bewegungsschwestern« der »Rosa Winkel« der als homosexuell klassifizierten KZ-Häftlinge zum Symbol allgemeinen schwulen Selbstbewusstseins (vgl. Bochow 2012: 87).

Still blieb und bleibt es dagegen in schwulen Anerkennungskreisen um die Gruppen, die der »Erbgesundheit« zum Opfer gefallen sind, oder um Roma und Sinti, um Slaw_innen, um »Asoziale« und Deserteure, um Gewerkschafter_innen, Sozialist_innen und Kommunist_innen. Erstaunlich selten auch werden jüdische Lesben und Schwule – die die zahlenmäßig größte Opfergruppe unter den Homosexuellen dargestellt haben dürften – genannt. »Der identitätspolitische Wahn behandelte gar Homosexuell- und Jüdischsein wie Antagonismen« (Stedefeldt 2007: 5), kritisierte der Publizist Eike Stedefeldt 2007 die Planung des im folgenden Jahr eingeweihten Berliner Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Ein Stück »Appropriation Art«, steht es mit seiner künstlerischen Aneignung vor allem für die politische Anmaßung der schwul-lesbischen Initiator_innen, die gegen das Denkmal für die ermordeten Jüd_innen Europas polemisiert hatten, weil es »ihre« Opfer zurücksetze: Bewusst wirkt der einsame Klotz im Zentrum Berlins wie verstoßen aus dem Arrangement der 2711 Stelen, die schräg gegenüber an die Opfer der Schoah erinnern. »Dass am Denkmal für die ermordeten Juden Europas mehr Homosexueller gedacht werden könnte als an jedwedem Homo-Gedenkort, weil von sechs Millionen ermordeten Juden schätzungsweise 300.000  homosexuell waren, lag fernab der Debatte.« (Ebd.: 5) Mindestens unausgesprochen galt immer: »Homosexuelle Opfer«, das sind die, die als »arisch« klassifiziert worden waren und denen deswegen vermeintlich die volle Teilnahme an der Gesellschaft hätte zugestanden werden müssen.

Das horizontal angelegte Verständnis von Diskriminierung, das von der Betroffenheit Einzelner ausgeht, stößt dort an seine Grenzen, wo es diesen individuellen Rahmen verlassen muss: geschichtlich, strukturell, institutionell. Denn in der Tat geht es dabei nicht um Mehr- und Minderheiten, sondern um historisch gewordene Herrschaftsverhältnisse, die nichts mit der Anzahl oder überhaupt dem Vorhandensein von »Betroffenen« zu tun haben. Weder Antisemitismus noch Homophobie lassen sich auf verbale und/oder körperliche Gewalt im öffentlichen Raum reduzieren, auch wenn dies oft die Fälle sind, die in Tageszeitungen berichtet werden. Oft genug werden Menschen für »schwul« oder »jüdisch« gehalten oder aber sie wissen bestimmte Schmuck- und Kleidungsstücke, Verhaltensweisen oder sprachliche Besonderheiten zu vermeiden, um eben nicht erkannt zu werden. Den Fragen, was Homophobie und Antisemitismus als gesellschaftliche Phänomene sind und wer sie aus welchem Grund auf eine bestimmte Weise definiert, kommt also eine große Bedeutung zu. Demgegenüber ist es vor diesem Hintergrund zumindest zweifelhaft, von der Zu- oder Abnahme von Homophobie oder Antisemitismus zu sprechen.

Bei der Auslagerung von Homophobie wie von Antisemitismus zu Menschen, die als migrantisch und/oder muslimisch identifiziert werden, spielen schwule Meinungsbildner seit den 1990er Jahren eine wichtige Rolle. Der Zentralrat der Juden in Deutschland wird nicht müde, auf die Gefahren des antimuslimischen Rassismus und auf gemeinsame Interessen hinzuweisen, wie etwa in den Debatten um das Kopftuch oder die Beschneidung von Jungen. Demgegenüber bedient sich die »Community« einer Rhetorik gemeinsamen Leids mit »den« Jüd_innen, um eine strukturell rassistische und antisemitische Dominanzgesellschaft in ihren Grundfesten zu bestätigen. Indem sich der deutsche Homonationalismus positiv auf das »geläuterte Deutschland« bezieht, bewirkt er – gewollt oder ungewollt – vor allem eine Deutschwaschung der schwulen Szenen.

Ganzer Artikel:

Anmerkungen:

1)Gemeint sind hier und im Folgenden stets ausschließlich Männer. Zur Verfolgungsgeschichte lesbischer Frauen, zur bundesrepublikanischen Debatte über lesbische Opfer des NS und ihre Repräsentation im Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen und Hinweisen zur spärlichen Forschungsliteratur vgl. eine Stellungnahme der Lesbenberatung Berlin/LesMigraS (2010). Verfolgung richtete sich zudem oft auf geschlechtsunkonforme Menschen, unabhängig von sexueller Orientierung oder Selbstbezeichnungen wie »lesbisch« oder »schwul«.
2)In der wissenschaftlichen Literatur werden sehr unterschiedliche Zahlen genannt. Aufgrund neuerer Studien schätzt Günter Grau, dass etwa 6.000 Männer als »Homosexuelle« ins KZ gebracht wurden, von denen nur jeder Zweite das Lager überlebte (Grau 2011: 317).

Literatur:

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