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Repressive Toleranz

ZAG

Die ZAG widmet sich in der vorliegenden Ausgabe einer Aktualisierung des Ansatzes zur Repressiven Toleranz Marcuses. Dessen Kritik am Fordismus ist aus einer anderen Zeit und sie war auch nicht explizit zur Kritik an rassistischen Verhältnissen formuliert worden. Und doch hat sich gezeigt, dass das Konzept sich eignet, um zahlreiche gegenwärtige politische Diskurse zu analysieren.

Marcuse verdeutlicht, dass die Forderung der Mehrheit an kritische Minderheiten, sie mögen doch bitte tolerant seien, letztlich eine Art der Tyrannei der Mehrheit gegen die wirklich emanzipatorischen Kräfte, darstellt. Dem setzt Marcuse den Begriff einer positiven Toleranz gegenüber, die mehr ist als die bloße Duldung von Abweichungen und die die Diskussion einer echten Transformation der Herrschaft erst ermöglichen würde, wie Frieder Otto Wolf in seinem Artikel aufzeigt. Auch Frank Schubert argumentiert relativ nah am Ursprungstext. Ihm geht es ebenso wie Marcuse um die repressive Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus durch Verfassungsschutzbehörden und Extremismusforschung.

Wir haben den Begriff der Repressiven Toleranz für unseren Call aufgenommen, indem wir die repressive Wendung emanzipatorischer Forderungen in den Vordergrund stellen. Denn wir kamen zu dem Schluss, dass die gegenwärtigen rassistischen Diskurse dadurch geprägt sind, dass emanzipatorische Forderungen aufgenommen werden und teilweise strategisch und enteignend genutzt werden, um repressive Politik zu legitimieren. Zugleich partizipieren Teile emanzipatorischer Bewegungen an der Macht und tragen repressive Politik mit, wie zum Beispiel Teile von Frauen-, Friedens-, Schwulen- und Lesbenbewegungen. Durch diese Entwicklungen findet eine Neuformierung von emanzipatorischen Forderungen und politischen Lagern statt, die die politische Handlungs- und Mobilisierungsfähigkeit emanzipatorischer Bewegungen verringert.

In diesem Sinne rekonstruiert Hannes Bode Formen repressiver Toleranz in aktuellen Rassismusdebatten. Er zeigt auf, wie ein homogenes Bild von »den Muslimen« gezeichnet wird, die angeblich aus religiösen Gründen intolerant seien. Hier wird die Forderung nach Toleranz repressiv gewendet, um den Ausschluss von auf diese Weise stigmatisierten Muslimen zu legitimieren. Hinrich Rosenbrock verschiebt die Perspektive, indem er thematisiert, dass mit Opferdiskursen die eigenen Privilegien gesichert werden können – indem zum Beispiel die Forderung nach Frauenemanzipation im antimuslimischen Diskurs repressiv gewendet wird.

Koray Günay und Salih Alexander Wolter widmen sich dem Thema des Homonationalismus. Die Autoren beobachten in Deutschland eine besondere Spielart dessen, bei der das Spiel der Opferkonkurrenz mit der »jüdischen Karte« zu gewinnen versucht wird.

Im Fall von Pussy Riot, der vor einem Jahr die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt hat, wurde deutlich, dass in Deutschland zweierlei Maßstäbe angelegt wurden. Die offizielle deutsche verlangte der russischen Politik ein höheres Maß an Toleranz ab, während in Deutschland ein ähnliches Strafmaß möglich gewesen wäre. Wie sich der Fall aus russischer Perspektive darstellt, erklärt Ute Weinmann.

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