zurück zur Inhaltsangabe

Autoritärer Staat in Griechenland

Von der Tolerierung zur Legitimierung des Neonazismus
von Georgios Maniatis und Bernd Kasparek

Auch dieses Jahr hat sich die wirtschaftliche Krise in Griechenland weiter verschärft. Die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung sind dadurch, wie auch durch die neoliberale Politik der Memoranda1), äußerst prekär geworden. Große Teile der Bevölkerung sind von Armut bedroht. Für viele, vor allem junge, GriechInnen, scheint nur die Migration gen Norden einen Ausweg aus der Krise zu bieten.

Gleichzeitig kommt es in Griechenland zu einem bedrohlichen Anstieg von Rassismus und Faschismus, der mittlerweile auch im Alltag zu spüren ist. Stärkster Ausdruck ist der Einzug der offen faschistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte, im Folgenden mit XA abgekürzt) in das griechische Parlament. XA war bis dahin eine kleine neonazistische Splitterorganisation mit militaristischer Struktur, die vor allem Angriffe auf MigrantInnen und Linke durchführte. Bei den Wahlen 2009 erreichte die Partei, deren Logo sicherlich nicht zufällig starke Ähnlichkeit mit einem Hakenkreuz hat, lediglich 0,29 %.

Bei beiden Wahlen im Frühjahr 2012 erhielt die Partei knapp sieben Prozent der Stimmen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle WählerInnen sich hundertprozentig mit dem neonazistischen Programm der Partei identifizieren. Jedoch verdeutlichen die circa 425.000 Stimmen für XA, dass ein Teil der griechischen Gesellschaft, unabhängig von Klasse, Alter und sozialer Herkunft, eine autoritäre Antwort auf die Krise befürwortet und das Entstehen eines rechtsextremen politischen Raumes ermöglicht hat.

In diesem Raum spielt sich die weitere Radikalisierung der extremen Rechten Griechenlands ab. Diese wird durch die Tolerierung und mittlerweile direkte Unterstützung durch Teile des Staatsapparats, das Aufgreifen des neonazistischen Diskurses durch Teile der Mainstream-Medien wie auch durch die soziale Dynamik begünstigt.

XA betreibt derzeit extrem erfolgreich eine autoritäre Organisierung von unten und verfolgt damit eine klassische doppelte hegemoniale Strategie in den Institutionen des Staates wie auch auf der Straße. Die Partei formuliert zu diesem Zweck einfache Identitäten des Widerstands gegen die herrschende Politik, die – wie von anderen neonazistischen Bewegungen bekannt – scheinbar einfache Antworten und Lösungen anbietet. Gleichzeitig baut die Partei ihre Präsenz massiv aus und präsentiert sich als lokale Ordnungsmacht und Beschützerin der Bevölkerung. Damit besitzt der Faschismus in Griechenland mittlerweile eine soziale Basis. Nach neuesten Umfragen kann XA mittlerweile bis zu 12% erwarten, stünden Neuwahlen an.

Von der Tolerierung zur Legitimierung durch den Staat

Die extreme Rechte in Griechenland hat den Übergang von der Diktatur zur Demokratie 1974 als Zellen im Staatsapparat überlebt, wenngleich sie moralisch wie auch politisch im Abseits stand. Ein großer Teil der extremen Rechten war bis zum Ende der 1990er Jahre in der Nea Dimokratia integriert. Sowohl die 2000 gegründete Partei Laos als auch die 2012 gegründete Partei Anexartiti Ellines (Unabhängige Griechen, ANEL) sind rechtspopulistische Abspaltungen der ND.

Der Aufstand im Dezember 2008 führte zur Reorganiation und zum Ausbau der staatlichen Repressionskräfte, der auch im staatlichen Angriff auf die soziale Bewegung gegen die Sparpolitik seine Forsetzung fand. Die in der Polizei organisierte extreme Rechte konnte somit ihre Position wesentlich verbessern. So wurden beispielsweise neue Polizeieinheiten geschaffen (DELTA und DIAS), die auf Motorrädern vor allem in Athen patrouillieren und sich wie eine Motorradgang gerieren und besonders brutale Übergriffe durchführen. Es muß davon ausgegangen werden, dass diese Einheiten nicht nur einen erheblichen Grad an Autonomie gegenüber der Führung besitzen, sondern diese auch gezielt für eine eigene politische Agenda einsetzen.

Die Verbindung zwischen Polizei und XA wird angesichts des Wahlverhaltens deutlich. Statistische Analysen haben ergeben, dass 50% der Polizisten XA gewählt haben.2) Dies ist besonders offensichtlich im Wahlbezirk, in dem das Polizeihauptquartier von Athen liegt, wie auch in der Region Kessariani, wo Spezialeinheiten der Polizei stationiert sind. Mittlerweile ist es zudem klar, dass Polizei und XA-Kader offen miteinander kooperieren.

Diese Kooperation schlägt sich derzeit in tagtäglichen Angriffen vor allem gegen MigrantInnen, Roma und Linke nieder. Einmal ist es die Polizei, die in Anwesenheit und mit Unterstützung durch XA-Kader Razzien gegen migrantische HändlerInnen durchführt, bei der es zu Identifikationsfeststellungen, Verhaftungen und Zerstörung von Waren kommt. Ein anderes Mal ist es ein von XA initiiertes Pogrom gegen MigrantInnen, welches von Polizeieinheiten geschützt wird, indem die Polizei antifaschistischen Widerstand angreift und kriminalisiert. Nach einer antifaschistischen Demonstration gegen ein Pogrom im Oktober, welches Geschäfte und Büros migrantischer Communities am Amerikis Platz zum Ziel gehabt hatte, wurden die TeilnehmerInnen von DELTA und DIAS angegriffen, verhaftet und auf der Wache gefoltert. Gleichzeitig drohten die Polizisten, Fotos und persönliche Daten an XA weiterzugeben.3) Solche Vorkommnisse sind keine Einzelfälle mehr, sondern die Regel.

Rassistische Kampagnen des Staates und der Medien

Diese direkte Unterstützung durch einzelne Teile des Staatsapparates wird begleitet durch eine Politik der Regierung und eine Propaganda in Teilen der Mainstream-Medien, für die die Rhetorik der XA als Stichwortgeberin fungiert. Schon im Frühjahr, vor den Wahlen, wurde eine Diskussion entfacht, die den »illegalen Migranten« als stereotypische Figur der Unsicherheit, der Kriminalität und als Gefahr für die öffentliche Hygiene (lies: »Volkshygiene«) darstellte. Diese Strategie verfolgte auch das Ziel, die öffentliche politische Agenda zu ändern, weg von einer Diskussion über Wirtschaft und Sparmaßnahmen hin zu einer der Sicherheitspolitik und des Rassismus. Die MigrantInnen sind das klar erklärte Feindbild.

Vor allem die auflagenstärkste Sonntagszeitung Proto Thema, aber auch liberale Medien haben XA als Unterstützer und Garant der Sicherheit für die vom Staat ignorierten GriechInnen präsentiert. Gleichzeitig haben die Mainstream-Medien Teile der XA-Ideologie und Propaganda übernommen, auch wenn darin der faschistische Anteil eher verborgen ist. XA wird als Partei dargestellt, die das mache, von dem alle immer nur reden würden. So wundert es nicht, dass auch die Spitzenpolitiker der PASOK und ND mittlerweile die Rhetorik übernommen haben: Ministerpräsident Samaras redet beständig über eine angebliche »migrantische Invasion« und die Notwendigkeit, dass die GriechInnen sich ihre Viertel »wiedererobern« müssten.

Doch der Staat ließ den Worten auch Taten folgen. Im Frühjahr kam es über mehrere Tage immer wieder zu Razzien im Zentrum von Athen, die zur Verhaftung von tausenden MigrantInnen führten.  Gleichzeitig wurden neue Lager für MigrantInnen angekündigt und in alten Militärkasernen eröffnet. Es geht schlechthin um die Inhaftierung von 30.000 MigrantInnen, wie es der Staat verlauten ließ. Am 4. August wurden diese Razzien wiederholt. Unter dem zynischen Namen »Xenios Zeus«, welcher auf die Rolle des antiken Gottes Zeus als Beschützer der Fremden anspielt, wurde eine mehrtägige Polizeioperation gestartet, die wiederum zur Verhaftung von mehreren tausend MigrantInnen geführt hat. Die Operation war ein klares Beispiel von so genanntem racial profiling, also der willkürlichen Kontrolle von Personen aufgrund ihres Aussehens. Die Operation hatte zudem einen eigenwilligen Fokus auf Transsexuelle, SexarbeiterInnen und Drogenabhängige. Zudem wurde ein obligatorischer HIV-Test angeordnet.

Die Operation Xenios Zeus wurde zwar von XA als »ineffektiv« und »PR-Stunt« kritisiert, gleichzeitig aber von Motorradbanden aus dem Umfeld von XA begleitet. Diese streiften durch die Stadt und griffen willkürlich MigrantInnen an, was am 12. August zum Tod eines irakischen Migranten führte. Wie Augenzeugen berichteten, griffen die Faschisten vorher weitere Migranten an, die sich aber in Sicherheit bringen konnten.

Autoritäre Krisenbewältigung

Rassismus und Nationalismus stehen im Kern dieser autoritären Krisenbewältigungsstrategie, die im Rückgriff auf die jüngere griechische Geschichte leicht aktivierbar sind. Die nationalistische Debatte um Mazedonien mit der gleichzeitigen Unterstützung des serbischen Nationalismus und der anti-albanische Rassismus der 1990er Jahre sind rechte Mainstream-Diskurse, an die angeschlossen werden kann.

Dennoch: Es geht in der Krise nicht mehr lediglich darum, MigrantInnen zu Sündenböcken abzustempeln. Diese Figur wird zwar ohne Zweifel weiterhin im Zentrum der autoritären Krisenbewältigung stehen, gleichzeitig wird aber klar, dass es ebenso darum geht, weitere Teile der griechischen Gesellschaft ins Visier zu nehmen, die als von der Norm abweichend konstruiert werden.

Angesichts der strukturellen Tolerierung und Legitimierung des Neonazismus durch den griechischen Staat steht die griechische Linke vor der Aufgabe, einen neuen Antifaschismus zu entwickeln. Er muss sich einerseits der Basisorganisation und der Selbstorganisierung widmen, um die soziale Basis des Faschismus zu zerstören, andererseits muss er eine vertiefte Kooperation von Staat und Faschisten verhindern. Die Antwort kann nicht nur darin liegen, die ökonomischen Ursachen des aufziehenden Faschismus zu bekämpfen. Vielmehr geht es auch darum, antifaschistische Identitäten aufzubauen und den griechischen Rassismus, wie er sich etwa schon vor der Krise in der Asyl- und Migrationspolitik gezeigt hat, zu bekämpfen.                

 

 

Fußnoten:

1) Die Bedingungen der Troika (Europäische Zentralbank, Europäische Kommission, IWF) für die weitere finanzielle Unterstützung des griechischen Staats, oftmals ein radikaler Abbau sozialer und ArbeitnehmerInnenrechte, werden durch so genannte Memoranda in Griechenland implementiert. Ein Memorandum umfasst dabei ein ganzes Bündel von Maßnahmen, welche en bloc und ohne lange parlamentarische Beratung verabschiedet werden.
2)www.tovima.gr/afieromata/elections2012/article/?aid=457088
http://ansamed.ansa.it/ansamed/en/news/sections/politics/2012/05/11/Greece-than-half-police-officers-voted-Neonazi-party_6854190.html
3) www.guardian.co.uk/world/2012/oct/09/greek-antifascist-protesters-torture-police
www.athensnews.gr/portal/1/58443

 

zurück zur Inhaltsangabe

Archiv