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Scheiß Pogrome, scheiß Nazis ...

Eine Bestandsaufnahme der neuen antirassistischen Bewegung

In der neuen BRD nach 1990 blühte – vorangetrieben durch die mediale Hetze gegen Flüchtlinge sowie die »Asyldebatte« der Parteien – die rassistische Gewalt. Nach der Vereinigung von DDR und BRD wurde so getan, als ob Anschläge auf Flüchtlinge und Migrant_innen ein Problem weniger »irregeleiteter« Jugendlicher und lediglich ein Phänomen der neuen Bundesländer sei, nur vorübergehende Anpassungsschwierigkeiten eben. Die Kontinuität der Übergriffe und Anfeindungen schon vor der »Wiedervereinigung« in der DDR und der BRD spricht eine andere Sprache. Denn geht man die Liste der Chroniken zu rassistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Übergriffen, Brandanschlägen und Todesopfern seit den 90er Jahren durch, sieht man schnell, dass Rassismus hier wie dort tief in der Gesellschaft verankert ist: Hünxe, Mölln und Solingen stehen in einer Reihe mit Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen.

Mit der Veränderung der weltpolitischen Bühne um 1990 wurde auch eine Krise linker Bewegungen in Westdeutschland sichtbar. Die neu entstehenden antirassistischen und antifaschistischen Gruppen reagierten auf den vehementen politischen Backlash, der infolge der Angliederung der DDR um sich griff, sowie auf die offene Brutalisierung der Verhältnisse: Nazis mordeten, jagten Flüchtlinge zu Tode, steckten Häuser und Menschen in Brand, »normale Bürger_innen« veranstalteten Pogrome – durch Medien und Politik verständnisvoll begleitet, unterstützt und aufgehetzt. Ein Mechanismus, welcher sich wie ein brauner Faden durch die deutsche Geschichte zieht (siehe auch Artikel »Historische Kontinuitäten von Rostock bis heute«, Seite 41). Diese Pogrome rechtfertigten in den 90ern die Verfolgungen und Anschläge mit ihrer »Das Boot ist voll« – Rhetorik, sorgten für die Eskalation durch Schaffung von Missständen und nutzten die hervorgerufene Stimmung perverserweise für die Beseitigung des Asylrechts wie für die Einführung einer mörderischen Abschiebe- und Grenzpolitik gegen Flüchtlinge. Die Erfahrung, dass es innerhalb kurzer Zeit möglich ist, Pogromstimmung hervorzurufen, dass die Polizei im »besten Fall« untätig bleibt, ansonsten vor allem gegen Gegendemonstrant_innen vorgeht, dass die »bürgerliche Mitte« bei Mord und Totschlag Verständnis zeigt und Beifall klatscht, hat eine Generation der Antira und Antifa geprägt.

Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen erscheint dabei als Zäsur, als tiefer Einschnitt in das Vertrauen auf die Handlungsfähigkeit der antifaschistischen Bewegung, auf das Vertrauen, das Staat und Zivilgesellschaft es nicht zulassen werden, dass Flüchtlinge dem Mob schutzlos ausgeliefert werden, dass Pogrome in Deutschland nicht mehr möglich wären. Doch die Übergriffe in den frühen 90ern haben eine Vorgeschichte, die mit Einrichtung von Sammellagern für Flüchtlinge und die Zunahme rassistischer Übergriffe in den 1980er Jahren in der BRD beginnt.1) Der seit Ende der 1980er laufenden rechten Kampagnen gegen »die Asylantenflut!« setzt die radikale Linke die Parole »Für freies Fluten!« entgegen und begrüßt ausdrücklich die Ankunft von Asylsuchenden. Doch mit dem Ende der DDR verändert sich die Situation. Die folgenden Jahre sind insbesondere durch rechte Anschläge, offene Gewalt und die Präsenz von Nazis, die so genannte »national befreite Zonen« verkünden, geprägt. 1991 tobt der Mob in Saarbrücken, Hünxe, Hoyerswerda. Aus Angst um ihr Leben besetzen 1992 daher asylsuchende Flüchtlinge über vier Monate eine Kirche in Norderstedt. Sie wollen nicht in Lager in den neuen Bundesländern untergebracht werden. Dennoch will die Politik angesichts der fremdenfeindlichen Stimmung im Land keine eindeutigen Maßnahmen ergreifen. Rostock-Lichtenhagen ist insofern der Kulminationspunkt einer langen Entwicklung.

Viele Veranstaltungen, Kampagnen und Demonstrationen haben an die Anschläge vor 20 Jahren und das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen erinnert. Bei den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten am 26. August vor der zentralen Aufnahmestelle (ZAST) in Lichtenhagen sprach der Bundespräsident. Am Ort des Geschehens wird eine Eiche als Zeichen der Erinnerung gepflanzt – und kurz darauf von Antirassist_innen wieder abgesägt. Die Erinnerungen von antifaschistischen Aktivist_innen, die damals vor Ort waren, sind weniger blumig (Antina statt Antira – zwei Tage in Rostock-Lichtenhagen, Gaston Kirsche, Seite 17). Die antirassistische Demonstration zum Jahrestag in Rostock (Grenzenlose Solidarität – Rede von Conni Gunsser, Seite 19) und die Verteilaktion von DVDs mit der Dokumentation der Ereignisse (The Truth Lies In Rostock, Gaston Kirsche, Seite 39) sind Belege der Lebendigkeit des Gedenkens und der Bedeutung des Pogroms für die antirassistische Szene.

Die antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, gingen 1992 unterschiedliche Wege beim Schutz der Flüchtlinge in Wohnheimen, gegen den Mob auf den Straßen und in den Amtsstuben sowie in der politischen Auseinandersetzung. Die Trennung, die noch heute von Bedeutung ist, wurde lediglich im Zusammenhang mit der Kampagne gegen die Abschaffung des Asylrechts 1993 überwunden (S.13 Beitrag Hilde Sanft). Danach war der Gutscheinumtausch oder die Hilfe beim Kampf mit der Bürokratie fast nur noch für Antirassismusgruppen wichtig, die nun auch mit kirchlichen Gruppen zusammenarbeiteten. »Damit entfernten sich die linken Antirassismusgruppen vom sozialen und thematischen Bezugsrahmen der übrigen autonomen Szene«.2)

Der bis Anfang der 1990er oft gepflegte Militanzfetisch vieler autonomer Gruppen wurde kritisiert. Darüber hinaus wurde in der Zusammenarbeit mit Flüchtlingen ganz bewusst versucht, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln. Teilweise bedeutete eine engere Zusammenarbeit mit Flüchtlingen auch eine partielle Abkehr von oft als hierarchisch und sexistisch wahrgenommenen eigenen Szenestrukturen. Mit der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant_innen 1994 und der Kampagne »Kein Mensch ist illegal« nahm dieses veränderte Verständnis politischer Arbeit Form an.

Eine Zäsur stellen die Anschläge und Pogrome 1992 dar, weil sie einer Niederlage der bisherigen Politik der unabhängigen Linken in Deutschland gleichkommen. Der öffentliche Raum musste stellenweise den Nazis überlassen werden. Menschen wurden gejagt, verletzt und getötet. All dies macht die Niederlage in diesem Moment deutlich. Diese Momente scheinen sich auch jetzt noch zu wiederholen, wenn der Innenminister Friedrich, wie gerade geschehen, einmal mehr das Asylrecht und den Schutz von Flüchtlingen in Frage stellt.

Somit stellt die Zäsur von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder andernorts eher einen Einschnitt in Selbstverständnis und der Organisationsformen der radikalen Linken dar. Die Trennung von antifaschistischer und antirassistischer Arbeit ist ein Ausdruck dieser Situation. Eine Bestandaufnahme zu diesem Thema findet sich im Artikel »20 Jahre nach Rostock« von »Rassismus tötet«, (Seite 37). Und die Wirklichkeit ist noch heute von dieser Niederlage geprägt und anscheinend nicht weniger rassistisch als vor 20 Jahren. So wirft der Beitrag »20 Jahre später und doch alles beim Alten?« Gözde Peşmen (Seite 31) den antirassistischen Aktivistinnen vor, noch heute die Verschränkungen der Diskriminierungen zu übersehen.

Die Neuformierung der Linken hat indes auch viele neue Formen des Widerstands hervorgebracht und neue Bündnisse ermöglicht. Relativiert wird dieser Eindruck der Zäsur darüber hinaus durch Gruppen wie die Antifa Genclik: »Selbstorganisation zwischen den Fallstricken der Antirassistischen Praxis« (Seite 32), ADEFRA oder die Initiative Schwarze Deutsche: »Schwarzer Widerstand in Deutschland« (Seite 28), die ihre Organisationsfähigkeit schon zuvor unter Beweis gestellt haben und ihre eigenen Themen stark gemacht haben. Nicht zuletzt anzumerken in diesem Zusammenhang ist aktuelle Entwicklung des Flüchtlingmarsches nach Berlin (Seite 21). Hingegen offenbart ein Blick nach außen, beispielsweise nach Irland: »Antirassismuss in der Republik Irland« von Julia Verse, (Seite 25), dass der neoliberale Mainstream ein großen Teil der moralischen Verwüstungen mit verursacht hat, die eine veränderte Praxis antirassistischer Arbeit erforderte.

Mit dem Schwerpunkt dieser Ausgabe haben wir eingeladen, über die Bedeutung der Pogrome und der neonazistischen Gewalt der letzten zwanzig Jahre für eine neue antirassistische Bewegung zu schreiben. Im Laufe zweier Jahrzehnte haben sich viele Leute engagiert, sind abgesprungen, zu anderen Themen gewechselt, immer noch dabei auf die eine oder andere Weise. Eine ganze Generation ist aber mittlerweile neu hinzugekommen, mit neuen Ideen und Ansichten. Erfahrungen weiterzugeben und für eine neue Generation anschlussfähig zu machen, ist unser Wunsch. Was der historische Bogen der zwanzig Jahre zeigt, von den rassistischen Anschlägen und der Asyldebatte der frühen 90er bis hin zum Bekanntwerden des NSU im letzten Jahr und den toten Flüchtlingen im Mittelmeer: In unseren Kämpfen um Emanzipation können wir uns nicht auf Zivilgesellschaft und staatliche Organe verlassen. Diese Haltung, das hat das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen gezeigt, wäre für eine emanzipatorische Linke und Flüchtlinge fatal.             

Fußnoten:

1)  Auch die DDR war in dieser Phase kein Land der Seligen, wie die Ausstellung »Das hat‘s bei uns nicht gegeben!« der Amadeu Antonio Stiftung oder auch der Text von Harry Waibel »Rassismus in der DDR« in der ZAG 50, 2007 zeigen.
2) »Konjunkturen der Solidarität oder vom Mitgefühl zum Miteinander« in: arranca 40, 2009, im Internet: http://arranca.org/ausgabe/40.

Eure ZAG

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