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Critical Whiteness und antirassistische Arbeit

Critical Whiteness ist ein Thema, das in der antirassistischen Szene seit Jahren immer wieder kontrovers diskutiert wird. Auch in den Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften haben sich Ansätze, die eine kritische Perspektive auf »Weißsein« einnehmen, zunehmend etabliert – etwa in Form von Postcolonial Studies oder kritischer Weißseinsforschung. Uns gefällt an dem Ansatz der analytische Blick auf die rassistische Normalität aus der Mitte der Gesellschaft. Denn wir verstehen Rassismus als strukturelles Phänomen. Hinzu kam, dass in unserer Zeitschrift seit einigen Ausgaben in der Rubrik »Debatte« ein Austausch über Critical Whiteness stattfand. (ZAG 57, 58, 59) Und so haben wir uns entschieden, diesen Schwerpunkt zu machen.

Unser Selbstverständnis als Redaktionskollektiv sieht vor, anderen ein Forum zu geben, um über ihre praktische und wissenschaftliche Arbeit zu berichten. Dabei verstehen wir uns oft als »Übersetzer_innen«, die die Expert_innen stets ermahnen, einen allzu universitären Duktus zu vermeiden. Wir verstehen uns also selbst nicht als Expertinnen und Experten der jeweiligen Schwerpunkte. Das Konzept ging bei dem Thema Critical Whiteness nicht ganz auf. Als »weiße« Redaktion wurde uns deutlich, dass es dieses Mal wichtig ist, unsere gesellschaftliche Positionierung und unser Verständnis von antirassistischer Arbeit zu klären. Wir sind rassistisch privilegiert, obwohl einige von uns einen migrantischen Hintergrund haben und einige aus der Arbeiterklasse kommen. Unsere Sichtweise auf Rassismus und rassistische Diskurse ist stark von »weißen« sozialwissenschaftlichen Perspektiven geprägt. Rassismus ist in unserer Lesart ein strukturelles Phänomen kapitalistischer Gesellschaften – ebenso wie Sexismus und andere Unterdrückungs- und Dominanzverhältnisse. Wir sind Teil dieser Verhältnisse, wir sind von ihnen geprägt und agieren in diesen Strukturen. Wir versuchen, die bestehenden Handlungsspielräume zu nutzen, um die Strukturen zu analysieren und zu bekämpfen. Dabei ist es uns wichtig, dass wir uns nicht als Anwält_innen oder Fürsprecher_innen im Namen von rassistisch unterdrückten Menschen sehen, sondern eine eigene Motivation haben, uns gegen Rassismus zu wenden. Denn rassistische Verhältnisse stellen Anrufungen und Zuschreibungen an die rassistisch Privilegierten dar, den Normen der Herrschaft zu entsprechen (Balibar und Wallerstein 1990). Die Vereinnahmung als »Weiße« oder als »Deutsche« in einem kapitalistischen Staat ist für uns Motivation zu antirassistischer Arbeit. Wir haben also eine eigene gesellschaftskritische Motivation, die nichts zu tun hat mit einem paternalistischen »white mans burden«.

Das bedeutet aber nicht, dass wir uns als »Opfer« von Rassismus sehen oder dass wir daraus ableiten würden, selbst nicht Teil der rassistischen Strukturen zu sein. In der Auseinandersetzung mit Critical Whiteness ist uns ebenso klar geworden, dass wir aus dieser Perspektive vor allem als Teil der rassistischen Strukturen wahrgenommen werden. Das ist schwer zu akzeptieren. In unserer antirassistischen und sonstigen politischen und wissenschaftlichen Arbeit analysieren wir gesellschaftliche Strukturen und Bevölkerungsgruppen differenziert und suchen die Geschichte neben der »single story« (Mai Zeidani in diesem Heft), die andere Geschichte, die vielfältigen Perspektiven jenseits von Stereotypen.

Vor dem Hintergrund dieser Bemühung empfinden wir immer wieder Unbehagen beim Lesen einzelner Texte. Insbesondere die häufig sehr homogene Konstruktion von »den Weißen« und unseren Privilegien irritieren uns. Wir müssen uns mit der Struktur identifizieren, die wir seit vielen Jahren in verschiedenen Kontexten kritisieren.

Wie Mai Zeidani in diesem Heft Seite 15 schreibt: »Es ist wichtig in Erinnerung zu behalten, dass Weißsein keine Anschuldigung ist. Es ist die Verortung des Selbst innerhalb eines politischen und geschichtlichen Kontexts und sollte nicht deshalb zu irgendeiner Art von Schuldgefühl oder Bedauern führen. Die Verarbeitung des eigenen Weißseins sollte deshalb mit etwas Abstand passieren. Kritik anzunehmen, wenn man mit seinen eigenen rassistischen Gedanken und Taten konfrontiert wird, bedeutet nicht, ein Verbrechen einzuräumen, sondern gerade den Versuch, eins zu vermeiden. Dieses Verständnis seiner eigenen Positionierung sollte als Ausgangspunkt jeder Diskussion genommen werden, ob wissenschaftlich oder nicht.«

Aber der eingeforderte selbstreflexive Umgang scheint in sehr vielen Fällen nicht zu funktionieren, wie der Beitrag von Sanchita Basu und Jennifer Petzen zeigt. Und vor diesem Hintergrund wird dann wieder verständlich, warum Tamara K. Nopper den Begriff »weißer Antirassist« als Oxymoron, als Widerspruch in sich bezeichnet. Das liegt sicher zumeist an mangelnder Selbstreflexion der Privilegierten. Aber kritische Selbstreflexion wird zuweilen dadurch erschwert, dass Hinweise auf rassistische Denk- Sprech- und Handlungsweisen in der Form der Anklage eines Verbrechens getätigt werden – aus verständlichen Gründen. Eine verzwickte Situation.

Damit das nicht so bleibt, ist es auch notwendig, Bündnisse einzugehen und in diesem Rahmen müssen wir rassistisch Privilegierten reflektiert auf People of Color zugehen, deren Misstrauen verstehen lernen. So ist das Othering, wie Daniel Kumitz es beschreibt, eine der Hürden in Gesprächen. Zugleich muss die antirassistische Arbeit in Deutschland berücksichtigen, dass das Konzept »Critical Whiteness« ein »falscher Freund« ist, wie Melanie Bee ausführt. Ähnlich wie »Handy« klingt »Critical Whiteness« amerikanisch – ist im Herkunftskontext aber als Begriff unüblich. Und bei der Anwendung des Konzeptes in der politischen Arbeit muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass es in einem anderen Kontext entstand und in Deutschland immer übersetzt werden muss, um im hiesigen Kontext sinnvoll eingesetzt werden zu können. Ein Begriff, der ebenso aus dem Englischen kommt, ist Racial Profiling. Eine Praxis, die erst kürzlich in Deutschland durch das Verwaltungsgericht Koblenz legitimiert wurde. KOP kritisiert die Alltagspraxis des Racial Profiling, bei der die »weiße« Institution Polizei systematisch Nicht-»Weiße« kriminalisiert (in diesem Heft Seite 27). Die Arbeit der Kampagne für Opfer Rassistischer Polizeigewalt (KOP), die den Artikel beigesteuert hat, ist zudem ein gutes Beispiel für gelungene Bündnisarbeit.

Eure ZAG

Literatur

Balibar, Étienne; Wallerstein, Immanuel Maurice (1990): Rasse – Klasse – Nation. Ambivalente Identitäten. Hamburg; Berlin: Argument-Verl.

Nopper, Tamara K.: The White Anti-Racist Is an Oxymoron http://racetraitor.org/nopper.html

Tissberger, Martina (Hg.) (2009): Weiss – Weisssein – whiteness. Kritische Studien zu Gender und Rassismus. 2. Aufl. Frankfurt, M.; Berlin, Bern, Bruxelles, New York, NY, Oxford, Wien: Lang.

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