Was ist eigentlich mit dem Krieg los? Die Bundeswehr baut Mädchenschulen in Afghanistan? Das Militär wird zum technischen Hilfswerk mit einem robusten Mandat?
Sollte Krieg nicht mit Säbelrasseln und offensichtlich rassistischer (post-)kolonialer Geste einhergehen? Immerhin ist die Nation traditionell mit Krieg und Rassismus eng verbunden. Preußen entwickelte zur Abwehr der französischen Besetzung den deutschen Nationalmythos. Denn Napoleons Erfolge basierten auf der patriotischen Massenmobilisierung. Deshalb waren Krieg und Rassismus eng miteinander verbunden. Indem die nationale Mobilmachung die homogene nationale Gemeinschaft konstruiert und zugleich zur Bekämpfung „der Anderen“ diente, war sie immer schon rassistisch – und ist es immer noch.
Die Verbindung von Nation, Krieg und Rassismus fand im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg ihren bisherigen Höhepunkt. Deshalb war Deutschland die Möglichkeit zur eigenständigen Kriegsführung lange Zeit verwehrt. Aber zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung scheint es, dass der Prozess der Normalisierung deutscher Kriegsführung – Entschuldigung – Außenpolitik abgeschlossen sei. Horst Köhler musste zwar zurücktreten, nachdem er äußerte, dass Deutschland seine wirtschaftlichen Interessen mit militärischen Mitteln durchsetze. Aber der DIHK-Präsident Driftmann forderte den grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Wahrung von Wirtschaftsinteressen – und ist noch im Amt. Den Normalisierungsprozess der deutschen Außenpolitik hat Marcus Hawel für uns nachgezeichnet.
Seltsam erscheint uns, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr so ganz ohne Rassismus, Propaganda gegen den Feind, das Säbelrasseln und imperiale Großmachtsträume auskommen sollen. Die Bundeswehr präsentiert sich als Speerspitze der wehrhaften Demokratie, die am Hindukusch verteidigt wird. Sie pflegt das Image einer freundlich gesinnten Entwicklungshilfeorganisation. Sie fordert, dass ihre Toten doch zumindest ein bisschen heldengedenkt und trauergefeiert werden sollten. Das sei Deutschland doch den Familienangehörigen schuldig. Und wenn man schon dabei ist, sollte es auch im Fernsehen übertragen werden. Zivile Opfer unter der afghanischen Bevölkerung gelten indes als Kollateralschaden – oder als extremistische Terroristen. Dabei ist die Staatsbürgerschaft offensichtlich nicht mehr das entscheidende Kriterium. Als amerikanische Drohnen Anfang Oktober fünf deutsche Staatsbürger ermordeten, hat die Bundesregierung noch nicht mal eine Untersuchung gefordert. Ob es einen Zusammenhang damit gibt, dass es sich um Muslime gehandelt haben soll? Der Afghanistaneinsatz ist von antimuslimischen Ressentiments durchdrungen. Deutsche muslimische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind es offensichtlich nicht wert, dass das Auswärtige Amt seiner Aufgabe nachkommt.
Der Krieg gegen den Terror, uneingeschränkte Solidarität und die Verteidigung der gesamten zivilisierten Welt sind die neuen Begründungen für militärische Aktionen. Demnach sei der militärische Einsatz notwendig für die Emanzipation der Mädchen und Frauen in Afghanistan, so dass diese zur Schule und ohne Burkha auf die Straße gehen können. Damit es ihnen trotz der angenommenen Rückständigkeit Afghanistans erlaubt wird, öffentliche Ämter zu übernehmen. So stellt es jedenfalls die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr dar. Deren Propagandaoffiziere, genannt Jugendoffiziere, gehen in Schulen, um das Personal für die angeblich humanitären Einsätze zu werben. Wie diese Propaganda funktioniert und welche Initiativen sich dagegen gegründet haben, schildert Martin Singe. Ein Beispiel wie die Wissenschaft, konkreter Politologen der Freien Universität Berlin an der Legitimation des Afghanistan-Krieges mitarbeiten, schildert Ralf Hutter in seinem Beitrag.
Die Entwicklungshilfe war immer schon ein Mittel, die Interessen der Geberländer durchzusetzen. Staudämme funktionieren hervorragend mit in Deutschland gekauften Turbinen. Also handelt es sich um Wirtschaftsförderung. Leider gibt es den Trend, die Entwicklungshilfe auch noch gleich umzufunktionieren, um Sicherheitsinteressen durchzusetzen. Für Infrastruktur postkolonialer Besetzungen werden zunehmend die Mittel der Entwicklungshilfe eingesetzt. Armutsbekämpfung wird da zur Nebensache, wie Jürgen Wagner zeigt.
Indessen gibt die Auswahl der „humanitären Aktionen“ Auskunft über ihre rassistischen Hintergründe. Während das Grundgesetz am Hindukusch verteidigt wird, stellt sich die Frage, weshalb die ethnisierten Konflikte und Völkermorde in Ruanda und Sudan keine Bedrohung darstellen. Weshalb wurde dort nicht vehement eingegriffen, obwohl deren rassistische Qualität offensichtlich war? Daran wird deutlich, dass es bei den Interventionen weniger um humanitäre Einsätze als vielmehr um Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen und um Bündnistreue geht. Ginge es um humanitäre Einsätze, so würden sich die Konflikte in Sierra-Leone, Ruanda, Burundi, Kongo, Uganda oder im Sudan anbieten, bei denen eine besonders grausame Kriegstaktik angewendet wurde: Massenvergewaltigungen. Sie zielen ausschließlich auf die Zivilbevölkerung, die Opfer werden schwer verletzt und für ihr Leben lang traumatisiert. Die rassistisch ethnisierte Dynamik dieser Konflikte führt dazu, dass die betroffenen Frauen und Kinder aus ihren sozialen Netzwerken ausgeschlossen werden. Diese grausame und absurde doppelte Bestrafung dient dazu, die „ethnische Reinheit“ der jeweiligen Gruppe zu bewahren. So werden soziale Zusammenhänge zerstört und die Folgen werden über Generationen hinweg anhalten. Die Folgen dieser Kriegstaktik und den Zusammenhang von Krieg, Rassismus und Sexismus thematisiert Talke Flörcken. Hier zeigt sich auch sehr stark, wie Geschlechterkonstruktionen in ethnischen Konflikten genutzt werden.