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Dieter Bohlen für die anderen

Homophobie im Reggae und Hip-Hop

Martin Giese

Am 20. August 2008 wurde der Auftritt von Beenie Man, einem der international erfolgreichsten Dancehall-Künstler, in Hamburg kurzfristig abgesagt. Hintergrund war die Auseinandersetzung über seine Songtexte, in denen er zur Gewalt gegen Schwule aufruft.

Das Thema ist nicht neu. Schon häufig gab es homophobe Texte, doch seit 1992 wurde mit »Boom Bye Bye« eine neue Qualität erreicht: »(Its like) Boom bye bye – Inna batty bwoy head – Rude bwoy no promote no nasty man Dem haffi dead. (frei übersetzt etwa: Boom und tschüß – Direkt in den Kopf vom Batty Boy. Coole Jungs unterstützen keine ekligen Männer – Sie sollen sterben« Mit diesen Worten nahm sich der Toaster Buju Banton die dichterische Freiheit, seine Ansichten poetisch unters Volk zu bringen. Seitdem diskutiert die Szene in Europa. In England wurde von der Organisation Outrage ein »Reggae Compassionate Act« formuliert, der nun den Dancehall-Interpreten zur Unterschrift vorgelegt wird, die in ihrem Repertoire gewalttätige Texte haben. Mit ihrer Signatur bezeugen die Künstler das Prinzip von »One Love« und unterstützen die Tradition von Reggae als »Agenten der positiven sozialen Veränderung« und einer Rückkehr zu den Prinzipien von Toleranz, sozialem Engagement und »positive Vibrations«. Die Ablehnung kann teuer werden, denn die nachfolgende Diskussion in der Öffentlichkeit führt häufig zur Absage von Tourneen. Das soll in den vergangenen Jahren 3,1 Millionen gekostet haben.

So kann der Londoner Outrage-Aktivist und Journalist Peter Tatchell auf seiner Website in jüngster Zeit die Unterschriften von einigen der betroffenen Künstler (unter anderem Buju Banton) abbilden. Seit 2005 ist auch Beenie Man dabei. Doch mittlerweile wurde bekannt, dass Anthony Moses David – so der bürgerliche Name – und seine Kumpanen zurück in ihrer Heimat jede Aktivität in diese Richtung abstreiten. Denn was in Europa den Ruf beschädigt und damit den kommerziellen Erfolg schmälert, stärkt in Jamaika bei Dancehall-Veranstaltungen das Renommee. Kürzlich wurde ein erneutes Papier, der »Berlin Reggae Compassionate Act« aufgestellt und wieder unterschrieben. Danach hat dann das Berliner Konzert stattgefunden.

Doch für Hamburg reichte das nicht aus und führte im Abschluss zu einer anschließenden Diskussion mit Vertretern der GAL, dem St.Pauli Fanclub und örtlicher Reggae-Soundsystems, um auch ein Vorgehen für die nächsten anstehenden Konzerte abzustimmen. Bei dieser Veranstaltung wurde unter anderem erwidert, dass man einen Künstler nicht auf »drei Songs« reduzieren könne und dass es ein »Recht zur Selbstregulierung« innerhalb der Dancehall-Szene gäbe. Es wäre wirkungsvoller– und würde bereits mehrfach praktiziert – dass entsprechende homophobe Titel mit einem Pfeifkonzert vom Publikum kommentiert würden. Ein Konzertverbot sei kein probates Mittel, die homophoben Inhalte zu bekämpfen. Ein weitere Wortmeldung argumentierte, dass der Erwerbsdruck in Jamaika immens sei, und die Künstler förmlich zwingen würde, sich in ihrer Heimat der vorherrschenden schwulenfeindlichen Grundstimmung anzupassen.

Zuflucht und Abgrenzung

Eine Äußerung, die deutlich macht, welche Schwierigkeiten der »aufgeklärte und ausgeglichene Europäer« hat, wenn es darum geht, einen klaren Standpunkt gegenüber seinen Lieblingen zu haben (vor allem, wenn diese aus einem anderen Kulturkreis kommen). Ein Phänomen, das auch andere Disziplinen betrifft, die identifikationsstiftend sind. Doch beim Pop findet die Diskussion auf mehreren Ebenen statt. Aus Sicht des Liebhabers gehört der eigene Geschmack zum Charakter und bietet Zuflucht, Anregung, Abgrenzung und Zugehörigkeit. Gerade bei kulturellen Subszenen, die kaum ohne angelernte Kenntnisse zu entdecken sind, wird ein Angriff von außen schnell abgewehrt. Fehlende Details, grobe Verallgemeinerungen und falsch geschriebene Namen sind ein Indiz dafür, dass der jeweilige Kritiker den eigentlichen Wert der Musik nicht schätzen kann oder will. Also kann auch seine Kritik nicht ernst genommen werden.

Wenn die Musik noch einen (pseudo-)rebellischen Habitus beinhaltet (der sich häufig zusammensetzt aus unreflektierter Systemkritik, wilden Posen und demonstrativen Drogenkonsum), wird die Kritik daran erst recht nicht auf Augenhöhe wahrgenommen. Denn wäre sie legitim, fordert sie Konsequenzen im Referenznetz Pop bei sozialen Kontakten, Überzeugungen und präferiertem Freizeitverhalten. »Hier eine Trennungslinie einzuziehen, hieße, direkt durch den eigenen Lebensentwurf hindurch zu schneiden, sich von dem zu distanzieren, was man eigentlich ist«, schriebt Paul-Philipp Hanske im Juli 2008 in der Süddeutschen Zeitung.

Ein weiterer Erklärungsversuch in diese Richtung: »Parolen schreien hat schon immer gut funktioniert, um die Massen zu bewegen. Kenner und Kennerinnen des Landes und der Szene argumentieren hier mit »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, sprich: »Lass den Hund doch bellen, der tut nix.« – so ein Eintrag in einem Diskussionsforum. Und kommt der Sound auch noch aus einem anderen Kulturkreis, dann fühlt man sich als weißer (zumeist männlicher) Hörer auch endlich mal richtig ungerecht behandelt – zumindest bis zum nächsten Taschengeld. Und damit geht man dann wieder in die Clubs; »ich reiß mein lighter auch hoch wenn so’n tune kommt – TOK’s «chi chi man” is musikalisch gesehen einfach hammer – und ich wär schön dumm wenn ich auf einen dance geh, wo ich weiß dass die geilsten tunes nich gespielt werden…« oder »ich selber leg’ intensiv Reggae und Dancehall auf, und ich spiel auch eben solche Nummern, die besonders darauf abzielen Schwule zu dissen!… (denn) wenn ich Reggae spiele, spiele ich eine Kultur, und wenn etwas zu dieser Kultur gehört, dann spiel’ ich es eben auch! wer gibt mir das Recht darüber zu entscheiden, was in einer anderen Kultur richtig und falsch ist? Normen und Werte sind eben überall anders«. Oder: »Wer so eine Musik auflegt repräsentiert halt einfach die gesamte Kultur und nicht nur die happy-reggae-sunshine-one love-Seiten. Und nun? Zensieren, weil ein paar Beschränkte die Beweggründe nicht verstehen? Für solche Leute gibt’s Dieter Bohlen-Friends: ohne Ecken und Kanten und auch ohne Hintergrund. Es gehört halt alles zusammen… Wir sind ja aufgeklärt genug, dass wir nicht rumlaufen und den nächsten Schwulen anzünden.« Und den übernächsten?

Warum wird hier Toleranz für Musik »einer anderen Kultur« eingefordert, die selbst keine Toleranz bereit hält – und das von Personen, die sich wahrscheinlich selbst als politisch links und reflektiert einschätzen? Und die genannten Songs wirken zudem staatstragend: Der genannte Schwulenhasser Song von TOK war die Wahlhymne der Opposition bei der letzten Abstimmung. In Jamaika ist Homosexualität unter Männern verboten. Bis zu 15 Jahren Haft drohen für einfaches Händchenhalten. Die Selbsthilfegruppe J-Flag berichtet von über 30 Ermordungen von Schwulen in Jamaika zwischen 1997 und 2004 unter anderem auch an dem J-Flag-Mitgründer Brian Williamson. Als ihn am Todesabend Freunde besuchen wollten, sangen Nachbarn schon vor dem Haus »Boom Bye Bye« und feierten.

Auch beim Hip-Hop hier gehört der Schwulen-»Diss« zum guten Ton. So verzeichnet die »Da Dis List« – eine Auflistung von Songs und Interpreten mit Schwulenhetze – nahezu jeden bekannten Rapper zumindest einmal. Bei Wortgefechten wird das Schimpfwort für Schwule »Faggott« oder Frauen »Bitch« dazu benutzt, die Männlichkeit des Kontrahenten anzuzweifeln. Und das trifft schwer. Denn beide Kulturen sind stark männlich codiert. Hier hat der Mann noch was zu sagen, hier tanzen die Frauen noch nach seiner Pfeife, hier braucht man nur eine Rolle Scheine und die Welt dreht sich scheinbar nur um einen selbst – zumindest im Video-Clip, den man selbst bezahlt.

Entwicklung zum Gangster-Rap

Beim Hip-Hop sind die Schwulen- und Frauenfeindlichkeit erst seit Ende der 80er im großen Stil auf der Szene präsent. Zuvor war Hip-Hop eine offene junge Kultur, zu denen zunächst die Kinder spanischer und südamerikanischer Einwanderer ebenso Zugriff hatten, wie hetero- und homosexuelle Personen aus der Disco-Szene sowie einigen weißen Punks wie die Beastie Boys. Die Miterfinder des Gangsta-Stils, »Niggaz with Attitude« (NWA), haben ganze Arbeit geleistet: Bis 1988 hatte Los Angeles fast keine Bedeutung im Hip-Hop. Die großen Stars kamen hauptsächlich aus den Großstädten des Ostens der USA. Dort, wo der Sound und die Kultur ursprünglich entstand. Doch mit Texten über das glamouröse Leben als Gangster inklusive Anlernen von neuen Prostituierten, Großeinkauf von Gold und Diamanten für Hand, Hals und Frontzähne, offenem Hass auf die Polizei sowie das Ermorden von Konkurrenten, wurde Aufmerksamkeit erregt. Tatsächlich finanzierten viele später erfolgreiche Rapper ihre ersten Aufnahmen durch eine kriminelle Karriere. Der Gangster-Rap löste den bis dahin tonangebenden »Afrocentric-« beziehungsweise »Conscious-Hip-Hop« ab mit dessen halbgaren Mischung aus »Heim nach Afrika«-Romantik und Humanismus. Immerhin war hier das Thema Gleichberechtigung präsent: Queen Latifah, Da Brat, Mc Lyte oder Moni Love gehörten zur Posse dazu.

Doch diese Szene kam aus der gebildeten Mittelschicht. Ihnen standen zumindest rudimentäre Wege zu Jobs und regelmäßigem Einkommen offen. Für viele Unterprivilegierte war diese Spielart nur bedingt attraktiv. Der »neue« Rap bot mit seiner Zurschaustellung von »Härte« genug Projektionsfläche, um Wut und die eigene Trostlosigkeit in vermeintliche »Stärke« umzuwandeln. Und das bezog sich nicht nur auf die materielle Situation: Nach dem rassistisch motivierten Polizeiüberfall auf Rodney King 1991 ging LA’s Stadtteil Compton in Flammen auf.

Seitdem ist die Rollenverteilung bei den meisten Veröffentlichungen schwarz/weiß. Männer sind die »Player« mit Geld, Macht, Autos, Muskeln und Frauen, die sich wiederum leicht geschürzt in Kleingruppen um den jeweiligen Typen kümmern. Und auch hier übernehmen deutsche junge Männer die Klischees nur allzu gern: endlich kernig fühlen statt picklig aussehen. Sollten Frauen in der Realität anders reagieren als auf dem Fernsehschirm, dann nennt man sie kurzerhand auch »Bitches«. Dabei scheint Hip-Hop die Funktion zu übernehmen, die vorher Heavy Metal innehatte; die kulturelle Kinderstube des »Mannwerdens« – das Boot Camp aus dem Radio. Nur die »Härte« zählt. Auch dort waren Frauen oft als Anhängsel inszeniert: auf Plattencovern, Parties und als Groupies.

Und auch damals wurden mit Musik Inhalte und Sprache offensiv vertrieben – so wie heute beim Hip-Hop. Bushido will zuerst »Tunten vergasen«, G-Hot möchte in seinem Song »Null Toleranz« Homosexuelle kastrieren und Konkurrenten werden gern als »Stricher« betitelt – ähnliches äußerten auch die zerstrittenen Ex-Mitglieder von NWA. Das Ergebnis: Klar ist, dass »schwul« als Schimpfwort deutsche Schulhöfe in den letzten Jahren erobert hat. Eine repräsentative mündliche Befragung im Jahr 2002 unter 12- bis 17-jährigen Jugendlichen zeigt, dass 61 Prozent der deutschen Jugendlichen gegenüber Schwulen und Lesben negative Einstellungen haben – sie finden sie »nicht« oder »überhaupt nicht gut«. Dass der Körperkult von 50 Cent und Männer-Gruppen auch homoerotische Signale senden, wird dabei gern ausgeblendet.

Doch in den USA gibt es auch andere Tendenzen. Schwule Rapper sind seit einigen Monaten ein Thema in Magazinen. Wurde seit Jahren gemutmaßt, dass zumindest ein sehr bekannter Rapper homosexuell ist – häufig in Zusammenhang mit neuen Buchveröffentlichungen, die sich dann doch zugeknöpft gaben, zuletzt »Hiding in Hip-Hop« von Terrence Dean – so gibt es jetzt eine Reihe von kommerziell erfolgversprechenden Künstlern wie Deadlee, Caushun oder Q-Boy, die offen homosexuell auftreten. Kanye West rief kürzlich bei einem Konzert für Toleranz gegenüber Schwulen und Andersdenkenden auf und Common, der zwar schon immer als »Conscious«-Rapper gilt, aber in »Da Dis List« 5 Einträge hat, rappt in »Between Me, You & Liberation« über das Coming Out eines Freundes. Und selbst Eminem gelobt Besserung. Schließlich hat die schwule Community auch genügend Kaufkraft.

Ob allerdings das Umdefinieren von unflätigen Bezeichnungen zu einer neuen positiven Codierung funktioniert, so wie viele Subkulturen zuvor, bleibt abzuwarten. In Deutschland geht es derzeit noch ausschließlich um das »böser, schneller, weiter« – solange der Markt das abfordert.

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