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Conspiracy

Verschwörung ist überall, nur nicht hier

Andreas Nowak, ZAG

Was macht Verschwörungen so interessant, dass man nicht nur einfach an sie glaubt, sondern auch noch darüber schreibt? Zum einen ihre erzählerische Form, die – wenn gut aufbereitet oftmals spannungsreich und oftmals zu Recht – unbeachtete Indizien zu einem Komplott verdichten. Bücher wie Dan Browns »Illuminati« oder Filme wie »J.F.K.« von Oliver Stone, zeigen wie erfolgreich so etwas sein kann. Wären Verschwörungstheorien allerdings nur Erzählungen, könnten wir dieses Thema der Literatur- und Kinokritik überlassen.

Momentan zeigt der Blick in Blätter wie die ZAG 50, das AIB 76 oder einige Artikel in der Jungle World, dass ein größeres und weiterreichendes Interesse an ihrer Deutung besteht. Sicher ist die Welle der neu entstandenen beziehungsweise wiederbelebten Weltverschwörungserklärungen nach den Anschlägen vom 9. September 2001 ein guter Grund.

Die Ausgabe 76 des Antifaschistischen Info Blatt (AIB) beschäftigt sich mit Verschwörungsdenken in der Rechten. Zwei Beiträge beleuchten das Verschwörungsdenken bei alten und neuen Nazis. Auf die esoterischen Elemente geht Eduard Gugenberger in seinem Artikel ein und Michael Hagemeister zeichnet die Geschichte der offensichtlich fiktiven Protokolle der Weisen von Zion und ihre Bedeutung für die Rechte nach.
Schaut man in die aktuelle Ausgabe des AIB, wird klar, welche Funktionen Verschwörungsdenken übernimmt. Da ist zum einen die motivationelle Funktion: rassistische und antisemitische Anschläge werden durch angebliche Verschwörungen begründet und dadurch für Gruppen und Einzelne handlungsleitend, wie zum Beispiel beim Anschlag von Oklahoma City 1995.

Zudem besitzt es eine politisch-instrumentelle Funktion: Der Staat oder politische Gruppen bauen eine permanente Bedrohung auf, die zur Durchsetzung der eigenen politischen Interessen dient, wie zum Beispiel im Bereich der Migration und »Inneren Sicherheit«.
Als typische Kennzeichen von Verschwörungstheorien werden genannt:

  1. die Vorstellung von einer scheinbaren Welt, die erst entschlüsselt werden muss – nichts ist so, wie es scheint,
  2. ein sehr lockerer Umgang mit Belegen für die eigenen Behauptungen – manchmal ist gerade das Fehlen eines Belegs der Beweis für eine Verschwörung,
  3. die Menge an Details die zusammengetragen, aber nicht auf ihre Widersprüchlichkeit geprüft werden,
  4. die strikte Gegenüberstellung von gut und böse, sowie
  5. die weltweite und zeitlich häufig ungebundene Macht die den Verschwörern zugeschrieben wird.

Ihre Beliebtheit rühre aus ihrer Unwiderlegbarkeit und ihrem erklärenden Charakter. Dort wo rationale Antworten versagten, weil sie nicht nachvollziehbar sind, füllten Verschwörungstheorien die Lücke. Somit erfüllen sie auch die Funktion, das Unerklärbare zu erklären – oder das Unverstandene verstehen zu wollen.

Auffällig ist das vielfache und auch in Heft 76 des AIB immer wieder aufscheinende Verständnis des Verschwörungsdenkens als »einfach«. Doch »einfach« sind Verschwörungskonstrukte in aller Regel nicht.
Einfach ist am Verschwörungsglauben die Identifizierung der VerschwörerInnen: Freimaurer, Philosophen, Kommunisten, Juden, Amerikaner. Sie dient der Dämonisierung. Hat man eine Verschwörung entdeckt, ist der Weg nur kurz zu den üblichen Verdächtigen. Doch könnte man hier besser von einem Kurzschluss reden, da vom Ergebnis direkt auf seine angeblichen VerursacherInnen und NutznießerInnen geschlossen wird.

Doch der große Aufwand, der betrieben wird, widerspricht der These der Einfachheit von Verschwörungstheorien. Da sind die vielfach schwer zu entdeckenden Indizien, die aufgehäuft werden – zu einem Gutteil müssen diese selbst erfunden werden. Auch die ungeheure Fertigkeit, aus scheinbar banalen Hinweisen auf eine Verschwörung zu schließen, scheinbare Fälschungen und Manipulationen aufzudecken, belegen eher die Kompliziertheit von Verschwörungskonstrukten. Da nichts so ist, wie es scheint, muss ein spezifisches Decodierungsverfahren angewendet werden, um das Geheimnis unter der Oberfläche des Normalen zu lüften. Verschwörungstheoretiker glauben, den Schlüssel hierfür in den Händen zu halten, da sie die Verschwörung ja bereits erkannt haben. Diese Art der Erkenntnisarbeit bräuchte für einfache Zusammenhänge nicht betrieben zu werden.

Die Behauptung der Simplizität von Verschwörungserzählungen betrifft auch ihre Funktion der Welterklärung. Ihnen fehle die Wissenschaftlichkeit und sie seien unterkomplex, da selbst erwiesene Fälschungen Referenzpunkte für Verschwörungskonstrukte bleiben. Doch der wissenschaftliche Nachweis der Fehlerhaftigkeit eines Verschwörungskonstrukts lässt dieses immer noch nicht verschwinden. Da Verschwörungstheorien sich als Aufklärung über Aufklärung verstehen und WissenschaftlerInnen und ExpertInnen als Unwissende oder gar Mitverschwörer entlarven wollen, sind sie nicht auf wissenschaftliche Rationalität und Autoritäten angewiesen. Verschwörungsglaube reduziere komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge auf einfache Annahmen, da die Gläubigen einfache Rezepte benötigten, um sich im Leben und der Welt zurecht zu finden. Verschwörungstheorien erwecken unser Interesse zum einen wegen ihrer Absurdität und Verwickeltheit und zum andern, weil sie die Welt verständlich und einfacher zu machen scheinen. Doch nur weil sie im Alltag brauchbar sind, müssen sie nicht unbedingt simpel sein. Auch greift die These von der Einfachheit des Verschwörungsglaubens zu kurz, wenn damit zugleich auf die Einfachheit der Gläubigen geschlossen wird. Obgleich Rassismus unbestreitbar unheimlich bescheuert ist, sind nicht alle RassistInnen dumm und von einfachem Gemüt.

Gerade das Verständnis sozialer Prozesse in Verschwörungserzählungen als zielgerichtete und hyperrationale, als rechenhafte und egoistische, als voluntaristische und keine Zufälle zulassende Veranstaltung ist bemerkenswert. Solch ein Verständnis des sozialen Lebens ist einleuchtend, wenn das Leben in unserer Gesellschaft ein solches Denken nahe legt. Insofern ist Verschwörungsdenken Ausdruck einer sozialen Praxis, die es zu verstehen und zu ändern gilt. Neben der wissenschaftlichen Prüfung von Verschwörungskonstrukten, scheint die Aufklärung über die gesellschaftliche Position, Interessen und Vorurteile der VerschwörungstheoretikerInnen am erfolgreichsten, um Verschwörungsideologien zu begegnen. So wie die Auseinandersetzung mit wirklichen Verschwörungen, ist der Kampf gegen Verschwörungtheorien ein politischer Kampf.

Verschwörungstheorien. Imaginationen
zur Welterklärung Antifaschistisches Info
Blatt, Nummer 76, Berlin 2007, EUR 3,10
Internet: http://www.antifainfoblatt.de

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