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Einleitung

Das Thema „Nationale Befreiungsbewegungen“ steht momentan so gar nicht auf der Tagesordnung linker Debatten. Es scheint ein Thema aus längst vergangenen Zeiten zu sein, als sich die europäischen Solidaritätsbewegungen ein Überschwappen des revolutionären Potenzials aus dem unterdrückten Süden erhofften.
Warum also einen solchen Schwerpunkt machen? Am Anfang stand die Frage, was aus „der antiimperialistischen Bewegung“ geworden ist. Diese setzte auf einen Durchbruch der antikolonialen Kämpfe in der so genannten „Dritten Welt“. Eine Hoffnung, die sich auch mit dem Ende der Kolonialreiche zu erfüllen schien. In den 50er Jahren Algerien und Indochina, die das Ende des französischen Kolonialismus ankündigten, das sogenannte „afrikanische Jahr“ 1961, in dem die meisten afrikanischen Länder unabhängig wurden, später Kämpfe in Lateinamerika im Anschluss an die Revolution in Kuba, die die Vorherrschaft der USA auf dem amerikanischen Doppelkontinent in Frage stellten. Anfang der 70er wurde das Ende der portugiesischen Herrschaft in seinen afrikanischen Kolonien eingeläutet. Gerade hier wurde der Zusammenhang von antikolonialen Befreiungsbewegungen und sozialem Wandel in den Zentren am ehesten spürbar, hatte doch die Nelkenrevolution 1974 das autoritäre Regime in Portugal beseitigt. Die antikolonialen Befreiungskämpfe zogen ihre Berechtigung aus der angestrebten Auflösung ungleicher Verteilungen gesamtgesellschaftlich erzeugter Reichtümer und der Beseitigung kolonialer Unterdrückung, so warf sowohl die notwendige Bewaffnung des Kampfes als auch sein nationaler Rahmen massive Probleme bezüglich einer erstrebten freiheitlichen Vergesellschaftung auf.

Der bewaffnete Kampf, nicht nur in den Grenzen einer Nation, sondern mit dem Ziel ihrer „Befreiung“ aus den Händen alter Oligarchien, hat in der Linken schon immer zu Kontroversen geführt. Die mit der Aufnahme des bewaffneten Kampfs einhergehende Militarisierung nimmt alles andere als eine emanzipative Vergesellschaftung vorweg, und die Befreiung der Nation selber zeichnet sich häufig durch Exklusivität aus.

Mit dem Ende kolonialer Herrschaft und der Etablierung der ehemaligen Befreiungsbewegungen als Regierungsparteien veränderte sich auch der Fokus der Solidarität in den Zentren. Die Beachtung der Menschenrechte in den lateinamerikanischen Diktaturen trat in den Vordergrund, der Kampf gegen die Apartheid, die Unterstützung der mittelamerikanischen Bewegungen gegen die aus den USA unterstützten Konterrevolutionäre und die Bekämpfung der Auswirkungen neoliberaler Umstrukturierungen. Nach 1990 konzentrierte man sich auf die Zivilisierung der Staaten und nation building der failed states, also die weltweite Durchsetzung europäisch geprägter zivil- und nationalgesellschaftlicher Vorstellungen.

Historisch zeigte sich dies in den meisten Ländern, in denen die Staatsmacht in solchen Kämpfen erfolgreich übernommen wurde. Die häufig von einer politischen Avantgarde initiierten revolutionären Veränderungen innerhalb eines bürgerlich politischen Rahmens, den ein Nationalstaat mit sich bringt, führten nicht selten zu einer gesellschaftlichen Verkrustung, unter der die emanzipativen Kräfte letztlich erstickten. So setzten sich nach der Revolution häufig bürgerliche (wie in Algerien), nationale (wie in Simbabwe) und gewaltsame Gruppen (wie in Kambodscha) durch. Auf dieser Kruste tauchten zudem strukturell bedingt wieder viele gesellschaftliche Missstände auf, gegen die eigentlich gekämpft wurde. Sehr überspitzt gesagt und verallgemeinernd waren nun die Ungleichheiten von gestern, durch neue Ungleichheiten ersetzt worden.

Das Ende der alten kolonialen Regime, die Enttäuschung der Hoffnungen auf das emanzipative Potential der neuen Regierungen und die Kontinuität der ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen (zumindest bis 1990) mögen Gründe sein, warum die solidarische Unterstützung solcher Bewegungen in der Linken kaum noch Resonanz findet. Selbstverständlich gibt es noch die alten Strukturen wie die Informationsstelle für das südliche Afrika, das Asien-Haus, das Forschungs- und Dokumentationszentrum Lateinamerika und Chile sowie das Informationszentrum 3. Welt. Doch eine Szene, die die politische Emanzipation hier wie dort miteinander verknüpft ist eher verhalten in ihren öffentlichen Äußerungen und Aktivitäten und stößt auf wenig Resonanz in der Öffentlichkeit.

Doch zwei Bewegungen in Lateinamerika erlangen immer noch linke Aufmerksamkeit, die bolivarianische Revolution in Venezuela und der Aufstand im lakadonischen Urwald durch die Zapatisten. Auf der einen Seite der Versuch einer manifesten Reformulierung eines Staatssozialismus, andererseits die Veränderung der Gesellschaft ohne die Übernahme der staatlichen Macht. Beides sind nationale Reformprojekte, die in der Linken mit viel Sympathie bedacht werden - trotz des altbackenen anmutenden venezolanischen Antiimperialismus einerseits und der Berufung auf den mexikanischen Boden, den es zu befreien gälte, andererseits. Denn sie sind erfolgreich, die einen mit staatlichen Kampagnen gegen Armut, für Bildung und medizinische Versorgung, die anderen mit ihren beeindruckend vorgetragenen Kampagnen für die Rechte der Ureinwohner und die Demokratisierung der mexikanischen Gesellschaft.

Aber es passiert noch einiges mehr an der Befreiungsfront: neben Venezuela und Mexiko sind Bolivien, Peru und auch immer wieder Kolumbien Orte an denen die Machtfrage mit Waffengewalt von links in Frage gestellt wird. Daneben werden die Kämpfe in Südostasien oder Afrika südlich der Sahara kaum mehr beachtet.

Der Putsch in Thailand im September 2006 wirft noch einmal ein kleines Schlaglicht auf diese Region. In Thailand kann man nicht von klassischen Befreiungsbewegungen sprechen, wie man sie eben aus Nepal oder von den Philippinen kennt. Das Forum der Armen hingegen, das sich in den 90ern gegründet hat, hat dort einige Furore gemacht, weil sie in großen Protestzügen nach Bangkok gezogen und das Regierungsgebäude belagert haben. Dabei haben sie sich so sympathisch hierarchiefrei verhalten, wie die Zapatistas: graswurzelartig, selbstorganisiert, etc. Obwohl man über La Via Campesina mit den Bewegungen in Südamerika Kontakt bei den Weltsozialforen aufnahm, kam eine echte Süd-Süd-Vernetzung, geschweige denn eine Art Internationale nie zu Stande.

Zudem haben sich in Thailand unter dem Dach der sogenannten People's Alliance for Democracy (PAD) eine Reihe sehr interessanter Gruppen versammelt: Gruppen, die unserer Stiftung Warentest entsprechen oder Gruppen von HIV-Patienten zählen in Thailand zu einen politischen Spektrum, die durch die Anti-WTO-Proteste in Hongkong im Dezember 2005 mit koreanischen Protestformen vertraut wurden und daraufhin Anfang Januar die Verhandlungen des bilateralen Freihandelsabkommens zwischen Thailand und den USA gestürmt haben. Diese Proteste waren der tatsächliche Ausgangspunkt der Verbreiterung und Politisierung der Bewegung gegen Thaksin, den letzten gewählten thailändischen Premierminister. Der Putsch in Thailand durch die Armee ist vielleicht nur in zweiter Linie ein Putsch gegen Thaksin und in erster Linie eine Aktion gegen diese erstarkende Bewegung.

Die Adevasi in Indien sind ein Beispiel dafür, was ohne Waffen von Seiten unterdrückter Gruppen zu bewegen ist. In ihrem Kampf gegen die Zerstörung ihrer Region und ihrer Existenz durch Erzabbau und Bau von Staudämmen müssen sie sich gegen brutale Polizeigewalt durchsetzen.


Aller Widrigkeiten bei der Produktion dieses Schwerpunkts zum Trotz, war bei dieser Ausgabe der ein oder andere 'fortbildende' Aspekt für die Redaktion gewährleistet, was hoffentlich auch für unsere LeserInnen so ist.

ZAG

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