Gescheiterte Integration mit jeder Menge Schubladendenken
Phillip Bittner

»Liga probt den Aufstand gegen Dicle« titelte die Lokalzeitung in Celle im vergangenen Herbst. Der SV Dicle ist der einzige ausländische Verein in der Bezirksklasse des Bezirks Lüneburg in Niedersachsen. Okay, zugegeben, der SV Dicle ist kein türkischer Verein, sondern wurde von den jezidischen Kurden in Celle gegründet. Doch erstens wissen das die wenigsten der Gegner und zweitens ist es ihnen wahrscheinlich vollkommen egal. Auf dem Platz sind sie oftmals nur die »Scheiß Ausländer« oder die »Kanaken«. Und nun wollen einige Mannschaften nicht mehr gegen sie spielen. Den Anfang machte ein Klub aus Neu Wulmstorf. Aus Angst vor Unruhen hieß es. Doch es gilt genauer hinzusehen, was steckt wirklich hinter dieser Spielabsage?

Wie bei jedem Problem gilt es auch hier die Situation umfassend zu beurteilen. Worin gründen sich die Ursachen? Wie hat sich die Situation entwickelt? An dieser Stelle gilt es sich vom konkreten Einzelfall zu lösen, denn die Entwicklungen in Celle sind exemplarisch für viele türkische und andere ausländische Vereine in Deutschland.

Schon die Vereinsgründungen vieler türkischer Vereine entpuppen sich als Konsequenzen gescheiterter Integration. Das Spielen in einer rein türkischen Mannschaft mache mehr Spaß, die Gemeinschaft und der Zusammenhalt in der Mannschaft sei besser als bei anderen Vereinen, geben Spieler eines türkischen Vereins im Raum Stuttgart an. Doch warum ist das so? Ursprünglich gab es in Deutschland in den Vereinen und Mannschaften nur wenige türkische Spieler. Die Einsatzzeiten waren oftmals nur dürftig, auch wenn die Leistung stimmte. Nach und nach stieg die Zahl der türkischen Einwanderer an und auch die türkischen Spieler in den Vereinen wurden zahlreicher. Als Konsequenz der Benachteiligungen schlossen sich die türkischen Spieler zu eigenen Mannschaften innerhalb der Vereine zusammen. Seit diesem Schritt bangte die Konkurrenz um die Ressourcen, die zum Spielen nötig sind; Trainingsplätze, Trainingszeiten, Geldmittel, Vereinsbusse und vieles mehr. So konnte es durchaus sein, dass sich ausländische Mannschaften erst ab 21 Uhr auf die Anlagen begeben konnten, da vorher angeblich keine Plätze frei waren.

Die logische Folge dieser Zurücksetzungen waren die Gründungen eigener Vereine. Zwar verbesserte sich die Ausgangslage um die monetären und materiellen Ressourcen nicht wirklich, aber es herrschte zumindest Unabhängigkeit. Gültig ist in diesem Zusammenhang eine bis heute nicht revidierte Grundsatzentscheidung zur Eingliederung eigenethnischer Vereine, die durch den Deutschen Sportbund (DSB) im Jahre 1981 herausgegeben wurde. Die so genannten »Ausländervereine« seien nur dort zu billigen, wo eine Überfremdung drohe. Kurz gesagt: Assimilation ist das Zauberwort. Werden es zu viele, raus damit! Und wenn sie dann gehen, wird aufgeschrieen: Die wollen sich doch gar nicht integrieren! Dass man den ursprünglichen Vereinskameraden keine Integrationschance gelassen hat, wird dabei schön verschwiegen.

Die eigenethnischen Vereine werden von ihren Mitgliedern als Mittel zur Stärkung der eigenen Identität empfunden. Anerkennung wird innerhalb der Gruppe zuteil. Eigene Traditionen werden gepflegt und neu begründet. Mit echtem Integrationswillen auf deutscher Seite von Anfang an wäre dies überhaupt nicht notwendig gewesen. Die deutschen Vereine hätten zur türkischen Identität in Deutschland beitragen können. Sie wären ein Platz geworden, in denen man gemeinsam Anerkennung hätte erlangen können und wären somit zu einem Teil gemeinsamer Traditionen geworden. Die Realität ist jedoch bekanntermaßen eine andere.

Realitäten sind jedoch auch die Probleme, die als Folge der eigenethnischen Vereine vor allem in den unteren Ligen im deutschen Amateurfußball auftreten. Nicht selten enden sie in Handgreiflichkeiten zwischen den Mannschaften, gegen den Schiedsrichter und unter den Zuschauern. Doch warum treten diese Probleme ausgerechnet beim Fußball auf? Fußball ist ein Sport der Emotionen hervorruft. Er ruft sie nicht nur hervor, ohne Emotionen könnte der Fußball nicht funktionieren. Freude, Ehrgeiz, Siegeswillen – für ein gutes Spiel unerlässlich. Nichts ist langweiliger für Zuschauer und Spieler als ein emotionsloses Gekicke. Meist sorgen dann die Fans mit Kommentaren und Gesängen für die nötigen Emotionen außerhalb des Platzes.

Ein weiteres »Problem« des Fußballs ist eine ganz einfache Maxime: Gewinnen ist alles! Zwar hat man sich in den Regeln auch die Möglichkeit eines Unentschieden offen gehalten, doch Pokale und Meisterschaften werden mit Unentschieden nicht geholt. So entstehen während des Spiels Wettkampfkonflikte auf dem Fußballfeld, die durch sportliche Mittel ausgetragen werden. Gerade in den unteren Ligen in Fußballdeutschland geschieht dies oftmals mit limitierten fußballerischen Mitteln. Da springt schon mal ein Ball vom Fuß und der gegnerische Stürmer wird aus den Augen verloren. Auch rauscht der kantige Verteidiger dem Gegner schon mal ungestüm in die Beine. Das ist manchmal Absicht, aber oftmals auch nur einfach Unvermögen. Das Resultat ist immer das Gleiche – die Emotionen kochen hoch. Mal richtet sich das gegen den Mitspieler, mal gegen den Gegner und prinzipiell natürlich immer gegen den Schiedsrichter. Die Emotionen verbleiben dabei nie nur auf dem Platz, denn Fußball fördert Gruppenidentifikationen. Am Ende stehen sich Spieler und Fans beider Mannschaften gegenüber und der Schiedsrichter mittendrin. Dass die Schiedsrichter nicht fehlerfrei sind und mit ihrem Können eher in der gleichen Leistungsklasse angesiedelt sind wie die Mannschaften, wird dabei gerne übersehen.

Die logische Konsequenz der Charakteristika des Fußballs sind also Konflikte rund um den Sportplatz. Doch warum geraten diese Konflikte bei Beteiligung türkischer oder anderer ausländischer Vereine oftmals außer Kontrolle, dass rote Karten schon zu den harmlosen Strafen gezählt werden müssen? Einen Schuldigen dabei zu finden erweist sich als aussichtsloses Unterfangen. Beide Parteien machen immer wieder die gleichen Fehler. Im Folgenden sollen einige Verhaltensmuster und Zusammenhänge aufgezeigt werden.

Wenn durch die eigene Limitation der Gegner nicht geschlagen werden kann, greift man gerne zu Psychotricks. Nicht selten läuft das ganze dann aber auf Provokationen hinaus. Wird der Gegner dann nicht zum eigenen Kulturkreis gezählt, ist die rassistische Beleidigung nicht weit. Als Rassisten fühlen sich die Spieler nicht, das dürfe man doch nicht so eng sehen. Die Reaktion der anderen Seite bleibt dann meist nicht aus, da das emotionale Gleichgewicht auf dem Platz generell nicht das Beste ist. Leider bleibt es dabei nicht bei einem harmlosen Foul, sondern weitet sich unerfreulicher Weise in Revanchefouls und Tätlichkeiten aus, die vom Schiedsrichter geahndet werden müssen. Dieser hat meistens die in trauter Zweisamkeit ausgetauschten rassistischen Entgleisungen nicht mitbekommen und der Beleidigte sieht sich zu Unrecht bestraft. Nun könnte man natürlich sagen, man muss sich auf dem Platz im Griff haben, denn schließlich beleidigen sich auch die Deutschen untereinander. Wer so etwas behauptet hat bisher keine rassistische Beleidigung in fremden Ländern am eigenen Leibe erlebt. Dabei ruhig zu bleiben fällt schwer. Es erfordert vielmehr eine stark ausgeprägte Selbstbeherrschung, die nicht jeder sein Eigen nennt. Und außerdem: Wieso muss sich der Angegriffene ändern und nicht der Angreifer?

Rassismus auf dem Spielfeld
Neben diesem stark verbreiteten Schema, spielen jedoch auch offener Rassismus und viele Vorurteile eine Rolle. Letztere bauen meist auf subjektiven Denkmustern ohne faktische Grundlagen auf und reichen von sportlicher Natur bis hin zur allgemeinen Verhaltensklassifizierung. So gelten türkische Spieler bei ihren Gegnern als Schwalbenkönige und Provokateure oder nicht selten generell als Schläger. Dies führt schon vor dem Anpfiff zu einer gespannten Situation.

Aber auch auf der türkischen Seite gibt es jede Menge Schubladendenken. Nicht jeder Wettkampfkonflikt wird mit einem rassistischen Hintergrund ausgefochten. Doch dieser wird oftmals pauschal allen Beteiligten unterstellt. Gleiches gilt für angebliche Fehlentscheidungen des Unparteiischen. Gleichwohl soll auch hier betont werden, dass offen rassistische Schiedsrichter durchaus anzutreffen sind. Auffällig ist zudem der große Ehrgeiz, mit dem auf türkischer Seite das Spiel angegangen wird. Dies hat einen einfachen Hintergrund. Der Fußball bietet die Möglichkeit zur Profilierung gegenüber den im gesellschaftlichen Leben nicht selten bevorzugten deutschen Mitbürgern. Dabei wird dann jedoch leider über das Ziel hinaus geschossen und sich auf das gleiche nicht sonderlich hohe Niveau des Gegners herabgelassen. Dies gilt nicht nur für die Spieler sondern auch für die Zuschauer.

Unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge gilt es nun, das Verhalten in Neu Wulmstorf neu zu betrachten. Unruhen entstehen nicht ohne Grund. Kein ausländischer Verein zieht brandschatzend durch die Ligen. Kann es sein, dass man in den »Neu Wulmst(d)örfern« der Republik die störenden »Ausländervereine« einfach los werden wollte? Der Schuss ist zumindest in der Bezirksklasse Lüneburg nach hinten losgegangen. Das Spiel wurde für den SV Dicle gewertet. Die einzige Möglichkeit um einen regelgerechten und fairen Spielbetrieb zu sichern.

Dennoch ist sich die Frage zu stellen, was zu tun ist, damit die Konflikte wieder auf normale Wettkampfkonflikte reduziert werden? In Celle versuchte man es auf Seiten des SV Dicle mit einem eigenen Sozialpädagogen, der die eingefahrenen Verhaltensmuster der Spieler zu ändern versuchte. Insgesamt erscheint dieser Ansatz als zu kurzsichtig, wenn er nicht auch auf deutscher Seite ansetzt. Fußball ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Deshalb gilt es generell, das Bewusstsein der Menschen zu ändern. Die Spieler, die in den Amateurligen jedes Wochenende die Kugel über den Rasen jagen, sind ganz normale Menschen, die nicht nur in der Parallelwelt Fußball beheimatet sind. Rassismus ist kein Kind des Fußballs, er dringt nur hier gerne und unverhohlen ans Tageslicht.

zurück zur Inhaltsangabe

Archiv