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Querfront von Rechts nach Links

Schon seit Jahren fallen in der Neonazi-Szene vermehrt Anleihen bei linker Symbolik, Rhetorik sowie linken Aktions- und Organistionsformen auf. Rechte mit „Pali-Tuch“ („Khuffiye“), Che-Guevara-Bild, Antifa-Look, „schwarze Blöcke“ bei Aufmärschen, sozialistische und antiimperialistische Phrasen sind zwar noch nicht vorherrschend geworden, jedoch aus der rechten Szene nicht mehr wegzudenken. Mittlerweile ist es durchaus üblich, daß Neonazi-Homepages auf linke Seiten verweisen - besonders gern auf die Tageszeitung „Junge Welt“ und das Projekt Indymedia. Im linken Jargon werden solche und andere Versuche, die Grenzen zwischen den politischen Lagern zu verwischen, übergreifende Bündnisse herzustellen und Anhänger/-innen der Gegenseite zu sich hinüberzuziehen, sehr unscharf unter dem Begriff „Querfront“ zusammengefasst. Was daran bei oberflächlicher Betrachtung neu wirken könnte, hat tatsächlich eine lange Tradition.

Querfront-Geschichte
I„Querfront“ – so hieß ursprünglich das von General Kurt von Schleicher, 1932/33 deutscher Reichskanzler, angestrebte Bündnis aus rechten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern mit „linken“ Nazis, d.h. dem NSDAP-Flügel um die Brüder Gregor und Otto Strasser, mit dem Schleicher seiner Regierung eine Massenbasis verschaffen wollte. Seine Pläne scheiterten am Widerstand der Parteiführungen von SPD und NSDAP; er selbst wurde 1934 von der SS ermordet. Schleicher gehörte zu einer einflussreichen Gruppe von Reichswehrgenerälen, die an der Niederschlagung der Revolution von 1918/19 beteiligt war und enge Kontakte zur rechten SPD-Führung hatte. Rechte Sozialdemokraten und Offiziere waren durch eine Konzeption verbunden, die als „nationaler Staatssozialismus“ bezeichnet werden kann. Das Ziel: Ein autoritärer, totaler Staat, der sämtliche Bereiche der Gesellschaft durchdringen und durchorganisieren sollte, um sämtliche Kräfte der Nation für den Sieg im politisch-ökonomischen Konkurrenzkampf der imperialistischen Nationalstaaten aufs Äußerste anzuspannen. „Sozialistisch“ war daran, daß Arbeiterklasse und Kleinbürgertum durch sozialstaatliche Maßnahmen und die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs im Dienste der Nation gewonnen werden sollten. Dazu motivierte die Einsicht, daß imperialistische, industrielle Massenkriege nur geführt werden konnten, wenn die Bevölkerung zu Opfern bereit war, staatliche Sozial- und Gesundheitspolitik die militärische und ökonomische Verwertbarkeit des „Menschenmaterials“ gewährleistete und eine bürokratisch-autoritäre Wirtschaftsorganisation die Mobilisierung aller Reserven erlaubte. Als Vorbild der angestrebten „Volksgemeinschaft“ galt die klassen- und generationsübergreifende Euphorie bei Kriegsausbruch im Sommer 1914 und die informelle Diktatur der Reichswehrführung seit 1916.
Dieser nationalistischen und staatssozialistischen Konzeption ähnelten auch die anderen direkten Vorläufer der heutigen „Querfront“ aus Weimarer Zeit: Der vor allem im kleinbürgerlich-proletarischen SA-Milieu verankerte „linke“ NSDAP-Flügel um die Gebrüder Strasser betonte die staatssozialistische Komponente des NSDAP-Programms, vor allem das Vorhaben einer Verstaatlichung der Großkonzerne und Großbanken und die radikale Auflösung der überkommenen Klassengrenzen innerhalb der Volksgemeinschaft. Die nationalrevolutionäre bzw. nationalbolschewistische Ideologie des aus der rechten Sozialdemokratie kommenden Ernst Niekisch zeichnete sich durch einen völkischen Staatssozialismus aus, der aus der heftigen Ablehnung alles „Westlichen“ eine Hinwendung zum Stalinismus und zur strategischen Option eines deutsch-sowjetischen Bündnisses ableitete. Dabei stand der „Westen“ als Chiffre für alle möglichen als bedrohlich empfundenen Phänomene: Amerika, das „Judentum“, Geldmacht, Kulturindustrie, städtische Moderne, Frauenemanzipation, Aufklärung, Liberalismus, die internationalistische und kommunistische ArbeiterInnenbewegung, Demokratie, Wissenschaft und Technik usw.
Nicht zu vergessen: Faschismus und Nationalsozialismus waren immer schon „Querfront“, insofern sie den Anspruch erhoben, traditionelle politische und Klassengrenzen zu sprengen und sich einer antibürgerlichen, das heißt „antiwestlichen“ Rhetorik befleißigten. Auf der Ebene äußerer Formen gab es in allen faschistischen Bewegungen massenhaft Anleihen aus dem Fundus der ArbeiterInnenbewegung.

Die rechte Querfront
Elemente dessen, was landläufig als „Querfront“ bezeichnet wird, lassen sich in der rechten Szene nahezu überall finden. Brauchbar ist der Begriff nur in Eingenzung auf Strömungen, die sich sowohl von bürgerlich-konservativen Konzepten als auch vom Hitlerschen NS bewußt distanzieren. Das trifft auf „Neue Rechte“, Nationalrevolutionäre und Nationalbolschewisten sowie Rechtsanarchisten zu. Die „Neue Rechte“ wird hier nicht extra berücksichtigt, weil ihre Ideologeme weithin mit denen der Nationalrevolutionäre identisch sind. Rechtsanarchisten gibt es nur ganz wenige wie die in der rechten Szene belächelte Splittergruppe um den Berliner Peter Töpfer, die seit den 90-er Jahren unter Bezeichnungen wie „nationale Anarchie“, „nationale Linke“ oder sogar „nationale Antifa“ auftritt. Wesentlich bedeutender sind da „nationalrevolutionäre“ Strömungen: Der neonazistische „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) beruft sich vornehmlich auf die SA und den Strasser-Flügel der NSDAP. Er fiel durch seine frenetischen Beifallsbekundungen für das Saddam- und das nordkoreanische Regime auf. Zwei weitere prominente Projekte sind die Zeitschrift „Fahnenträger“, deren UnterstützerInnen sich auch als „Dritte Front“ bezeichnen, und das Internetportal der „Kommenden“, auf dem schon einmal die Parole „Klassenkampf statt Volksgemeinschaft“ ausgegeben wurde. Damit war jedoch keine Abkehr vom völkischen Nationalismus gemeint, sondern lediglich Polemik gegen den Mainstream der Neonazi-Szene, vor allem große Teile der NPD, die den Nationalrevolutionären zuwenig antibürgerlich sind. Nationalrevolutionäre sind dennoch sowohl in die NPD als auch in die Kameradschaftsszene gut integriert. „Normale“ Neonazis und Nationalrevolutionäre unterscheiden sich nur in Nuancen.
In der Neonaziszene gibt es Tendenzen, die häufig als „Querfront“ bezeichnet werden, aber keine abgrenzbaren Strukturen darstellen. So ein mittlerweile mehrheitsfähiger völkischer Antiimperialimus, dessen ideologische Grundannahmen sich so zusammenfassen lassen: Die biologistisch und kulturalistisch gedachten „Völker“ des Planeten werden angeblich von einer kleinen Gruppe jüdischer superreicher Dunkelmänner unterdrückt, welche als Personifikationen des Geldes und des Kapitals die Weltwirtschaft, die USA und die meisten anderen Regierungen mittels Geheimpolitik kontrollieren. Zur Durchsetzung ihrer Herrchaft trachten diese Kreise, so wird behauptet, nach der Zerstörung der jeweiligen ethnisch-nationalen Identität und Kultur. Insbesondere die Deutschen werden als Opfer dieser Verschwörung halluziniert. Folglich solidarisieren sich deutsche Neonazis mit allerhand Bewegungen rund um den Globus, die gegen die USA (und Israel) kämpfen. Je autoritärer, reaktionärer, nationalistischer, antisemitischer und antiamerikanischer eine Bewegung ist, desto mehr findet sie rechte Sympathie. Ganz hoch im Kurs: die palästinensische Nationalbewegung, der Baathismus und überhaupt der arabische Nationalismus sowie die unterschiedlichen islamistischen Gruppen – weil sich diese explizit gegen jüdische Menschen und US-AmerikanerInnen richten. Bei der propagandistischen Artikulation dieser nationalistischen „internationalen Solidarität“ greifen Neonazis in riesigem Umfang auf die Sprüche und Symbole antiimperialistischer Linker zurück. Allerdings finden deutsche Neonazis es zwar geil, wenn die Islamisten den gemeinsamen Feind „bei sich zu Hause“ bekämpfen, doch die Millionen Menschen mit muslimischem Hintergrund in Deutschland sollen trotz allem rechten „Antiimperialismus“ verschwinden.
Traditionell „linke“ Requisiten werden nicht nur im Zusammenhang mit der neonazistischen Variante des „Antiimperialismus“ von Rechts angeeignet. Alles kann geklaut werden: Aktionsformen wie Hausbesetzungen und „schwarze Blöcke“, Organisationsformen wie autonome Kleingruppen (schon seit Anfang der 90-er in der Neonaziszene verbreitet), Accessoires, Symbole und Stilelemente aller Art, Parolen und Elemente der Jugendkulturen wie Schriftzüge im Graffiti-Style, Anglizismen und Musikstücke. Mitunter tragen diese Anleihen den Charakter von Kommunikationsguerilla. Oft lassen solche Äußerlichkeiten keinen direkten Rückschluss auf eigentliche Querfront-Inhalte zu .

Die Linke und die Querfront
Das erklärte Ziel der Querfront, die Grenzen der politischen Lager zu sprengen, konnte bisher auch nicht ansatzweise erreicht werden. Der Kampf gegen Nazismus und Faschismus gehört zu den wichtigsten Bestandteilen linken Selbstverständnisses; ausweislich rechte Personen sind weithin geächtet. Die wenigsten Linken sind bereit, durch das der Querfront immer vorgelagerte ideologische Nadelöhr des völkischen Nationalismus zu gehen und die Deutschen als unterdrücktes Volk zu halluzinieren, das gegen Juden und die USA um seine Freiheit kämpfen müsse. Nur einigen Akteuren des antiimperialistischen Spektrums ist eine punktuelle Zusammenarbeit mit Rechten und „Nationalrevolutionären“ nachzuweisen.
Trotz des ausbleibenden Erfolgs rechter Querfrontbestrebungen kann solange keine Entwarnung gegeben werden, wie massenhaft zu beobachten ist, daß sich linke und rechte Parolen und Argumentationen wie ein Ei dem anderen ähneln. Statt den Hinweis auf Parallelen zwischen Neonazis, Islamisten und manchen Linken reflexhaft abzuwehren, täten Linke besser daran, Querfront-Phänomene als Anzeiger und Gradmesser eigener unreflektierter Praxen zu analysieren. Die Querfront dringt immer dort ein, wo antiemanzipatorische Ideologeme in der Linken fortbestehen. Einfallstore nach Rechts tun sich auf, wenn komplexe Analysen der Totalität gesellschaftlicher Verhältnisse und auch der eigenen Mitwirkung an diesen durch vereinfachte Aufteilungen der Welt in Gut und Böse, Freunde und Feinde ersetzt werden. Eine bestimmte Art verkürzter linker Kapitalismuskritik, die vorwiegend Erscheinungen der Kapitalkonzentration und –zirkulation anvisiert und im Nationalstaat eine zivilisierende Gegenmacht sieht, ist in der Linken weit verbreitet und hat tatsächlich Berührungspunkte mit dem „Sozialismus“ der Querfront.
Am augenscheinlichsten ist die Nähe zwischen rechtem und linkem Antiimperialismus: Aufteilung der Welt in „gute“ Völker und in den USA (und Israel) verortete „böse“ Machtcliquen, verschwörungstheoretische Erklärungsmuster und die Ignoranz gegenüber antiemanzipatorischen Tendenzen innerhalb der „Befreiungsbewegungen“ gibt es hüben wie drüben. Der linke Antiimperialismus reproduziert Nationalismus, indem er die Konstruiertheit und Zwanghaftigkeit ethnischer, nationaler und religiöser Kollektive ausblendet. Daher scheint trotz der vorläufigen Erfolglosigkeit der Querfront die gefährlichste Auswirkung der teilweisen ideologischen Nähe zwischen einigen rechten und linken Fraktionen die Entsolidarisierung deutscher Linker von den Linken, Oppositionellen, Frauen, Homosexuellen, AtheistInnen, Feministinnen, Säkularen, DissidentInnen, IndividualistInnen und NonkonformistInnen zu sein, die zu Opfern „nationaler Befreiungsbewegungen“ oder autoritärer Kollektive werden.

Roland Peters

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