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Globalisierung von unten!

Ein Interview mit Maria Mies

Maria Mies, emeritierte Professorin der Soziologie, ist Expertin für weltweite Wirtschaftszusammenhänge. Sie ist seit 1997 in der Antiglobalisierungbewegung aktiv und arbeitet seit den sechziger Jahren zu feministischen, ökologischen und zu Dritte-Welt-Themen.

ZAG:
Frau Mies, das Wort Globalisierung ist ein Begriff, der mittlerweile eine inflationäre Anwendung in nahezu allen gesellschaftsrelevanten Bereichen findet. Kaum jemand aber hat eine genaue Vorstellung davon, was Globalisierung eigentlich bedeutet. Was steckt für Sie hinter diesem Begriff?

Maria Mies:
Ich zitiere da immer Percy N. Barnevik, den ehemaligen Präsidenten des multinationalen Konzerns ABB (Asea Brown Bovery Group), der (sinngemäß) gesagt hat: “Ich definiere Globalisierung als die Freiheit für meine Firmengruppe, zu investieren, wo und wann sie will, zu produzieren, zu kaufen und zu verkaufen, was sie will - und dabei nur die geringstmöglichen Einschränkungen zu akzeptieren, die aus Arbeitsgesetzen oder aus anderen gesellschaftlichen Übereinkünften stammen.” Das ist für mich die kürzeste, genaueste und korrekteste Definition dieser neoliberalen, konzerngesteuerten Globalisierung.

ZAG:
Was bedeutet das Ihrer Meinung nach für Arbeiter? Maria Mies: Das bedeutet für Arbeiter weltweit, dass Arbeitsrechte sukzessive dereguliert und liberalisiert werden. Dies geschieht beispielsweise durch Aufweichung von bestehenden Gesetzen, wie es beim Kündigungsschutz für schwangere Frauen im Juni 2000 durch die ILO geschehen ist. Oder aber, indem ein Billiglohnsektor geschaffen wird, um die Konkurrenz der Billiglohnländer zu kontern. Gewerkschaftlich garantierte Rechte kann man damit natürlich ebenfalls aushebeln.

Maria Mies:
Globalisierung wurde im letzten Jahrzehnt von der internationalen Politik als alternativloses Allheilmittel gegen die “Miseren” in der Welt gepriesen. Hat sich Ihrer Ansicht nach dieses Bild seit Seattle gewandelt? Maria Mies: Nach Seattle hat sich in dieser Hinsicht schon etwas geändert. Dort protestierten Leute, die zeigten, dass sie nicht mehr an dieses von Margaret Thatcher geprägte TINA -Syndrom glauben. Das wird umso deutlicher, je mehr Menschen an dieser weltweiten Protestbewegung teilnehmen. Insbesondere in Porto Alegre, wo jedes Jahr im Januar ein weltweites Sozialforum stattfindet. Dort wird darüber nachgedacht, wie eine andere Welt möglich ist, d.h. also, es wird nicht mehr einfach geglaubt, dass es keine Alternative gibt. Und das ist ein großes Hoffnungszeichen.

ZAG:
Sie entwerfen in Ihrem Buch “Globalisierung von unten” und auch in anderen Publikationen ein Gegenmodell zu dem Programm der neoliberalen Globalisierung. Wie sieht dieses aus?

Maria Mies:
Nun, von “oben” ist weder von der Wirtschaft, noch von der Politik eine Veränderung zu erwarten - auch nicht von der Wissenschaft, das ist mir in den Jahren meines Engagements in der Protestbewegung klargeworden. Deshalb nenne ich das Buch auch “Globalisierung von unten”, denn das ist der einzige Ansatz für eine wirkliche Veränderung. Das von mir favorisierte Gegenmodell beinhaltet u.a. die Vorstellung, dass die Ökonomie lokalisiert werden muss. Damit ist eine Rückführung unserer Wirtschaft auf viel kleinere Einheiten gemeint, die dann wieder unter der Kontrolle lokaler Gemeinschaften sein können. Das muss nicht zwingend ein Nationalstaat sein. Vor allen Dingen geht es darum, dass die Menschen wieder die Kontrolle über die Grundbedingungen ihres unmittelbaren Lebens zurückgewinnen.

ZAG:
In Ihrem Buch sprechen Sie direkt von einer sog. Subsistenzwirtschaft als Alternative zur neoliberalen Globalisierung. Wie würde diese aussehen?

Maria Mies:
Dieses Modell kommt der von Colin Hines favorisierten lokalen Ökonomie sehr nahe. Bei einem Besuch von Bauern in Bangladesch z.B., die in einer Subsistenzwirtschaft leben, wurde mir vorgeführt, dass eine solche lokale Ökonomie sehr viel erfolgreicher als die moderne Landwirtschaft ist. Sie produzieren das meiste, was sie brauchen selbst und tauschen es untereinander aus. Was sie nicht brauchen, das verkaufen sie und sind damit unabhängig von multinationalen Konzernen.

ZAG:
Sie konzentrieren sich dabei hauptsächlich auf Lösungen in Drittweltländern. Wie soll Ihrer Meinung nach Subsistenzwirtschaft in Industrieländern aussehen?

Maria Mies:
Zuerst einmal muss da gefragt werden, was und wieviel wir für ein “gutes Leben” brauchen. Dieses gute Leben muss für alle gelten und darf nicht mehr auf Ausbeutung der dritten Welt, der Natur oder der Frauen basieren. Es darf auch nicht mehr auf der Ausbeutung der Zukunft, also der nächsten Generation basieren. Ein erster Schritt wäre, dass Produzenten und Konsumenten zusammengebracht werden, wie es in Verbraucher-Erzeuger-Kooperativen schon geschehen ist. Das heißt einerseits: Kontrolle durch den kritischen Verbraucher, der sich fragt, wo sein Essen herkommt, und andererseits: gerechte Preise für die Erzeuger. Gerade diese Beziehung zwischen Produzenten und Konsumenten ist ja durch die Globalisierung weltweit auseinandergerissen.

ZAG:
Was für eine Rolle spielen für sie dabei Forschung und technische Entwicklung?

Maria Mies:
Wenn andere Prinzipien einer Wirtschaft akzeptiert sind, brauchen wir auch eine andere Technik und Wissenschaft. Es müsste sozusagen eine ganz neue Technologie erfunden werden. Nicht dass Computer überflüssig werden, oder Autos. Die Frage wäre, wieviel wir davon brauchen. Denn die sozialen Verhältnisse stecken in der Technologie und diese sind momentan Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse, die alle auf unendliches Wachstum zielen. Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie folgen dem Wachstumsmodell.

ZAG:
Die Anti - Globalisierungsbewegung scheint sich auf nationalstaatliche Strukturen und Staat als Regulationsinstrument rückzubesinnen. Hier gibt es durchaus Berührungspunkte mit der extremen Rechten.

Maria Mies:
Das wird der Bewegung oft vorgeworfen: Wenn du nicht für Globalisierung bist, dann bist du für den Nationalstaat. In diesem Argument steckt der Fehlschluss, dass die Globalisierung per se schon einen Internationalismus darstellt und den Nationalstaat überwinden könnte. Doch das passiert nicht. Im Gegenteil -der Nationalstaat wird ja gleichzeitig aufrecht erhalten, mit seiner Polizei, seinem Militär, seiner Repressionsgewalt und seiner Steuerhoheit. Das globalisierte Kapital braucht für seine Finanztransaktionen den Nationalstaat. Dieser wird nicht ad acta gelegt. Was den Staat als Regulationsinstrument betrifft, so bin ich nicht der Meinung wie beispielsweise Oskar Lafontaine, dass ein Zurück zum Keynesianismus möglich wäre. Man muss erst mal fragen, warum der Keynesianismus gescheitert ist.

ZAG:
Oder ob selbst der Sozialstaat je eine andere Funktion gehabt hat, als dem Kapitalismus entsprechende Strukturen zu bieten?

Maria Mies:

Und ob er nicht sogar dem Kapital Zutritt zu Bereichen ermöglichte, die es vorher nicht hatte. Schließlich haben Sozialdemokraten am Ausverkauf der Städte, an der Privatisierung dessen, was eigentlich der Sozialstaat zu tragen hätte, mitgewirkt.

ZAG:
Haben sie denn selbst in ihrem Modell einen Staatsbegriff?

Maria Mies:
Ich fange nicht mit dem Staat an. Ich fange auch nicht mit der Politik an. Zuerst brauchen wir eine andere Ökonomie. Diese Ökonomie muss unter der Kontrolle der Menschen sein, die konkret an ihr teilhaben. Eine globale Kontrolle über eine globale Ökonomie kann es nicht geben, zumal, wenn sie demokratisch sein soll. Die Ökonomien, die ich mir vorstelle, könnten die Größe eines Nationalstaates haben, könnten aber auch kleiner sein oder auch ein Block sein, wie die EU. Wichtig ist aber, dass diese eine andere Form von Demokratie entwickeln, in der eine größere Partizipation der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist. Die parlamentarische Demokratie, wie wir sie jetzt haben, reicht nicht aus. Wir müssen einmal verstanden haben, dass wir große multinationale Konzerne nicht brauchen, weil wir uns im Sinne eines “guten Lebens”, der sozialen Gerechtigkeit für alle und der Erhaltung der Natur selbst versorgen können.

ZAG:
Wie würden sich denn ihrer Meinung nach die in der gegenwärtigen Gesellschaft immer weiter etablierenden Rechtstendenzen in einer “lokalisierten” Gesellschaft auflösen? Geschieht nicht auch bei diesem Modell eine Trennung zwischen drinnen und draußen, zwischen zugehörig und fremd?

Maria Mies:
Eigentlich nicht. Die Unterscheidung zwischen Fremden und uns macht keinen Sinn. Ich habe dazu in meinem Buch dieses Beispiel von den “Internationalen Gärten in Göttingen” geschildert. Dort fangen verschiedene Menschen aus verschiedenen Ländern an, ihre eigene Subsistenzwirtschaft kommunal aufzubauen. Sie bringen das mit, was sie aus ihren Ländern kennen, backen Brot oder pflanzen an, wie sie es gewohnt sind. Gerade das ist eine ungeheuere Bereicherung und schafft tatsächlich eine neue internationale Gemeinschaft.

ZAG:
Und dort gibt es für Sie auch wieder den Begriff “Heimat”?

Maria Mies:
Ja, allerdings. Und der ist absolut notwendig.

ZAG:
Warum?

Maria Mies:
Erstmal ist dieser Begriff der Heimat total entwertet worden. Besonders auch von der Linken, die mit diesem Begriff sofort Faschismus assoziiert. Es ist aber doch so, dass Menschen nirgendwo mehr verwurzelt sind. In der globalisierten Wirtschaft ist dies auch fast unmöglich geworden, besonders für junge Leute. Sie müssen dahin gehen, wo es Jobs gibt und können kaum noch eine feste Beziehung aufbauen. Sie sind somit isolierte einzelne. Meiner Meinung nach ist diese Heimatlosigkeit die Ursache für den Rechtsextremismus. Die Leute sind alle unsicher, es gibt keine Sicherheiten mehr. Auch der Staat gibt jetzt keine Sicherheiten mehr. Und wenn sich dann Männer in rechten Männerbünden zusammenschließen, bilden diese eine Art Ersatzfamilie. Das sagen sie ja auch oft so. Sonst haben sie nirgendwo mehr ein Stück Heimat. Das ist nicht nur eine Sache von Sicherheit, sondern auch von emotionaler Verbundenheit mit einem Ort oder einer Community. Und unter Umständen auch mit Traditionen - auch solche, die man selber macht. Ein neues Heimatgefühl muß praktisch neu geschaffen werden bei uns.

ZAG:
Aber in der Zeit des sog. Wirtschaftswunders, als die Menschen hier in Deutschland sich sicher fühlten und eine “Heimat” hatten, war der Rassismus ungebrochen.

Maria Mies:
Ja, nur ist die Frage, ob diese Tatsache ursächlich mit dem Heimatgefühl in Verbindung steht oder ob dies eigentlich noch Reste des Faschismus waren. Meiner Meinung nach hängt das nicht ursächlich zusammen. Ich würde eher sagen: Nur ein Mensch der eine Heimat hat, kann wirklich kosmopolitisch sein und sich für Fremde öffnen. Dass jeder Fremde von vornherein als Feind definiert wird, wie das heute oft der Fall ist, ist absurd. Wenn Sie den europäischen Raum verlassen, werden Sie merken, dass die Gastfreundschaft in fast allen arabischen Ländern, oder im Hinduismus, weit verbreitet ist. Die Fremden sind nicht die Feinde. Dem muss etwas vorausgegangen sein, nämlich Aggressionen, Kriege, Eroberungen. Feinde werden gemacht. Das ist Teil der patriarchalen Geschichte. Und unsere Deutsche Geschichte ist voll davon. Das heißt also, es liegt nicht am Begriff der Heimat, dass jemand rassistisch ist.

ZAG:
Nun, da lässt sich der Schulterschluss mit Rechten wohl kaum vermeiden. Denn der Heimatbegriff wird ja gerade dort sehr stark favorisiert.

Maria Mies:
Ja klar, aber wissen Sie, ich denke, das ist im Grunde genommen die Schuld der Linken. Weil diese den Begriff der Heimat, der eine ganz tiefe emotionale Wirkung hat oder zumindest im Menschen sehr tief emotional verwurzelt ist, einfach den Rechten überlassen hat. Jeder der noch ein Gefühl für seine Heimat hat, ist der Linken zufolge ein Rechter. Das ist natürlich ein riesiges Potential für so Leute wie Le Pen oder Haider.

ZAG:
Aber in der Analyse der Linken werden mit dem Begriff der Heimat immer Dinge fest geschrieben, die es so nicht gibt. Die Identifikation mit diesen Festschreibungen, schafft dann zwangsläufig etwas Eigenes und etwas Fremdes. Dass dieses dem Eigenen feindlich gegenübersteht, entspringt notwendigerweise dieser Logik.

Maria Mies:
Nun, die Bestimmung des Fremden als Feind hängt mit der ganzen modernen und postmodernen Philosophie in Europa zusammen. Was Sartre mal gesagt hat: “L’ autre c’est l’ enfer.” Das ist so in den Köpfen heutzutage. Jeder andere bedroht das Ich. Das ist bei Hegel schon zu finden. Aber das stimmt nicht. Der andere ist nicht die Hölle. Der andere kann eine unheimliche Bereicherung sein, genauso wie die Vielfalt der Natur eigentlich die Grundlage des Lebens ist und nicht der Kampf eines jeden gegen jeden. Das ist Darwinismus pur.

Das Interview führten Jana Seppelt und Albert Zecheru

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