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Antisemitismus

Auslöser für unseren Schwerpunkt Antisemitismus waren ursprünglich die verschiedenen Debatten in Deutschland. Vom Historikerstreit über die Debatten, die seit der sogenannten 'Berliner Republik' immer häufiger z.B. zu Goldhagen, Walser oder über das Mahnmal und das Entschädigungsgesetz geführt wurden. Nach unserer Sicht fanden sie wenig Beachtung im antirassistischen Spektrum. Die Chance, bei diesem komplexen Thema in eines der zahlreich verteilten Fettnäpfchen zu treten, ist groß. Die vernichtenden Kommentare und Stellungnahmen dazu kommen garantiert. Da wir nicht zu den Experten der Auseinandersetzungen in diesem Bereich zählen, sondern eher zum interessierten Publikum, hielten wir uns an das Motto: "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten!" (Dieter Nuhr). Im Lauf der Beschäftigung mit dem Schwerpunkt und den verschiedenen Positionen besserte sich das mit der Ahnung.

Die anfängliche Vorstellung den Palästinakonflikt aus dem Schwerpunkt herauszuhalten, erwies sich schnell als unmöglich, da die aktuellen Debatten und Antisemitismusvorwürfe hauptsächlich an diesem Punkt kulminieren. Für uns auffällig war der langsame Positionswechsel in der Medienlandschaft zu diesem Konflikt. Die früher eher von philosemitischen und proisraelischen Tönen geprägte Berichterstattung wandelte sich. Inzwischen sind immer 'israelkritischere' Positionen voll im Trend. Dabei wird vor allem aus dem linken Spektrum eine Kritik an Punkten laut, die innerhalb nationalstaatlicher Logik liegen und merkwürdiger Weise besonders an Israel angeprangert werden. Das einzige, was hier noch mildernd herangezogen werden kann, ist, dass Israel im Focus der öffentlichen Wahrnehmung steht. Dass in Deutschland ein großes Interesse bestehen sollte, ist indiskutabel. Doch hier drängt sich die Frage auf, ob diese Wahrnehmung nicht einen seltsamen Beigeschmack hat. Die Art und Weise, wie dieses Interesse zu Tage tritt, verrät deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft nicht erfolgte. Gerade die Frage von gesellschaftlichen Kontinuitäten in der restaurierten bürgerlichen Gesellschaft der Bundesrepublik wird gerne übersehen. Eine der Auswirkungen der "Homogenisierungsleistung" des Nationalsozialismus ist die Wahrnehmung von ImmigrantInnen in Deutschland, eine andere die latent antisemitische Durchdringung.

Die Welt ist reichlich garniert mit Staaten, die einem Schlachthaus gleichen und fast niemand interessiert sich dafür. Bei der Orientierung der öffentlichen Wahrnehmung auf Ereignisse in Israel, einen Staat den niemand ernsthaft zu dieser Kategorie zählen wird, ist deshalb der Eindruck schwer abzuweisen, dass die Haltung "Gerade die! Mit der Vorgeschichte!" eine nicht zu verachtende Rolle spielt. Also die Vorstellung, dass Verfolgung, KZ, und Vernichtung pädagogische Maßnahmen gewesen wären und deshalb andere Maßstäbe für die Überlebenden und für Juden gälten, als für den Rest der Menschheit. Wobei nicht vergessen werden darf - und das gehört auch in die Abteilung "Homogenisierungsleistung des Nationalsozialismus" - dass die Gleichung Jude = Israeli die Grenzen der deutschen Algebra bildet.

Ein weiterer Grund für die magere Auseinandersetzung in der antirassitischen Diskussion - selbst mit dem inzwischen ganz öffentlich formulierten dezidierten Antisemitismus - dürfte in der verbreiteten Sicht von Antisemitismus als eines Teils des gesellschaftlichen Rassismus liegen. Der spezifische Charakter des Antisemitismus wird in der Regel nicht wahrgenommen. So werden doch allen Ernstes Thesen aufgestellt, die die antisemitische Vernichtungspraxis in Deutschland als Extrementwicklung des Kolonialrassismus betrachten (Mark Terkessidis). Dabei wird einfach ignoriert, dass Sklaverei, koloniale Ausbeutung und die daraus entstandenen rassenbiologischen Legitimationstheorien einen ökonomischen Zweck hatten, der für die Vernichtung der Juden keine Rolle gespielt hat. Die nationalsozialistische Personifizierung der Juden als der Quelle allen Übels entsprach einer anderen Logik. Der Logik einer Kapitalismuskritik, die auf die Kritik des Geldes, des Abstrakten reduziert bleibt und zwischen einem produktiven, guten Kapital und einem unproduktiven, schlechten, Kapital unterscheidet. Die Beseitigung dieses negativen Kapitals hätte innerhalb dieser Logik einen guten, glücklichen Kapitalismus zum Ergebnis. Diese einseitige Kapitalismuskritik ist bei der im Antiglobalisierungsdiskurs manchmal vertretenen naiven Kritik globaler Geldströme eine ernste Gefahr. Der Kampf gegen das bedrohlich Abstrakte innerhalb derartiger Vorstellungswelten bedarf notwendigerweise einer Personifizierung. Traditionell wurde sie in den Juden konstruiert, und das so nachhaltig, dass mit großer Rechtfertigung die verkürzte Kritik des Finanzkapitals als letztendlich antisemitisch gesehen werden muss.

ZAG-Redaktion

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