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Abschiebegefängnisse in Holland

Eine kurze Übersicht über die Zustände in holländischen Abschiebegefängnissen und den Widerstand, geschrieben von der linksradikalen Organisation 'De Fabel van de illegaal' in Leiden.

Die Niederlanden verfolgen eine, mit anderen europäischen Ländern vergleichbare, strikte Abschiebungspolitik. Jährlich werden nach Schätzungen 30.000 bis 40.000 Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen abgeschoben. Die Abschiebungsmaschinerie stützt sich dabei auf den 'Vreemdelingendienst' (Ausländerpolizei) und 22 regionale Polizeiämter. Jede regionale Polizeistelle erhält vom Innenministerium eine jährliche Abschiebequote für Menschen ohne Papiere. In der Region Hollands-Midden, zu der auch Leiden gehört, wo De Fabel van der illegaal aktiv ist, müssen jährlich ca. 600 Illegale verhaftet und abgeschoben werden. Regelmässig fallen Polizei-Sondereinheiten auf der Suche nach Illegalen in Kleinbetrieben, Gaststättengewerbe und Gewächshäusern (der grösste Beschäftigungssektor für Illegale und ArbeitsmigrantInnen) ein.

Neue Knäste
In allen holländischen Polizeistellen und Gefängnissen warten Illegale auf ihre Abschiebung. Jedoch sind seit 1992 auch Abschiebegefängnisse in Betrieb. Das erste in Amsterdam wurde euphemistisch 'Grenzgästehospiz und -aufenthalt' benannt. Gegenwärtig sitzen dort vor allem illegale Frauen mit ihren Kindern ein. Das zweite Gefängnis wurde kurz darauf in einer alten Kaserne in Tilburg mit Zellen eingerichtet. Daneben existieren mittlerweile noch zwei weitere. In der Leidener Region waren zwei Abschiebegefängnisse zwischen 1996 und 1999 in Gebrauch, die am strengsten bewachten in Holland. Später wurden die Gefangenen in ein neues Gefängnis nach Ter Apel nicht weit von der deutschen Grenze verbracht. Dort müssen sie 25 Stunden in der Woche für einen Stundenlohn von einem Gulden arbeiten. Jeden Tag haben sie eine Stunde Freigang, ansonsten Einschluss, dessen Dauer unbegrenzt sein kann. Auf demselben Gelände befindet sich auch ein 'Ausreisezentrum', Wohnwagen ohne Wasser und WC, deren ca. 400 'Bewohner' zwar nicht vollständig eingeschlossen sind, aber jeden Tag zweimal ihre Anwesenheit abstempeln lassen müssen. Sie sind stundenlangen Verhören ausgesetzt, sowie unermüdlichen manipulativen Versuchen, sie zur Mitarbeit an der eigenen Abschiebung zu bewegen. Auch Kinder werden nicht verschont. Unweit befindet sich noch ein Schengen-Auffanglager (OC) mit 300 Flüchtlingen, die auf ihre Abschiebung in andere Schengen-Mitgliedsstaaten warten. Ter Apel ist gegenwärtig das grösste Abschiebegefängnis in Holland mit insgesamt 1100 illegalisierten Flüchtlingen und MigrantInnen. Es existieren jedoch Pläne für den Bau eines weiteren Gefängnisses mit ähnlichem Aufnahmevermögen.

Hungerstreik
Der stärkste Widerstand kommt von den Illegalen selbst und in vielfältiger Form. Bekannt sind Fälle, bei denen es Menschen gelang, während des Transportes zu fliehen. Andere traten in einen Streik gegen Unterbezahlung, schlechte Arbeitsverhältnisse und Haftbedingungen, gegen die Inhaftierung selbst und ihre lange Dauer.
Eine andere häufige Form des Widerstandes ist der Hungerstreik. Der Gefängnisdirektor in Tilburg berichtet von täglichen individuellen Hungerstreiks. Der längste dauerte mehr als 60 Tage. Beispiele kollektiver Hungerstreiks waren die einer Gruppe Zairer im 'Grenzhospiz' im Juni 1992 und einer Anzahl Algerier im Sommer 1995 in Tilburg. Im Januar 1996 fand ein zweiwöchiger Hungerstreik von zwanzig Flüchtlingen gegen das Gefängisregime und die Arbeitsbedingungen statt. Am 14.4.1999 traten 13 Kurden in Tilburg in Hungerstreik, weil die Justizbehörde ihnen den Zugang zu einem normalen Asylverfahren verweigert hatte. Dem gingen bereits zwei Hungerstreiks von jeweils einer Woche voraus. KurdInnen können nicht wie andere Flüchtlinge einen Asylantrag in einem Asylcentrum stellen. Um ihre mögliche politische Tätigkeit und Integration in der kurdischen Gemeinschaft zu verhindern, werden sie häufig sofort inhaftiert und einem verkürzten Asylverfahren unterzogen. Sechs der dreizehn Streikenden saßen zwei Stunden nach ihrer Ankunft in den Niederlanden bereits in einer Zelle. Nach Beginn ihres Protests blieb ihnen der Zugang zur Bibliothek und der Kauf von Telefonkarten verboten, wodurch der Kontakt nach draußen erschwert war. Ebenso sahen sie sich einer ständigen Demoralisierung u.a. Abschiebungsdrohungen ausgesetzt. Als nach 23 Tagen einer der Streikenden tatsächlich abgeschoben wurde, brachen die anderen den Hungerstreik ab. Einige Tage später gingen siebzehn Kurden aus Protest gegen Abschiebung und für ein faires Asylverfahren in Ter Apel erneut in Hungerstreik.

Brandstiftung
Andere Formen des Widerstandes waren Feuer in den Zellen und zahlreiche Zerstörungen der Gefängniseinrichtung, daneben auch Weigerungen, den Befehlen der Beamten und Gefängnisleitung zu gehorchen, in die Zellen zurückzukehren und freiwillig Fingerabdrücke zu geben. Die meisten Flüchtlinge versuchen ihrer Abschiebung entgegenzuwirken, indem sie trotz der Manipulierungsversuche seitens der Behörden, auf die Weiterführung ihres Asylverfahrens bestehen oder angesichts einer möglichen Abschiebung, ihre Identität verschweigen und bei der Beschaffung von Beweisen ihrer persönlichen Daten jegliche Mitarbeit ablehnen. Einige wehren sich auch bei der Abschiebung im Flugzeug, was als Grund genommen wird, um die Anwendung von Gewalt wie Schläge, Injektionen und Fesselung zu rechtfertigen. Die Hälfte aller Inhaftierten wird abgeschoben. Die restlichen Illegalen werden an einem Grenzübergang ausgesetzt oder mittellos auf der Straße abgeladen. Ihr Überleben ist sehr schwierig und seit der Einführung des 'Koppelingswet' 1998 noch verschärft, da mit der Koppelung aller Datensysteme der Verwaltung, ein freier Datenfluss und eine totale Überwachung und Kontrolle möglich geworden ist. Dieses Gesetz hat mit einem Schlag auch Tausende von MigrantInnen, die seit Jahren in den Niederlanden leben und arbeiten, illegalisiert. Drei Hungerstreiks dieser 'Weißen Illegalen' haben wenig Erfolg gezeigt.

Besuchsgruppen
Widerstand gibt es aber auch außerhalb der Gefängnismauern. In Amsterdam organisierte das 'Autonoom Centrum' jahrelang Aktionen gegen das 'Grenzhospiz' und gründete auch eine Besuchsgruppe. Dort und in Tilburg organisieren christliche Gruppen Besuchsgruppen und regelmäßige Wachen vor dem Gefängnis. In Ter Apel und Hoorn sind linksradikale, antifaschistische Gruppen aktiv.
Um das Problem eines Protests deutlicher zu machen, fassen wir unsere Erfahrungen mit dem Abschiebegefängnis im nachbarlichen Alphen zusammen. Als das Gefängnis noch in Planung war, haben wir uns informiert und sind an die Öffentlichkeit gegangen. Nach der Eröffnung des Gefängniskomplexes organisierten wir gleich eine direkte Aktion und ein öffentliches Treffen mit örtlichen Prominenten. Dorthin kamen auch Faschos.
Danach war 'De Fabel van de illegaal' damit beschäftigt, eine Besuchsgruppe in einem breiten Spektrum von Linken, ChristInnen und Flüchtlingen auf die Beine zu stellen. MigrantInnenorganisationen wagten aus Angst vor rechten Überfällen und Polizeirazzien nicht daran teilzunehmen. Die Gefängnisleitung bestimmte, dass wir nur Gefangene besuchen dürften, die uns eingeladen hätten. Daraufhin rief 'De Fabel' zu vier Aktionen vor dem Abschiebeknast auf, bei denen auch Kirchenleute und örtliche Politiker ihre Sympathie kundtaten. Der Fraktionsvorsitzende von GrünLinks erschien aufgrund von anhaltenden Drohungen durch Nazis nicht. Die Aktionen zogen eine starke öffentliche Aufmerksamkeit auf sich, der die Gefängnisleitung glaubte entgegenzuwirken, indem sie Werbeblättchen für die BesucherInnen in den Haftzellen auslegte.

Helfeshelfer
Viele Gefangene nahmen die Besuche sehr positiv auf, obwohl wir in den einzelen Fällen wenig tun konnten. Jedoch wussten wir, dass wir durch ihre Berichte viele Informationen über die Misstände im Gefängnis öffentlich machen konnten, z.B. Knüppeleien von Sondereinheiten der Polizei an einer Gruppe Gefangener, die sich weigerten, mitten im Sommer in ihre überhitzten Zellen zurückzukehren. Wir nahmen Gefangene auf, die am Gefängistor ausgesetzt worden waren. Einige hatten schwere psychische Probleme davongetragen. Wir knüpften auch Kontakte mit dem Gefängnispriester, der uns gelegentlich inoffizielle Informationen durchgab. In der Besuchsgruppe entstanden jedoch inzwischen Probleme zwischen ChristInnen und Linken. Einige ChristInnen begannen bald, von 'Inhaftierung' als 'Aufenthalt' zu sprechen und nannten diejenigen Gefangenen, die sich wehrten und in Isolierzellen landeten, 'Randalierer'. Einer versuchte, die Gefangenen unter Druck zu setzen, um sie zur Mitarbeit an ihrer eigenen Abschiebung zu bringen. Wir begriffen dann, dass einige BesucherInnen mehr Unheil anrichteten, als dass sie Gutes taten. 'De Fabel' beschloss daraufhin, mit der Besuchsgruppe aufzuhören u.a. auch, weil die Gefangenen kurz darvor standen, nach Ter Apel überstellt zu werden. Seit Ende 1996 existiert die landesweite Plattform von Anti-Abschiebeknästegruppen nicht mehr. Die Ansichten von ChristInnen und Linksradikalen zu diesem Thema haben sich als zu unterschiedlich erwiesen.

De Fabel van de illegaal

noch ein paar Sätze zur Fabel: 'De Fabel' ist eine linksradikales, anti-rassistisches, feministisches Kollektiv, das sich auf unterschiedliche Weise in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Neben individueller Hilfe für MigrantInnen, Flüchtlinge und Illegale unterstützen wir auch Kampagnen (Kein Mensch ist illegal) und Initiativen. Für mehr Information gibts unsere Website

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