Rassismus im virtuellen Raum
Das Internet ist böse und schlecht. Es dient der Verbreitung nationalistischer Inhalte, von Kinderpornographie, antisemitischer und rassistischer Texte.
Sicherlich ist es wegen dieser "Begleiterscheinungen" nicht angebracht, das "Neue Medium" zu verteufeln. Ob jedoch eine "transversale Medienkompetenz und kritische Urteilskraft" (vgl. Sandbothe S. 58) das Allheilmittel ist, gilt bei der Medienkompetenz heutiger TV-User als dahingestellt. Um dabei zu bleiben: eine gezielte Ausbildung der heranwachsenden Generation hin zu kompetenten Internet-Usern ist richtig. Aufgrund der Verteufelung von Computern und allem, was damit verbunden wird, durch hiesige Pädagogen, ist es sicherlich auch notwendig, danach zu schreien. Die Aufsatzsammlung des Argument-Verlages führt m.E. jedoch zu einer umgekehrten Verklärung.
Wolfgang Welsch nutzt das Bild, daß Abend für Abend ein Strom von Leuten der Stanford-Universität - dort wird wohl hauptsächlich der Übung nachgegangen, im Internet zu surfen und zu chatten - an den Highway One zum Erleben des Sonnenunterganges fahren, um die Verbindung zwischen Cyperspace und "Realer Welt" aufzuzeigen. Und noch weiter: "Die virtuellen Gemeinschaften sind in einer Weise gemeinschaftlich, wie sie den sogenannten wirklichen Gemeinschaften seit langem abhanden gekommen ist." (Welsch S. 44) Also alles super im Cyperspace - oder wieso leben wir eigentlich noch in der realen Welt?
Zu vermissen ist ganz und gar die Auseinandersetzung mit der Fragestellung: Wer hat überhaupt Zugang? Und wer bestimmt die Inhalte, die Verbreitung finden (bspw. auf den Target-Listen ganz oben stehen).
Und dann wunderte ich mich auch ein wenig, daß nach zwei Dritteln des Sammelbandes immer noch nichts über die Verbreitung von rassistischen Inhalten übers Internet steht (ist ja auch nur der Buchtitel?).
Hilfreich ist es, den geneigten Leser, die geneigte Leserin an den Begriff Rassismus heranzuführen und wir lesen dann auch bei Ali Rattansi über die Definition von Ethnizität und Rassismus und verfolgen auch die Auseinandersetzung über die Dezentrierung und Ent-Essenzialisierung der Begriffe Ethnizität, "Rasse" und Rassismus. Auch die folgende Auseinandersetzung von Sylvia Riedmann und Christian Flatz über "das Fremde" 'an und für sich', ist 'an und für sich' spannend zu lesen. Wenn ich aber nachfolgend den Aufsatz von Robert Miles darüber lese, inwiefern sich der Rassismus-Diskurs auf den Nordirland-Konflikt anwenden läßt (für sich genommen eine sehr interessante Abhandlung), frage ich mich schon: was hat das mit Rassismus im virtuellen Raum zu tun? Zudem ist der Aufsatz von 1994 nicht gerade aktuell. Aber zum Ende des Bandes wird uns dann doch noch eine Untersuchung von Studierenden des Institutes für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck dargelegt. Im Rahmen eines Projektes wurde dort eine Datenbank erstellt, in der Internetseiten mit rassistischen Inhalten dokumentiert sind. 500 "Websites" umfaßt zur Zeit diese Datenbank und von Monat zu Monat steigt die Zahl. Viele dieser "Websites" sind dann auch in dem Sammelband mit dokumentiert. Aufgereiht finden sich hier: White Aryan Resistance, Nation of Islam, Ku Klux Klan, British National Party, das Nordland-Netz (ein Ableger des Thule-Netzes), NSDAP/AO, die Website Berlin und viele andere.
Markus Stilo (ZAG)
E-Mail-Anfragen zu dieser Datenbank unter projekt.internet@gmx.net
Ch. Flatz/ S. Riedmann/ M. Kröll (Hg.), Rassismus im virtuellen Raum, Argument Sonderband Neue Folge 259, Argument Verlag, Hamburg 1998, 257 S., 39,80 DM