Sexismus und Rassismus
Interview von Christoph Burgmer mit Birgit Rommelspacher
Folgendes Gespräch führte Christoph Burgmer mit Birgit Rommelspacher. Es ist Teil einer Sammlung von Gesprächen zwischen Christoph Burgmer und verschiedenen WissenschaftlerInnen und Schriftstellern. Der Band "Rassismus in der Diskussion" ist soeben im Verlag Elefanten Press Berlin erschienen.
Christoph Burgmer:
Der Zusammenhang zwischen Sexismus und Rassismus wird in der Öffentlichkeit selten gesehen. Wie hängen beide Ideologien zusammen, und worin unterscheiden sie sich voneinander?
Birgit Rommelspacher:
Beides sind Ideologien, die darauf abzielen, eine bestimmte Gruppe von Menschen zu diskriminieren, indem die Gruppe als eine homogene Einheit konstruiert und mit Hilfe zum Beispiel eines biologischen Merkmals stigmatisiert wird - das eine Mal aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, das andere Mal aufgrund der Hautfarbe oder ethnischen Herkunft. Den Gruppen werden bestimmte Eigenschaften als »natürlich« zugeschrieben und damit Machtverhältnisse legitimiert. Frauen gelten als emotional und weniger rational und bedürfen deshalb angeblich der »Führung« des Mannes; wohingegen zum Beispiel im kolonialen Rassismus die Bevölkerungen der kolonisierten Gebiete für weniger zivilisiert, naiv und unberechenbar gehalten wurden und deshalb angeblich der Missionierung und Erziehung durch die Kolonisatoren bedurften. Interessanterweise entwickelten die Europäer die Lehre von der Hierarchie der »Rassen« in einer Zeit, in der sie zugleich den Gedanken der Gleichheit aller Menschen proklamierten. Gerade dieser Widerspruch zwischen dem Anspruch universeller Menschenrechte und der Reproduktion politischer, ökonomischer und kultureller Ungleichheit ist der Kern rassistischer Ideologie. Die Ungleichbehandlung muß irgendwie begründet werden, und diese Legitimationslücke wurde und wird durch die rassistische Theorie geschlossen. (...) Was nun die Gemeinsamkeiten zwischen Sexismus und Rassismus anbetrifft, so liegen diese in der kollektiven Zuschreibung von Eigenschaften, die Diskriminierungen rechtfertigen. Aber damit hört die Gemeinsamkeit auch auf. Es gibt wichtige Unterschiede. Der wichtigste ist der, daß die rassistisch konstruierten Gruppen für sich sind, während im Geschlechterverhältnis Männer und Frauen individuell voneinander abhängig sind und die Gesellschaft sich gerade durch das Beziehungsverhältnis von Männer und Frauen zueinander konstituiert. Die Frauen sind also in die Gesellschaft eingebunden und nehmen, je nach Hierarchieebene, auch am Privilegiensystem teil. Frauen können so Diskriminierte und Privilegierte zugleich sein.
Von »den« diskriminierten Frauen zu sprechen, ist also zu einfach?
Frau ist nicht nur Frau, sondern auch weiß oder schwarz, christlich, jüdisch oder muslimisch, lesbisch oder heterosexuell, arm oder reich, behindert oder nicht behindert und so weiter. Als Frauen sind sie immer diskriminiert. Sie können aber zugleich auch Angehörige privilegierter Gruppen sein. Der Nationalsozialismus ist für diesen Widerspruch ein besonders krasses Beispiel. Dort herrschte unbestritten ein vom Männlichkeitswahn durchzogenes extrem patriarchales System; gleichwohl war die Position der sogenannten »arischen« Frau nicht zu vergleichen mit der Position der »nicht arischen« Frau. Die Zugehörigkeit zur deutschen »Herrenrasse« versprach auch für Frauen Privilegien, und diese Zuordnung war bekanntlich oft auch eine Frage von Leben und Tod. Die »arischen« Frauen hatten so also auch Teil an der rassistischen Aufwertung auf Kosten anderer und vielfach auch konkrete Vorteile davon. Dementsprechend haben sie auch das System und dessen Werte verteidigt. Es gab keinen besonderen Widerstand der Frauen gegen den Antisemitismus oder Rassismus. Auch nicht in der Kolonialzeit1. (...)
Sie haben als einen Wendepunkt in der Rassismuskonstruktion die beginnende Moderne ausgemacht. Gilt das auch für die Frauendiskriminierung?
Mit der aufkommenden Moderne wurden die Frauen in Europa einem gigantischen Disziplinierungsprozeß ausgesetzt, und zwar mit Hilfe der Hexenverfolgung und Hexenverbrennung. Im Mittelalter ist der Status der Frauen teilweise besser gewesen, und die Frauen waren unabhängiger. Nun wurden die Frauen als »Sündige«, als »Verderbende« und vor allen Dingen als »Wissende« stigmatisiert und umgebracht. An dessen Stelle trat dann das Bild der bürgerlichen Frau, die zu Hause ihre Aufgaben als Frau und Mutter zu erfüllen hat. Die Frau wurde qua Natur auf diese Rolle festgelegt, es wurden von ihr vor allem Sittsamkeit, Tugendhaftigkeit und Fürsorge erwartet, während dem Mann Verstand und Machtwille zugeschrieben wurde. Sie wurde in die Wohnstube ein- und aus der öffentlichen Sphäre ausgeschlossen.
Aber war nicht die Rolle der Frau auch innerhalb des mittelalterlichen Ständesystems sehr stark fixiert?
Entgegen dem weitverbreiteten Fortschrittsdenken war das Leben der Frauen im Mittelalter weniger reglementiert. Es gab zahlreiche selbständige Frauen und auch Frauenkooperativen, die sogenannten »Beginen«. Außerdem war die Ehe nicht entfernt so verbreitet wie heute. Viele Frauen waren in den Klöstern und im Zunftwesen eigenständig tätig. Sie haben eigenständig Handwerksbetriebe geleitet oder sie übernommen, wenn der Mann im Krieg oder gestorben war. Im landwirtschaftlichen Bereich hatte die Bäuerin ohnehin neben der normalen Feldarbeit ihren Bereich und hat dadurch zur Subsistenz der Familie wesentlich beigetragen. Von daher ist die Hausfrauenehe und das traditionelle bürgerliche Familienmodell dasjenige, das die Frauen vergleichsweise stark einengt und reglementiert.
Die Hexenverfolgung ist aber neben der ökonomischen Ausgrenzung von Frauen auch gleichzeitig ein Disziplinierungsprozeß. Ist die Hexenverbrennung ein gesellschaftliches Projekt, das geschlechtlich disziplinierend motiviert war?
Ganz genau. Die »ungebändigten« Frauen, vielfach nicht verheiratet und eigenständig, die vor allem ihr eigenes Wissen um Krankheiten, Geburt und Geburtenregelung hatten, wurden als Hexen denunziert, weil sie als Konkurrenz zum Mann und der damals entstehenden Wissenschaft, insbesondere der Medizin, verstanden wurden. Sie sollten mundtot gemacht und auf die Rolle der bescheidenen Hausfrau und Mutter reduziert werden.
Was sind die Ursachen des Entstehens der, wenn auch vielleicht nicht immer bewußten, Männerkoalitionen?
Das ist insofern eine grundsätzliche Frage, weil das Patriarchat eine universelle Erscheinungsform ist, die man so gut wie überall findet. Das hat nicht nur mit dem Westen und der Moderne zu tun. Auch in anderen Zeiten und anderen Kulturen herrschte das Patriarchat2. Insofern ist eine allgemeine Erklärung schwierig. Hier sollten wir uns eher auf die Frage konzentrieren, warum sich der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit in Europa auf diese brutale Weise vollzog. Die westliche Moderne verlangte eine enorme Disziplinierung der gesamten Bevölkerung aufgrund der Industrialisierung. Der Prozeß der Zivilisation beinhaltet nach Norbert Elias3 eine fortschreitende Verinnerlichung der Außenzwänge. Das ist ein ganz entscheidender Faktor, der zum Typus des modernen Menschen notwendig dazugehört, da er sonst den Erfordernissen der modernen Industrie und Technologie nicht gerecht werden kann. Den Frauen wurde bei diesem Disziplinierungsprozeß von den Männern eine Schlüsselrolle zugeschrieben: Sie sollten diese Werte den Kindern in der Erziehung vermitteln und selbst als Vorbild internalisierter Dominanz wirken. Vor allem mit dem Konzept der »Mutterliebe«4, das in der Form vorher nicht existierte, wurden sie an Haus und Heim gefesselt. Das hat dem Frauenbild in der Realität des Mittelalters überhaupt nicht entsprochen. Dort waren Frauen sehr viel, man könnte sagen: »ausschweifender« in jeder Richtung, sei es in sexueller Hinsicht, in bezug auf Gewalttätigkeit oder in den sozialen Beziehungen, und entsprachen in keinster Weise dem späteren bürgerlichen Idealbild einer puritanischen, keuschen und bescheidenen Hausfrau und Mutter. Die Männer unterwarfen vor allem Frauen diesen Disziplinierungen, weil sie für sich selbst so ein Stück Freiraum bewahren konnten. Das galt für die Sexualität, die Gewalttätigkeit und auch für Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewußtsein in sozialen Bindungen. Damit etablierte sich eine geschlechtsspezifische moralische Arbeitsteilung, die dem Mann Autonomie, Aggressivität und Sexualität zuschreibt, der Frau aber Fürsorge, Beständigkeit und Tugendhaftigkeit. Als Entschädigung für reale Macht erhält die Frau die Macht der Moral. Gleichzeitig war diese Konstruktion immer bedroht durch die »naturhafte Triebhaftigkeit« und »Unberechenbarkeit« der Frau, so daß der Mann sie ständig unter Kontrolle halten mußte.
Das würde ich als Rassismus bezeichnen!
Hier geht es um Sexismus. Aber es gibt da viele Parallelen, wie die unterstellte Naturnähe der Frau, die ihre Disziplinierung notwendig macht. Sie muß unterdrückt und kontrolliert werden, weil sie als »triebhaft« stigmatisiert wurde, und sie muß vom Mann angeleitet werden, weil sie qua »Natur« die höheren Stufen der Intelligenz nicht erklimmen könne. Das sind Parallelen zwischen der rassistischen Konstruktion im kolonialen Rassismus und dem Sexismus. Zudem ist die Kolonisierung von Seiten des weißen Mannes oft in Geschlechterbildern gefaßt worden. Da gibt es den »jungfräulichen«, den »unbekannten«, den »schwarzen« Kontinent, den der weiße Mann erobern muß. Diese männlich-weiblich Kodierungen gab und gibt es nach wie vor. Insofern überträgt sich der Geschlechterdiskurs auf den Rassismusdiskurs.
Verstärkt durch Literatur und Kunst werden im 19. Jahrhundert aber auch Frauenbilder erzeugt, denen dann erst eine Realität zugeordnet werden soll.
Innerhalb der europäischen bürgerlichen Kultur existierten mehrere Frauenbilder. Einmal die brave züchtige Hausfrau, die zu Hause waltet und den Kindern ihre Moralvorstellungen weitergibt, sich ein- und unterordnet. Daneben gibt es aber auch das Bild der verführerischen Frau, der Femme fatale; also Gegenbilder zu Maria und Eva - die »Heilige« und die »Hure«. Diese polarisierenden Weiblichkeitsbilder sind der Spiegel der bürgerlichen Doppelmoral und Ausdruck christlicher Tradition. Im 19. Jahrhundert tauchten im Zuge der Kolonialisierung aber auch noch andere Frauenbilder auf. Und hier ist der Orientalismusdiskurs5 besonders interessant, da die westliche männliche Phantasie bei der Kolonisierung des Orients in ihrem Eroberungswillen durch die Haremsmauern enorm frustriert worden war. Zahlreiche Werke der Dichtkunst und Malerei kreisten um den Harem. Dabei wurde vor allem das Bild einer lasziven, luxuriösen, trägen und verführerischen Frau entworfen, die mehr oder weniger ständig auf das Kommen des Mannes wartet. In diesen Darstellungen steht die Zeit still. Die Frauen sind eigentlich keine Individuen, keine Subjekte. Sie haben keine Interessen und sind einfach nur da. Das sind alles Männerphantasien, die ihm vor allem als Eroberer schmeicheln: Er fühlt sich aufgerufen, die Mauern zu sprengen und die Frauen zu befreien und wird zum Dank mit unendlicher Lust belohnt. Auch englische und französische Frauen des 19. Jahrhunderts haben in Literatur und bildender Kunst diese Themen aufgegriffen und sind vielfach den Männerphantasien gefolgt.
Nun gibt es in der linken Theorie weitere Emanzipationsbestrebungen. Der Rassismus wird darin, genau wie die Frauenemanzipation, als Nebenwiderspruch wahrgenommen.
Die These vom Haupt- und Nebenwiderspruch hat in der Realität meist dazu geführt, daß Frauen in der linken Bewegung zur Unterstützung funktionalisiert worden sind. Das Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen ist nur in dem Sinn thematisiert worden, daß Frauen sich dem männlichen Modell von Erwerbsarbeit anzupassen hatten. Die Dominanz des Mannes in Politik, Kultur und Wissenschaft ist nie ernsthaft in Frage gestellt worden, genausowenig wie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Familie. Frauen sollten zwar »ihren Mann« im Erwerbsleben stehen, Männer aber nicht auch die »Mutterrolle« übernehmen. Und diese Rechnung kann nicht aufgehen. Zu Beginn der neuen Frauenbewegung in den siebziger Jahren hat es noch viele Diskussionen mit sozialistischen Feministinnen gegeben und viele Versuche, die unterschiedlichen theoretischen Strömungen zusammenzubringen. Aber das hat nach meiner Einschätzung nicht allzuviel Erfolg gehabt. Besonders die Theorie vom Haupt- und Nebenwiderspruch war desaströs, da sie Frauen zwar eingebunden, aber nicht wirklich ernst genommen hat. Allerdings hat der Feminismus in gewisser Weise denselben Fehler gemacht. Die neue Frauenbewegung ist ja auch teilweise aus der linken Bewegung hervorgegangen und hat selbst die Theorie vom Hauptwiderspruch übernommen. Sie behauptete, daß das Patriarchat die Hauptunterdrückungsform sei, und war davon ausgegangen, wenn das Patriarchat aufgehoben würde, würden sich auch die anderen Dominanzverhältnisse gewissermaßen von selbst auflösen. Das ist natürlich Wunschdenken.
Wann trat denn die rassismustheoretische Diskussion in die feministische Diskussion ein?
Das ist je nach Land unterschiedlich. In den USA gab es unter den Gegnern der Sklaverei schon sehr früh Koalitionen zwischen der ersten Frauenbewegung und dem Befreiungskampf der Schwarzen. Diese Geschichte gibt es in Deutschland nicht. Der Nationalsozialismus hat Deutschland in jeder Hinsicht zurückgeworfen und auch erste Ansätze dieser Diskussion erstickt. Nach 1945 hätte es nun zumindest nahegelegen, die Rolle der deutschen Frauenbewegung im Nationalsozialismus und ihren Umgang mit Antisemitismus zu thematisieren. Aber das war im politischen Klima der BRD nicht möglich. Wie bei allen anderen politischen Strömungen begann eine Aufarbeitung erst sehr viel später. Das gilt auch für den Feminismus, der erst in den achtziger Jahren begonnen hat, sich kritisch mit der Rolle der Frauen im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Zu der Zeit wurde auch zunehmend die Antirassismus-Diskussion aus USA, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden in der deutschen Frauenbewegung rezipiert, so daß es inzwischen eine relativ lebhafte Debatte zu diesem Thema gibt.
Im Entkolonisierungskampf haben Frauen eine sehr aktive Rolle eingenommen. Nach der Entkolonisierung wurden sie in klassische Rollen hineingezwängt. Inwieweit hat das Auswirkungen auf die Wahrnehmungen von Flüchtlingsfrauen in Deutschland?
Ähnlich wie in der linken Politik wurden Frauen auch im Befreiungskampf der Kolonisierten zur Unterstützung gebraucht. Aber sobald man irgend etwas erreicht hatte, wurden sie in die zweite Reihe zurückgeschickt, wenn sie nicht schon im Kampf selbst eine sekundäre Rolle gespielt hatten. Deswegen muß man jede Theorie, sei es Feminismus, Kolonialismus oder die ökonomische Debatte, für sich diskutieren und die Interaktion der Unterdrückungsformen analysieren. Der Feminismus ist von seiten der Kolonisierten oft auch als eine Form westlicher Dominanz verstanden worden, was einerseits stimmt, andererseits aber nicht. Natürlich kommt es den Männern der »Dritten Welt« entgegen, den Feminismus als westliche Machenschaft zu denunzieren, um ihre Frauen leichter disziplinieren und unterdrücken zu können. Aber zugleich ist der westlich-weiße Feminismus auch eine westliche Theorie und in diesem Sinne funktional für die Dominanz des Westens.
(...)
Was nun die Wahrnehmung von Flüchtlingsfrauen in Deutschland anbetrifft, so liegt hier sicherlich noch vieles im Argen. Vor allem fehlt die öffentliche Präsenz der Flüchtlingsfrauen, also der Raum und die Möglichkeit, daß sie ihre Anliegen selbst darstellen. Da gibt es zur Zeit eine Diskussion darüber, inwieweit Migration oder Flucht nicht selbst zur Emanzipation von Frauen beiträgt beziehungsweise nicht unter anderem auch von dem Wunsch nach Eigenständigkeit motiviert war. Allerdings stößt diese Diskussion auf wenig Interesse auf deutscher Seite.
Wie sieht nun der Zusammenhang zwischen Sexismus und Rassismus aus?
Dazu möchte ich ein Beispiel aus der globalen Zuordnung von Geschlechtscharakteren anführen: Im Zuge der Globalisierung wurden ganze Regionen der Welt für die Reproduktion der »Ersten Welt« ausgewiesen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Südostasien. Dort wurden während des Vietnamkrieges sogenannte »recreation areas« als Erholungsbereiche für die US-Soldaten eingerichtet. Der nachfolgende Massentourismus trat dieses Erbe an mit einer flächendeckenden Prostituierung der Frauen dort und zunehmend auch der Kinder. Dieser Sextourismus hat nun dazu geführt, daß weltweit entsprechende Bilder von den dortigen Frauen verbreitet werden. In einem gigantischen Entwertungsprozeß wurden die asiatischen Frauen mit dem Stigma der Hure belegt. Aber auch anderen Bewertungen, wie dem der »Jungfräulichkeit«, werden bestimmten Regionen zugeordnet. Denken wir etwa an die Bahamas, die vor allem die Rolle der heilen, aber exotischen Welt spielen sollen, wo man von einer sicheren Position heraus noch einmal Kolonisator spielen kann. Für die einheimische Bevölkerung, insbesondere aber natürlich für die Frauen, enthält dies die Verpflichtung, in jeder Hinsicht absolut dienstbar zu sein, sich anzupassen und den Gästen jeden Wunsch zu erfüllen. Frauenbewegung, Lesben, Schwule, Aids, all dies sind Themen, die unter den Teppich gekehrt werden. Und mit Hilfe von »smiling campains« wird die Bevölkerung auf ihre Rolle als Dienende eingestimmt. Das kann man als eine Form psycho-sexueller Rekolonisierung verstehen.
Ein Eklat war eine Veröffentlichung in der Frauenzeitschrift Emma vor einigen Jahren, als man dort muslimische Frauen im klassischen Sinne eines 19. Jahrhundert-Rassismus darstellte. Wie kommt es zu solchen Verwerfungen innerhalb der Frauenbewegung?
Der westliche Feminismus ist keineswegs vor Rassismus gefeit. Als Mitglieder der westlichen Kultur sind auch westliche Frauen rassistisch. Eine besondere Dimension bekommt der Rassismus jedoch durch seine Verknüpfung mit dem Feminismus. So ist ein Kernstück rassistischer Argumentation heute beispielsweise im Zusammenhang mit der Kopftuchdebatte, daß die Frauen im Islam unterdrückt seien. Da »weiß« nun plötzlich jeder, auch der oder die noch nie was von Feminismus gehört hat, daß die türkische Frau unterdrückt sei und die deutsche Frau emanzipiert. Damit wird der westlich-feministische Emanzipationsbegriff für die Diskriminierung von Frauen funktionalisiert und die Hierarchie zwischen dem »offenen«, »toleranten« Westen und dem »rückschrittlichen«, »despotischen« Islam im Sinne des Kulturrassismus festgezurrt. So wird der Emanzipationsbegriff zu einem zweischneidigen Schwert. Auf der einen Seite geht es ihm um die Gleichstellung aller Frauen. Auf der anderen Seite wird er zur Diskriminierung von Frauen ethnischer Minderheiten benutzt. Für Feministinnen ist dies besonders verführerisch, da im Bild der unterdrückten muslimischen Frau, wie es eben in Emma gezeigt worden ist, die eigene Emanzipation um so heller erstrahlt. Das ist zwar zunächst einmal enttäuschend, genauso wie es enttäuschend ist, wenn man in der linken Diskussion sieht, wo überall der Rassismus und Sexismus zu finden ist. Da ist jede Gruppe borniert genug, sich auf Kosten anderer zu emanzipieren. Interessant ist, daß es diesen Widerspruch früher schon in der Kolonialgeschichte gab. Es gab seit den zwanziger Jahren internationale Frauenkonferenzen, an denen auch Frauendelegationen aus den kolonisierten Ländern, so aus Ägypten, teilnahmen.6 Sie forderten, daß der Kolonialismus auf die Agenda kommt. Der Anlaß war für die ägyptischen Frauen ein ganz konkreter: Für sie bot sich die Möglichkeit, berufstätig zu werden, fast nur über den Beruf der Lehrerin an, wie in Europa auch. Aber auf diesen Stellen saßen in Ägypten überall die Engländerinnen. Die ägyptischen Frauen wollten sie nun bitten, aus schwesterlicher Solidarität ihnen die Stellen zu überlassen. Aber das Thema ist gleich von der Tagesordnung gestrichen worden, und 1939 wurde eine Resolution verabschiedet, in der das freie Recht der Frauen auf Berufstätigkeit sowohl in den Heimatländern auch als in den Kolonien beschlossen wurde.
Kann man da von einem speziellen feministischen Rassismus sprechen?
Nein, ich würde das eher so formulieren, daß in der Verallgemeinerung der eigenen Emanzipationsvorstellungen die Differenzen zwischen Frauen mehr oder weniger bewußt geleugnet werden und ein solcher Feminismus dann sehr leicht rassistisch benutzt werden kann. Zu unterscheiden ist diese Form des Feminismus jedoch von einem tatsächlich rechten oder rassistischen Feminismus, der bewußt die Machtverhältnisse und die Differenz zwischen den Kulturen zur eigenen Emanzipation nutzt. Ein krasses Beispiel hierfür gab es in der Zeit des Nationalsozialismus. Damals gab es auch Frauen, die innerhalb des Systems die Gleichberechtigung mit den Männern anstrebten. Sie nannten sich »oppositionelle Faschistinnen« und hatten auch eine eigene Zeitschrift, Die deutsche Kämpferin. Darin forderten sie die Gleichstellung mit den »arischen« beziehungsweise »germanischen« Männern, weil auch sie »arischer« Abstammung seien. Bei den Germanen, so ihre Argumentation, seien Männer und Frauen ursprünglich auch gleichberechtigt gewesen. Erst der orientalische Einfluß und die Juden hätten das Patriarchat eingeführt, und erst dadurch seien die Frauen ins zweite Glied zurückgestoßen worden. Hier wird also der Emanzipationsdiskurs explizit mit einem rassistischen verknüpft, so daß man ihn als einen rechten oder rassistischen Feminismus bezeichnen muß. (...)
Welche Konsequenzen muß man aus der Verschränkung zwischen Rassismus und Sexismus ziehen? Wie könnte ein Feminismus aussehen, der sich als antirassistisch begreift?
Ein solcher Feminismus müßte in erster Linie ständig hinterfragen, inwiefern im Zuge der Emanzipation von Frauen nicht neue Dominanzverhältnisse geschaffen werden. Das gilt für rassistische Hierarchien genauso wie für ökonomische, aber andere Diskriminierungsformen wie Behinderung, Alter und so weiter. Der Emanzipationsbegriff steht also immer in der Spannung, einerseits bestimmten Frauen zu mehr Rechten zu verhelfen, dabei aber gleichzeitig andere zurückzulassen. Dieser Widerspruch ist auch nicht aufzulösen, denn im weiten Spektrum des Feminismus werden sowohl die Partialinteressen bestimmter Frauen wie auch die Allgemeininteressen aller Frauen formuliert. Nun besteht die Gefahr, daß sich dieses Spannungsverhältnis in eine Richtung auflöst, zum Beispiel im Sinne eines sogenannten »Power Feminismus«, bei dem es um nichts anders geht als darum, daß Frau möglichst schnell an Macht, Geld und Status kommt. Oder auf der anderen Seite im Sinne eines »Opfer-Feminimus«, der sich nur noch auf die Frauen bezieht, denen es noch schlechter geht. Im Fall des »Power-Feminimus« unterläuft man zunehmend die eigene Argumentationsbasis, die auf den Prinzipien von Gleichheit und Gerechtigkeit basiert, und braucht damit die politischen und moralischen Ressourcen auf. Im Fall des »Opfer-Feminismus« blockiert man sich selbst und gibt somit das eigene Ziel auf. Es geht also darum, das Spannungsverhältnis aufrecht zu erhalten und sich weder von den Grundprinzipien zu verabschieden, noch sich selbst zu blockieren. Ein Feminismus, der sich antirassistisch versteht, muß also versuchen, diese Balance zu halten und gleichzeitig immer wieder die Perspektiven wechseln, ohne den eigenen Standort zu verlieren. Konkret würde das etwa aus Sicht der weißen deutschen Frauen bedeuten, Frauen ethnischer Minderheiten Raum zu geben, sich zu artikulieren und ihnen zuzuhören. Es würde bedeuten, wie im Falle der ethnischen Quotierung, bewußt den Hierarchisierungen in dieser Gesellschaft gegenzusteuern. Und es würde bedeuten, sich selbst immer wieder über die eigene kulturelle Verankerung und deren Dominanzansprüche bewußt zu werden und zu erkennen, wie sehr diese Kultur sich auch im Verständnis von Emanzipation niederschlägt. Die feministische Forschung und Praxis hat gezeigt, wie Diskriminierung sich in allen Lebensformen durchsetzt, nicht nur in Politik, Wissenschaft und Kunst, sondern auch im Alltagsverhalten, wie jemand spricht, was er/sie sagt, in seiner/ihrer Körpersprache und den sozialen Umgangsformen. Feministinnen haben dafür gekämpft, daß Schulbücher umgeschrieben wurden, daß in den Medien der Sexismus bekämpft wird, sie haben sich in alle Debatten eingemischt, weil der Sexismus eben ein alles durchdringendes Phänomen ist. Das gilt ebenso für den Rassismus. Auch er ist nicht nur in der Gesetzgebung, im Wirtschaftsleben und in den Medien präsent, sondern hat sich auch in unsere Gedanken, Gefühle und alltäglichen Verhaltensweisen eingeschrieben. Insofern müssen antirassistische Strategien vielfältig sein und auf jeder Ebene ansetzen.
Weiterführende Literatur: