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[EINE GLOSSE]

Ku-Klux-Kops jagen Schwarze

Gericht entscheidet, dass es mit *unseren* Werten vereinbar ist, solange sie es ehrenamtlich tun.

Schlandine Wolfhardt

2.9.2014, 10 Uhr: Amtsgericht Tiergarten, Raum 863: Genau ein Jahr nach der Tat, stehen vor der Strafrichterin die Polizeibeamten Felix Trautzsch und Tino Prenzel, zwei Stiernacken in hautengen Nadelstreifenhemden.

Es folgen Aussagen der vier Zeug_innen, Kläger Liam G. eingeschlossen. Sie sind so gut wie deckungsgleich: Zwei Deutsche, einer auffällig durch Glatze, Ohrenpiercings, Jeansjacke, und sein Kumpel, rennen um halb sieben in der Frühe über die Wiener Straße in Kreuzberg.

Sie verfolgen einen Schwarzen Mann. Der ruft wiederholt: »Go away, leave me alone.« Die Deutschen sind so betrunken, dass sie immer wieder hinfallen. Sie geben sich zu keiner Zeit als Beamte zu erkennen, dafür aber machen sie laute Affengeräusche: »Uga Uga! Buuuuh!«

Affengeräusche

Der größere Germane hält den Flüchtenden fest, der kleinere tritt immer wieder auf ihn ein mit einer Technik namens »Fußfeger« (Eigenaussage), bringt ihn zu Fall. In ihrem Zustand schaffen es die zwei kompakten Mittzwanziger aber nicht, den Mann festzuhalten.

Viele Passant_innen schauen zu, keine_r greift ein, während die Kameraden den Mann zuerst vor einer geöffneten Kita und dann weiter vor einem Falafel-Imbiss auf der gegenüberliegenden Seite der Ohlauer Straße quälen.

Der Arbeiter Liam G. kommt gerade von einer Baustelle, trägt noch die grüne Latzhose. Er bittet die Schläger, den Mann in Ruhe zu lassen. Als er merkt, dass sie betrunken sind, hält er den aktiveren von hinten fest. Dadurch kann der Geprügelte fliehen. Er bleibt bis heute unauffindbar.

Prenzel und Trautzsch hätten Gelegenheit gehabt, den »Dealer« festzunehmen, wenn sie es denn, wie behauptet, beabsichtigt hätten. Aber sie sind anders motiviert. Ihr Gedächtnisprotokoll benutzt das Schimpfwort »Schwarzafrikaner« im Sinne von »Überreaktion nachsehbar«. So blöd wird aber vielleicht dank Antidiskriminierungstraining bald kein Bulle mehr sein.

Egal ob du vor Gericht »Schwarzer«, »Dunkelhäutiger« oder – O-Ton eines Zeugen (aus Heidelberg!) – »tiefschwarzer Afrikaner« und »gehetztes Reh« (WTF?) genannt wirst… Da hilft kein Workshop.

Ras(s)enkrieg in der Welthauptstadt der Toleranz

Zurück am Tatort: Liam hat die blonden Barbaren um ihre Beute gebracht. Jetzt ist er dran.
Er beschwichtigt immer wieder: »Hört auf! Was soll das?« Als der Glatzköpfige pegelbedingt umkippt und 10 Sekunden ohnmächtig ist, versucht Liam sogar, ihn wieder aufzuwecken.

Mehrere Umstehende rufen die Polizei, so auch eine Erzieherin der Kita, die als Zeugin aussagt. In ihrem Notruf spricht sie von »einem Dealer und zwei Käufern«. Prenzl und Trautzsch ähneln nach fast acht Stunden »Kneipentour, 24 Stunden ohne Schlaf, etlichen Bieren, Jägermeistern und Mexikanern ohne etwas gegessen zu haben« (O-Ton) eher den Junkies vom Kotti als Til Schweiger vom Tatort.

Sie sind nach Aussage mehrerer Zeug_innen »nicht mehr ansprechbar«, ein späterer Blutalkoholtest auf der Wache ergibt 2,0 Promille. In der Verhandlung versuchen die »reuigen« Täter, die Messung strafmildernd einzusetzen. Außerdem behaupten sie in ihrem Geständnis, vorher von einer »Bande Schwarzafrikaner« angegriffen worden zu sein, während sie versucht hätten einen »Drogendealer« festzunehmen, weil dieser ihnen ein Tütchen Gras verkaufen wollte.

Vor Gericht lassen die Täter betonen, dass es ihnen besonders leid täte, ihr Opfer ausgerechnet vor einer Kita verprügelt zu haben. Bis zum Prozess durften sie ihren bewaffneten Dienst einfach fortsetzen.
Ein Zeuge berichtet, irgendwann habe »der Größere« seinen Dienstausweis gezückt und gelallt: »Du störst einen Polizeieinsatz.« Bis dahin hatten sein rosa Freund und er nichts als Grunzgeräusche von sich gegeben.

Dadurch, so der Staatsanwalt, hätte er sich und seinen Kollegen in den Dienst versetzt. Weil die beiden danach weiter auf Liam G. einprügelten, hätten sie sich der Körperverletzung im Amt laut §340 StGB schuldig gemacht. Somit ist die Strafe von vornherein begrenzt, denn im »Volksdienst« ist es halt etwas stressiger. Gefährliche KV bemisst bis zu 10 Jahre Knast, im Amt nur 5. Braucht also ein Bulle, der seine Frau verprügelt, hinterher bloß seinen Ausweis zu zücken und kriegt nur die Hälfte?

Erst nachdem die Streifenpolizei eintrifft, lassen Trautzsch und Prenzel von Liam ab. Die Streife zwingt Liam, seinen Ausweis von der Baustelle zu holen und hält ihn zur weiteren Kontrolle fest, weil sie nicht glaubt, dass er deutscher Staatsbürger ist, und das, obwohl mehrere Zeug_innen bekunden, dass er helfen wollte.

Die zwei Ku-Klux-Cops werden zur Wache chauffiert. In kollegialer Atmosphäre Blutalkohol messen und später ins Krankenhaus, wo ihnen ihre »Verletzungen« attestiert werden – in Vorbereitung auf das Strafverfahren. Eigene Geistesgegenwart oder Kameradschaft?

Die B.Z. titelt am nächsten Tag »Brutale Dealer« und druckt die erlogene Pressemeldung der Polizei. Mehrere Zeug_innen schreiben daraufhin einen offenen Brief mit ihrer Version des Geschehens, drei davon sagen heute vor Gericht aus.

B.Z. titelt »Brutale Dealer«

Liam wird wegen »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte« angezeigt. Die Ermittlungen werden zwar eingestellt, aber die Warnung ist klar. Trotzdem geht er zur Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) und tritt mit ihrer Unterstützung »ehrenamtlich« als Nebenkläger der Staatsanwaltschaft auf.

Anders als die Angeklagten hat er wenig zu gewinnen und viel zu verlieren.

Die Zuschauerbänke sind Nebenbühne: Zahllose Kameraden der Angeklagten, teilweise noch in Kampfuniform, beschlagnahmen sie zum Eierschaukeln. Einer trägt ganz ungeniert linksgegelten Seitenscheitel und ein Heavy-Metal-Fanshirt, dessen flammende SS-Runen genau durch den Reißverschluss seiner Jacke blitzen.

Vor dem Saal komme ich mit einem mutmaßlichen Einsatzleiter ins Gespräch, weil ich sein Telefonat mitschreibe:

»Wir sind hier gerade mit 7 Leute, wir kommen später als erwartet, dann können wir die »Maßnahme« einleiten… Ups, wir werden belauscht!«
»Was für ´ne Maßnahme, geht ihr gemeinsam zum Friseur, eure Blondschöpfe normieren?«
»Du müsstest aber auch mal zum Friseur.«
»Braucht man bei eurer Einheit eigentlich einen speziellen Nachweis? Ihr seid ja noch arischer als Normaldeutsche.«
»Also du würdest nicht reinkommen.«
»Wenn die Aufnahmeprüfung ist, besoffen Fußgänger zu verprügeln, hätt ich sicher keine Chance.«
Die Richterin zeigt sich kollegial, vertagt das Verfahren unnötig. Sie lädt zwei weitere Zeug_innen, obwohl vier passende Zeugenaussagen und Geständnisse beider Täter vorliegen.

Geldstrafe – Nazis bleiben Bullen

Zweiter Verhandlungstag. Die Kameraden von der Wache rempeln sich in den Verhandlungssaal. Die Justizlinge räumen ihren Weg frei. Die Öffentlichkeit ausgesperrt, muss Zeuge Liam G. in einem Saal voll schnaubender Cops sitzen.

Die Richterin hat Mitleid mit ihren »gefallenen« Volkskameraden und verhängt Geldstrafe, das tiefstmögliche Strafmaß für »minderschwere Fälle«: Schlappe 7.500 Euro. Ihre Jobs behalten sie.
Schon wieder eine Steilvorlage des Staatsanwalts: Das Strafmaß, ab dem Beamte ihren Job verlieren, liegt bei zwölf Monaten. Er fordert genau einen Monat weniger – auf Bewährung.

Laut Berichten aus dem Gerichtssaal sind Staatsanwalt, Verteidigung und Richterin sich einig: Dass Rassismus eine Rolle bei dem Angriff auf zwei Schwarze Berliner spielen könnte, sei »absurd.« Auch verbietet die Richterin dem Publikum, Notizen zu machen, vielleicht weil es nach dem ersten Verhandlungstag unangenehme Berichte gab.

So gelangen nur Pressemeldungen an die Öffentlichkeit, welche die einseitige Attacke zur »eskalierenden Situation« erklären und von einem »möglicherweise rassistisch motivierten Angriff« schreiben.

Also großes Lob an die Antidiskriminierungsarbeit: Die Behörden machen Fortschritte in Sachen Rassismus. Während in den Neunzigern noch jugendliches Gesindel Schwarze jagte, erledigen das heute Beamte.            


Weitere Infos

Aufruf der KOP: https://www.kop-berlin.de/veranstaltung/aufruf-zur-prozessbeobachtung-solidaritat-fur-liam-g-im-prozess-gegen-zwei-betrunkene-und-gewalttatige-polizisten
Ziemlich schräger Bericht eines Zeugen: http://www.kontrabass-cello.de/die-weltmusik-der-drogendealer-in-berlin-ein-einblick-in-staatstragende-mechanismen-oder-doch-eher/
Spiegel-Bericht: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/pruegelvorwuerfe-gegen-polizisten-angriff-vor-kita-in-kreuzberg-a-923935.html
B.Z. über »Brutale Dealer«: http://www.bz-berlin.de/artikel-archiv/brutale-dealer
RBB-Bericht zum Prozess: http://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2014/09/prozess-polizeigewalt.html
Berliner Zeitung (größtenteils Pressemitteilung): http://www.berliner-zeitung.de/berlin/goerlitzer-park-polizisten-nach-pruegelattacke-verurteilt,10809148,28497314.html

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