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Das Problem heißt Rassismus

Hogesa, Pegida und die deutsche Linke

Ismail Küpeli

Seit über drei Monaten finden in Deutschland rechte Aufmärsche, vermeintlich gegen »Salafisten« (Hogesa) oder gegen die »Islamisierung Deutschlands« (Pegida) statt. Die deutsche Linke hatte (abgesehen von einzelnen Antifagruppen) die Entstehung dieser Bewegungen weitgehend verpasst und war schockiert. Inzwischen scheint zumindest dieses Problem erkannt zu sein und die rechten Kader und AktivistInnen wurden stärker unter die Lupe genommen.

In Westdeutschland konnten die rechten Mobilisierungen mancherorts etwas eingedämmt werden, so dass die sich offen als Nazis bekennenden weitgehend unter sich bleiben und die rechten »Wutbürger« die Hogesa und Pegida-Aufmärsche hier eher meiden. In Dresden und einigen anderen Städten kann dagegen von Eindämmung überhaupt nicht die Rede sein. Auf einer diskursiven Ebene muss ohnehin leider bereits jetzt konstatiert werden, dass die rechten Aufmärsche die öffentliche Debatte deutlich nach rechts geschoben haben. Bis in Teilen der Linkspartei wird dafür plädiert, die »Ängste und Sorgen der Bevölkerung« (also der Pegida-Mitläufer) ernst zu nehmen – was nichts anderes bedeutet, als auf die rassistischen Forderungen der rechten Akteur_innen einzugehen. Das Gegennarrativ, dass gerade Hogesa und Pegida bei einem Teil der Bevölkerung (z.B. MuslimInnen und denjenigen, die von außen als solche angesehen werden) große Ängste und Sorgen auslösen, konnte sich in der öffentlichen Debatte nicht durchsetzen.

Charlie Hebdo

Während es bis jetzt möglich war, sich über die offiziellen Motive der rechten Akteur_innen lustig zu machen (wie etwa über die Angst vor der »Islamisierung« Dresdens), scheint mit dem Charlie Hebdo-Attentat die Zeit für Witze vorbei zu sein. In seltener Eintracht wird nach Meinungsfreiheit gerufen, die so verstanden wird, dass rassistische Bilder nicht kritisiert werden dürfen. Die Forderungen von Politiker_innen nach repressiven Verschärfungen bleiben weitgehend unwidersprochen. In diesem öffentlichen Klima trauen sich Rechtspopulist_innen einen Schritt weiter zu gehen – selbst die absurde Forderung nach »moslemfreien Fluglinien« wurde bereits aufgestellt. Die Linke hat noch keine Antwort auf die Debatten nach dem Charlie Hebdo-Attentat. Aus der berechtigten Emotion, die Tat selbst und die Täter_innen eindeutig zu verurteilen, wird gefordert, dass – zumindest vorläufig – nicht mehr über den antimuslimischen Rassismus gesprochen werden soll. Dies ist aber fatal, da bei den politischen Konsequenzen, die aus dem Attentat gezogen werden, Rassismus eine zentrale Rolle spielt und spielen wird.

Rassismus in Deutschland, Feindschaft gegen Muslime

Es erscheint absurd, 2015 immer noch betonen zu müssen, dass antimuslimischer Rassismus in Deutschland quer durch alle Bevölkerungsschichten und quer durch politische Selbstzuschreibungen wie links, liberal, rechts oder konservativ anzutreffen ist und dass in der Bevölkerung eine hohe Zustimmung für rassistische Äußerungen, die sich gegen MuslimInnen richten, existiert. Als habe in den letzten zehn Jahren keine Debatte stattgefunden, als seien nicht durch zig Studien konkrete Formen und Ausprägungen von antimuslimischem Rassismus analysiert worden.

Es erscheint auch mühselig – aber leider nach wie vor notwendig – , in Erinnerung zu rufen, dass in Deutschland zahlreiche rechte Aufmärsche gegen Moscheen stattfinden, dass Anschläge gegen Moscheen eher eine Randnotiz in der Lokalpresse sind, dass über »Vorfälle« wie etwa das Aufstellen von Schweineköpfen an muslimischen Einrichtungen kaum noch berichtet wird.

Die Ignoranz gegenüber dem Phänomen des antimuslimischen Rassismus in Deutschland und die Ausblendung der eigenen rassistischen Vorurteile scheinen mir der Schlüssel zu sein, um zweierlei erklären zu können: erstens, warum sich so wenige für die Gegenproteste zur HoGeSa-Demo mobilisieren ließen. Zweitens, warum manche sogar eine Haltung entwickelten, die bisweilen darauf hinauslief, dass es gar nicht so schlimm sei, wenn sich Rechte (Hooligans) mit anderen Rechten (Salafisten) prügeln.

Wer hat das Rederecht?

Was lässt sich dagegen tun, dass die Analyse des antimuslimischen Rassismus wenig wahrgenommen wird und rassistische Angriffe unbeachtet bleiben? Ein erster notwendiger Schritt scheint zu sein, die antirassistisch interessierten Teile der Linken über dessen Ausmaß und Bedeutung zu informieren – auch wenn dies eine sehr mühselige und undankbare Arbeit ist. Das zentrale Problem für diejenigen, die diese Arbeit machen, ist der ständige Kampf gegen Relativierungen, gegen »derailing« von Debatten, gegen das Gegenrechnen (wenn etwa die Taten des Islamischen Staates als Rechtfertigung für »berechtigten« Unmut gegenüber Muslimen aufgeführt werden) und das ständige Ansetzen bei den einfachsten Grundsätzen: Nein, Bürgerrechte gelten auch für konservative und reaktionäre MuslimInnen. Nein, wenn christliche Kirchen in Deutschland anerkannt und unterstützt werden, kann man dies den islamischen Verbänden nicht vorenthalten. Nein, wenn der Islamische Staat in Syrien Menschen hinrichten lässt, ist dies kein Grund, vor hiesigen Moscheen zu demonstrieren.

Wenn erst solche Fragen beantwortet werden müssen, bevor die eigentliche inhaltliche Arbeit beginnen kann, wird die Debatte um antimuslimischen Rassismus in Deutschland nicht vorankommen. Hier tragen diejenigen, die sich als AntirassistInnen verstehen, eine Mitverantwortung dafür, dass der Raum für die inhaltliche Arbeit geschützt wird – indem etwa Wortmeldungen, die die Existenz von antimuslimischem Rassismus in Deutschland bestreiten oder relativieren, deutlich zurückgewiesen werden.

Wesentlich schwieriger als die Information über den gesamtgesellschaftlich verbreiteten antimuslimischen Rassismus ist die Reflexion und Selbstkritik innerhalb der deutschen Linken darüber, inwiefern dieser auch innerhalb der eigenen Szene anzutreffen ist und wo mögliche offene Flanken und blinde Flecken liegen. Zentrale Probleme sind hierbei allerdings gar nicht spezifisch für antimuslimischen Rassismus, sondern betreffen das generelle Verhältnis zwischen der biodeutschen Linken und den Anderen (unabhängig von der konkreten Benennung, ob »AusländerIn«,»MigrantIn« oder »nichtdeutsch«), insbesondere das Verhältnis zur »nichtdeutschen« Linken.

Nach wie vor wähnt sich die biodeutsche Linke in einer Position, aus der heraus sie die gesellschaftlichen Verhältnisse beobachten und die richtigen politischen Organisationsformen und Forderungen aufstellen kann. Der Satz »Wir brauchen euren Mut, wie ihr unsere Klugheit braucht«, gerichtet von deutschen Autonomen an die türkisch-kurdische Antifasist Gençlik, ist über 20 Jahre alt – die Haltung dahinter ist jedoch leider nicht gänzlich verschwunden. Der Anspruch auf politische Führungskraft und die Haltung, die »Nichtdeutschen« als bloßes Mobilisierungspotenzial anzusehen, ist immer noch oft anzutreffen.

Erst wenn dieses Verhältnis bewusst gemacht und zurückgewiesen wird, kann eine nachhaltige Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus innerhalb der deutschen Linken beginnen. Bis dahin wird es kaum zu vermeiden sein, dass beim nächsten rechten Aufmarsch gegen Moscheen, beim nächsten Sarrazin-Buch, beim nächsten antimuslimischen Medienhype wieder darüber diskutiert wird, ob und wie sich die deutsche Linke dazu verhalten wird – nur um nach kurzer Zeit die Debatte wieder ad acta zu legen.

Infos zum Autor

Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler, Aktivist und Autor. Er beschäftigt sich mit der autoritären Entwicklung in der Türkei unter der AKP-Regierung und der Politik des türkischen Staates gegenüber der kurdischen Bevölkerung.

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