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Harte Nüsse

Das Zentralorgan nimmt nach seiner XIII. Sitzung Stellung

ZAG

Da wird die ZAG 66 in der Konkret November 2014 erwähnt, was uns freut, uns jedoch auch gleich zum Widerspruch herausfordert. Wir dachten schon, die ZAG würde nicht gelesen, doch eine kritische Erwähnung im Artikel »Der Kern der Sache« von Justin Monday ist uns Anlass für eine Replik – und eine ernsthafte Diskussion.

Zum Anfang eine Richtigstellung: Es ehrt uns, als Organ der autonomen antirassistischen Szene betrachtet zu werden, aber wir sind viel weniger als ihr Zentralorgan. Wir sind nur eine Publikation unter vielen. Es gibt bekanntere wie AIB, Phase 2, Arranca, AK, Lotta, Hinterland und und und. Tatsächlich ist die ZAG heute die einzige Zeitschrift, die dezidiert als antirassistische Zeitschrift firmiert, nachdem einige andere verdiente Publikationen wie Off Limits oder Morgengrauen eingestellt wurden. Das macht die ZAG sicher besonders.

Im Gegensatz zur üblichen Redaktionsarbeit halten wir einen offenen und pluralen Ansatz für wichtig. Die veröffentlichten Texte sollen das breite Spektrum des Antirassismus darstellen. Selbst in unserer kleinen Redaktionsgruppe gehen die politischen und theoretischen Ansichten weit auseinander. Ein Nenner ist allerdings die Überzeugung, dass Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Wir müssen nicht der Meinung der Autor_innen sein, um sie zu veröffentlichen. Die Beurteilung der Texte überlassen wir den Lesenden. Justin Monday hingegen fehlten unser Widerspruch und Klarstellungen durch die Redaktion zu den veröffentlichten Texten in der ZAG. Aber: Es wäre nicht nur ungewöhnlich, sondern: Wir müssen es nicht machen.

Von Schalentieren und Hülsenfrüchten

Nun kritisiert der Artikel »Der Kern der Sache«, dass innerhalb der Linken die Fähigkeit schwinde, Rassismus zu erkennen. So würde im Zusammenhang mit der Unterbringung von Geflüchteten verschwiegen, dass diese im Unterschied zu Obdachlosen und Hartz-IV EmpfängerInnen, rassistisch ausgegrenzt seien. Der auch für die Geflüchteten verwendete Begriff der »sozial Schwachen« würde diesen Unterschied verdecken.

»Mit Vorstellungen wie dieser verschließt die Linke die Augen vor dem Staatsvolk, das sich auf seine rassistische Differenz etwas einbildet und aus ihr Anspruch auf Stütze und Identität bezieht. Auch letzteres darf in antirassistischen Zeitungen offenbar nicht mehr geschrieben werden, weswegen das R-Wort auch hier lieber gemieden wird.«

Ebenso weise die Rede von diffusen Ängsten gegenüber Fremden in diese Richtung, da sie Rassismus auf Rechtsextreme reduziere und so die rassistische Bevölkerung entlaste. Im Gegensatz hierzu sei klarzustellen, dass Rassismus zu ihrer Subjektkonstitution beitrage. Als dritte vergessene These des »autonomen Antirassismus« wird genannt, dass Fluchtgründe keine Rolle spielen sollten, da in einer rassistisch hierarchisierten Welt die Gründe miteinander untrennbar verschränkt wären, man demnach nicht nach guten oder schlechten, wirtschaftlichen oder politischen Fluchtgründen unterscheiden könnte. Dies würde aber durch die aktuellen politischen Mobilisierungen der bzw. für die Geflüchteten nicht mehr beachtet und stattdessen versucht, die Rechte der Geflüchteten politisch anschlussfähig zu legitimieren.

Monday sieht in dem von ihm festgestellten »Rollback auch des Antirassismus« das Bedürfnis, linke Politik »auf die Analyse und die Beteiligung an Interessenkämpfen zu reduzieren und grundlegende Mechanismen der Herrschaft zu ignorieren.« Denn die »Quintessenz der autonom antirassistischen Debatten war die Einsicht, dass Rassismus einer eigenen Dynamik folgt, die der Bildung von Identität dient.« Rassismus ist nach Monday eine der Formen, in denen Herrschaft ausgeübt wird. Der Kern des Rassismus ist die Identitätsbildung und deshalb soll der Kern des Antirassismus' Identitätspolitik sein.

Die Kritik an den Texten ist nachvollziehbar, die Behauptung eines politischen Rollbacks allerdings nicht. Denn mag man auch den damaligen autonomen Antirassismus als Avantgarde betrachten, so war die bundesdeutsche Gesellschaft davon kaum beeindruckt.

Doppler Effekt

In seinem Text »Die doppelte Natur des Rassismus« geht es Monday darum, Rassismus als eigenständiges Herrschaftsverhältnis zu behaupten. Das Problem sei nun, dass die antirassistische Rassismustheorie wie auch der Rassismus durch zwei Aspekte geprägt seien, die in der Regel nicht reflektiert würden. Die Rassismusbegriffe würden zwischen verschiedene Relationen oszillieren, von Selbstbild und Fremdbild über Geist und Natur hin zu exkludierender und inkludierender Wirkung des Rassismus. Je nach Perspektive kommen unterschiedliche Definitionen zustande. »Die antirassistische Rassismustheorie behilft sich gegen diese Widersprüche entweder mit der Ansicht, dass es eben nicht den Rassismus, sondern Rassismen gebe, oder aber mit einer leeren, additiven soziologischen Begriffsbildung.« Monday bemängelt das Fehlen der Erkenntnis, dass es »in der Praxis um vom Rassismus beschädigte Subjekte geht, denen die Möglichkeit verstellt ist, die von ihnen gemachten Erfahrungen gesellschaftlich gültig zum Ausdruck zu bringen.«

So kritisiert er mit großer Verve gängige Rassismustheorien und -begriffe, und führt, ohne dies weiter klarzustellen, gleich einen neuen an ihre Stelle. Was aber soll uns an diesem besonders überzeugen? Es ist als ob ein Schnellzug an einem vorbeirauscht, das Bild bleibt unscharf und die Schallfrequenz verändert sich.

Aus alt mach neu

Es ist spannend, in diesem Text von 2014 alte Artikel aus der ZAG von 1995 wiederzuentdecken. Doch werden diese Texte und die ZAG als das Kernstück des autonomen Antirassismus präsentiert. Können sie das sein? Nein, aber über die Thesen und die Haltung lässt sich zumindest streiten. Dann aber ist die hier vorgelegte Deutung doch ein wenig zu post-irgendwas und überflügelt die in ihnen ausgedrückte Haltung durch ihre Krönung als Kern autonomer antirassistischer Praxis.

Die im Text behauptete verschwindende Fähigkeit der Linken, Rassismus zu erkennen, scheint für Monday in einem unangemessenen Rassismusverständnis begründet zu sein, das die beschädigten Subjekte nicht in den Blick bekommt, die Rolle der Identitätsbildung vernachlässigt und sich über die eigenen Voraussetzungen nicht im Klaren sei. Nun ist gerade dies selbst eine Fassung von Rassismus, die vieles offen und zugleich kaum Platz für die Fragen von Herrschaft, Interessen, Bewusstseinsformen und Repräsentationen lässt. Doch, und das ist der Grund für diese Replik, wir sollten uns über unsere Vorstellungen von Rassismus Rechenschaft ablegen, was einzelne Begriffe und Theorien leisten können und wann sie Geltung haben. Worin wir uns einig zu sein scheinen: Rassismus besitzt eine eigene Dynamik, die nur unzulänglich in Form von Manipulation oder Legitimation von Herrschaft zu verstehen ist. Rassismus ist selbst gemacht.

Die kurze Version: Auch 1995 ging es um Kämpfe, in denen Interessen artikuliert wurden und es ging um den Rassismus in einer rassistischen Gesellschaft. Doch die ZAG als Zentralorgan wird sich hüten, irgendeine Identität vorzugeben – auch nicht für eine autonome antirassistische Linke.

Quellen:

»Kern der Sache. Innerhalb der Linken schwindet die Fähigkeit, Rassismus wenigstens noch zu erkennen«, von: Justin Monday, in: Konkret, 11/2014, S. 14-15.
»Die doppelte Natur des Rassismus. Über den Mythos der Gesellschaft in der Krise«, von: Justin Monday, in: Jungle World Nr. 30, 25. Juli 2013.

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