Das staatliche Migrationsregime unterdrückt die selbstbestimmte Mobilität und legalisiert nur bestimmte Formen der hochqualifizierten Arbeitsmigration. Aber die Bewegung der Flüchtlinge lässt sich nicht aufhalten. Ihre Aktionen und Proteste in Deutschland und Österreich zeigen: Flüchtlinge sind keine Bittsteller*innen, sie befreien sich aus der ihnen durch die Asyl- und Ausländer*innengesetzgebung aufgezwungene Untätigkeit und Isolation. Sie sind nicht still, sie sind kaum zu überhören, organisieren und vernetzen sich. Sie machen mit ihrem Camp wie z.B. auf dem Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg deutlich, dass ihnen Rechte vorenthalten werden. Sie machen deutlich, dass Flüchtlingsunterkünfte am Stadtrand und Residenzpflicht sie nicht daran hindern politisch gegen diese Entmündigung vorzugehen (siehe das Interview mit Victor #). Die Situation von Frauen in den Flüchtlingsunterkünften wird von »Women in Exile« besonders thematisiert (Siehe Aufruf und Lindenberg in diesem Heft).1) Flüchtlingsbewegungen in diesem Sinne sind politische und soziale Bewegungen, die es zu unterstützen gilt.
Dennoch ist entgegen der öffentlichen Resonanz der Proteste die Reaktion von Parteien und Regierungsseite abwartend bis abwehrend. Die Rede ist weiterhin von Abschottung, von sogenannten Armutsflüchtlingen außer- als auch innerhalb der EU. Die Antwort auf die Flüchtlinge und Toten vor Lampedusa, Gibraltar oder in der Ägäis ist nach wie vor: Mehr Härte, Beschränkung der Freizügigkeit innerhalb der EU und Verhandlungen über die Zurückweisung von Flüchtlingen in die Türkei sowie in nord- und westafrikanische Staaten.
Dieses Heft berichtet über diese staatliche Flüchtlingspolitik vor allem in Europa, die die räumliche Bewegung von Menschen über Grenzen hinweg zu unterbinden sucht und den rassistischen Mob. (Siehe die Beiträge von Pelzer sowie die PM zu Malta in dieser Ausgabe). Dass dieses staatliche Handeln nicht allein ein europäisches Phänomen ist, zeigt Peter Mares anschaulich in seiner Darstellung der australischen Flüchtlingspolitik, die dort anderen Staaten als Problem aufgelastet wird. Für den Fall Russlands beschreiben Ute Weinmann und Ulrich Heyden, wie dort Flüchtlingspolitik von faschistischen und nationalistischen Parteien Hand in Hand gehen mit der Verfolgung und Drangsalierung von Nicht-Russen durch die Polizei.
Zwar wurde einigen wenigen syrischen Flüchtlingen angesichts der Millionen Menschen in Flüchtlingslagern in der Türkei, im Libanon und Jordanien ein Türchen nach Europa geöffnet. Den Flüchtlingen, die über andere Wege nach Europa vor nicht minder miserablen Verhältnissen fliehen, wird dieser Zugang aber durch neue Grenzüberwachungen im Rahmen von Frontex verwehrt. Willkommen sind die syrischen Flüchtlinge auch erst, nachdem der internationale Druck groß genug geworden war. Doch in vielen Kommunen wächst der Widerstand, Flüchtlinge und EU-Inländer*innen angemessen aufzunehmen. So gingen die Volksvertreter*innen im Ort Bremgarten, im Schweizer Kanton Aargau so weit, Flüchtlingen den Aufenthalt in bestimmten Zonen zu verbieten (Birgit Maier in diesem Heft).
In Schneeberg, Berlin-Hellersdorf oder Duisburg werden Flüchtlinge bedroht. Rassist*innen, dominiert von NPD-Kadern, marschieren vor Sammelunterkünften auf und stellen nicht nur das Recht auf Asyl in Frage, sondern bedrohen die Sicherheit der in Deutschland schutzsuchenden Menschen (siehe den Beitrag von Bente Giesselmann). Man kann dies als Strategie der Rechten verstehen, Aufmerksamkeit zu erlangen und Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Oder aber es ist der rassistische Normalfall, der diesen Mob trägt und vor Ort Unterstützung finden lässt. Die Bedeutung dieser Ereignisse für antirassistische Politik wollen wir im nächsten Heft nachgehen (Siehe Call Nr. 66).
FUßNOTE:
1) Geplant war ein Schwerpunkt zum Thema Frauenflüchtlingsbewegungen. Leider ist es uns nicht gelungen, genügend Artikel zu diesem speziellen Thema einzuwerben.