Dieses kleine Buch enthält die deutsche Übersetzung zweier Texte, die bedeutsam sind für die neuere, radikale afroamerikanische Bewegung, weil sie das Konzept der Black Autonomy begründen. Mit diesem Konzept versuchen Greg Jackson und das Black Autonomy Collective die Ideen des Anarchismus und die Erfahrungen des revolutionären, schwarzen Nationalismus zusammen zu denken. Klingt widersprüchlich, ist aber eine in den Texten gut belegte Konsequenz der kritischen Auseinandersetzung – auf der einen Seite – mit der Dominanz von Weißen in der US-amerikanischen anarchistischen Szene bzw. Linken allgemein und – auf der anderen Seite – mit der Fixierung auf einen schwarzen Staat und der teilweise essentialistischen und autoritären Politik schwarzer NationalistInnen. Black Autonomy bedeutet also Selbstbestimmung der schwarzen Communities, jenseits von Vereinnahmung durch weiße AktivistInnen, aber auch schwarze AvantgardistInnen, und ein politischer Kampf, der die Verknüpfung von Klasse und »Rasse« thematisiert.
In Bezug auf Critical Whiteness ist vor allem der Text Autoritäre Linke: Bringt den Bullen in eurem Kopf um! interessant. In diesem übt Greg Jackson harte Kritik an weißen, vor allem autoritären, Linken in den USA: »Anstatt euch um wirkliche Verbindungen mit nicht-weißen Personen und Gruppen zu bemühen, versucht ihr, KonvertitInnen für eure rigiden Parteitheologien zu gewinnen, um diese dann ›Einheit‹ zu nennen.« Die weiße Linke rücke die gemeinsame Unterdrückung als »ArbeiterInnenklasse in den Vordergrund und versuche so afroamerikanische AktivistInnen zu vereinnahmen. Dabei ignorieren sie aber, so Greg Jackson, dass nicht-weiße ArbeiterInnen »überausgebeutet« werden, weil sie sowohl aufgrund ihrer Klasse als auch ihrer »Rasse« Diskriminierung ausgesetzt sind. Gleichzeitig verschweigen sie, dass sie als Weiße selbst von der White Supremacy, der weißen Vorherrschaft in der US-amerikanischen Gesellschaft, profitieren. Bevor es zu einer »echten« Zusammenarbeit von weißen und schwarzen Linken kommen könne, müssten erstere zunächst selbstkritische ihre eigenen Privilegien als Weiße und die Verwurzelung von Teilen ihrer politischen Theorie und Praxis in der »Siedler- und Erobererkultur« hinterfragen.
Das Buch enthält des Weiteren ein Interview mit Greg Jackson, in dem er zunächst von seiner Jugend erzählt, wie er politisiert wurde und schließlich mit anarchistischen Ideen in Kontakt kam. Im weiteren Verlauf geht es vor allem um die verschiedenen politischen Gruppen, in denen er aktiv war und gibt so einen guten Einblick in Black-Autonomy-Bewegung.
Abgerundet wird das ganze durch eine Einleitung von Gabriel Kuhn, in der er die Bedeutung des Konzepts der Black Autonomy mit Bezug auf den aktuellen politischen Kontext herausstellt, und einem Anhang mit einer Selbstdarstellung der Federation of Black Community Partisans, einer der Black-Autonomy-Gruppen, in denen Greg Jackson aktiv war und welche die weitere Theorie und Praxis in dieser Bewegung maßgeblich mit beeinflusst hat.
Insgesamt gibt das Buch einen guten Einblick in eine aktuelle Debatte der antiautoritären, schwarzen Linken in den USA. Bedeutsam ist der Black-Autonomy-Ansatz auch über diese Bewegung hinaus, wie Gabriel Kuhn schreibt, weil es bisher noch keine Versuche gab, anarchistische Ideen mit schwarzem, revolutionärem Nationalismus zu verknüpfen. Die damit verbundene Kritik an weißen Linken und AktivistInnen ist dabei nicht ganz neu. In ähnlicher Form haben z.B. Frauen des globalen Südens westliche Feministinnen dafür kritisiert, sich als Vertreterinnen aller Frauen auszugeben und nicht-weiße Frauen zu vereinnahmen. Auch in dieser Kritik wurde Eindimensionalität hinterfragt und darauf verweisen, dass es neben der Unterdrückung auf der Ebene des Geschlechts, auch noch die Dimensionen Klasse und regionale bzw. ethnisierte Herkunft gibt. In diesem Buch wird am Beispiel der Kritik an der eindimensionalen Fokussierung der weißen, US-amerikanischen Linken nochmal deutlich, wie aktuell einerseits ein intersektionaler Ansatz bei der Analyse gesellschaftlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse ist. Andererseits verweist es darauf, wie wichtig es ist, dass auch in Deutschland weiße AktivistInnen selbstkritisch ihre Theorie und Praxis hinterfragen, um die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit nicht-weißen AktivistInnen zu schaffen.