Demografische Krise, Eurokrise, Bildungskrise, Integrationskrise, Geschlechterkrise... Man möchte meinen, das Ende naht. Egal ob Neue Rechte oder Burschenschafter, ob Focus oder Junge Freiheit, ob Hans-Olaf Henkel oder Thilo Sarrazin: Die rechten Männer fühlen sich von einer um sich greifenden „Krise“ bedroht. Dabei handelt es sich auch um eine „Krise“ von Männlichkeit, deren rhetorische Konstruktion und wiederholte Anrufung nicht nur der Souveränisierung eines neu-alten rechten Politiker-Typus‘ dient, sondern ebenso zur Stabilisierung des hegemonialen Männlichkeitsentwurfs führt, der die patriarchalen Pfründe sichern soll. Das monotone Herbeireden der großen „Krise“ dient folglich der rechten Selbstvergewisserung der Notwendigkeit eines charismatischen Führers.
Das Phänomen „Krise“ scheint modernen Gesellschaften quasi strukturimmanent. Ohne geht es nicht! Dies wird umso deutlicher, betrachten wir die sogenannte „Krise der Männlichkeit“ etwas genauer: Folgen wir der Geschichtsschreibung, treibt Männlichkeit seit Jahrhunderten von einer „Krise“ zur nächsten. Ein solches Bild geht von einer essentiellen Männlichkeit in einem kohärenten, starren Geschlechtersystem aus. Es wird suggeriert, dass es eine „authentische“ und erhaltenswerte Männlichkeit gäbe, die durch eine „Krise“ zerstört würde. Dies ist mitnichten der Fall. Männlichkeit ist kein System. „Männlichkeit ist“, in den Worten Raewyn Connells, „eine Konfiguration von Praxis innerhalb eines Systems von Geschlechterverhältnissen.“ (2006: 105) Zwar hat es in der Vergangenheit durchaus Erschütterungen und Transformationen von Männlichkeit gegeben, doch bewirkten Krisen darin genauso oft die hegemonial-männliche Re-Souveränisierung.
So sind es bisweilen weiße, oft christliche, heterosexuelle Männer, die das Klagen von der „Krise“ nicht lassen können: Infolge des Zusammenbruchs der „Legitimation der patriarchalen Macht“ (Ebd.: 106) haben viele Männer in der Tat das Gefühl, ihre Männlichkeit neu behaupten zu müssen. So wird eine lange Phase stabiler und aufgrund dessen nicht verhandelter Männlichkeit plötzlich thematisiert und scheinbar in Frage gestellt. Diese Männer werden „sich utopischen Veränderungen widersetzen und den Status Quo verteidigen“ (Ebd.: 223), konstatiert Connell. Die traditionellen Männergemeinschaften haben, so Michael Meuser, „entscheidenden Anteil daran, daß sich trotz der Transformation der Geschlechterordnung und der wachsenden Kritik an männlichen Hegemonieansprüchen bislang keine generelle Krise des Mannes entwickelt hat.“ (Meuser 2003: 88) Das ganze Krisengerede dient vielmehr der Abgrenzung gegenüber Frauen und anderen subordinierten oder marginalisierten Männlichkeiten sowie der Aufrechterhaltung „exklusiv-männlicher Sphären […].“ (Ebd.: 84)
Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz verwerfen den Begriff der „Krise der Männlichkeit“ als historische Realität und sehen „Krise“ stattdessen als Quellenbegriff (2008: 68ff.). Es geht also darum, den Begriff „Krise“ – auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht um Geschlechterkrisen, sondern um ökonomische oder gesellschaftliche Krisenerscheinungen handelt – gegen den Strich zu lesen und ihn als Instrument der performativen Stabilisierung und Destabilisierung von Männlichkeiten zu begreifen. Zwei Beispiele verdeutlichen das:
„[D]er lebenslange Bürokrat und Zahlenmensch Thilo Sarrazin“ (Lucke 2012: 317) vermag diese heroische Form hegemonialer Männlichkeit nicht zu verkörpern. Das ist auch gar nicht sein Job, fungiert er doch als „Tabubrecher“, der uns – gegen jede „Political Correctness“ – die „Krise“ vor Augen führt. Zur Demografie-Debatte sagt er: „Vernünftig diskutiert haben wir über die demographische Entwicklung in Deutschland in den letzten 45 Jahren nicht. Wer nicht im Strom der Beschwichtiger und Verharmloser schwamm, wer sich gar besorgt zeigte, der musste bald frustriert erkennen, dass er alleine stand, und nicht selten fand er sich in die völkische Ecke gestellt.“ (Sarrazin 2010: 8) Und in dieser Schmuddelecke möchte Sarrazin nicht sein. Tatsächlich befindet er sich mit seinen sozialchauvinistischen Äußerungen in „guter Gesellschaft“: Peter Sloterdijk stimmte in das biologistisch-deterministische Konzert ein und mimte „den Sarrazin des Bildungsbürgers.“ (Lucke 2010: 260) Und Bundesaußenminister Guido Westerwelle echauffierte sich über die „spätrömische Dekadenz“ von Hartz-IV-Empfänger_innen. Doch im „grassierenden Jargon der Ungleichheit“ (Ebd.: 258) in Teilen der bürgerlichen „Mitte“ zeigt sich nicht nur die Abwehr gegen eine solidarische Gesellschaft, sondern ebenso das elitäre Gehabe des männlichen „Machers“, der „seines eigenen Glückes Schmied“ ist. So ist der gesellschaftliche Ungleichheitsdiskurs nicht nur rassistisch und armenfeindlich, sondern gleichsam geschlechtlich markiert, mithin sexistisch und frauenfeindlich. Denn die Bürger-Männlichkeit fürchtet um die patriarchalen Pfründe – die Vorherrschaft in Familie, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kultur. Abhängig ist die Stärke der eigenen Männlichkeit auch von der Souveränität der Nation. Die vermeintliche Bedrohung des Vaterlandes durch EU, Globalisierungseffekte, Einwanderung oder „Islamisierung“ wird von den rechten Männern als unmittelbare Gefährdung der eigenen Männlichkeit wahrgenommen. In einem „Kampf der Kulturen“ sei der Mann der Schlüssel zur Bewahrung des „Abendlandes“ vor dem Untergang. Und diese Erkenntnis wird auch von den meist ebenso männlichen Sarrazin-Kritikern vergessen.
Im Zuge der Eurokrise werden die Rufe nach einer Anti-Euro-Partei immer lauter. Und die Rufer sind ebenso prominent wie der Berliner Ex-Senator: Neben Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel wünscht sich der neurechte Wirtschaftswissenschaftler Max Otte eine solche. Der gescheiterte Minister Karl-Theodor zu Guttenberg will auch nicht ewig in der CSU bleiben. Eine „Guttenberg-Partei“ hätte laut Umfragen gute Chancen, in den bayrischen Landtag einzuziehen.
Bisher bleibt die Anti-Euro-Partei jedoch ein Gespenst: Die Mitgliederbefragung, mit der FDP-Hinterbänkler Frank Schäffler die Zustimmung seiner Partei für den europäischen Rettungsschirm ESM verhindern wollte, ist gescheitert. Vorzeitig beendet ist – durch das Scheitern der Mitgliederbefragung zum europäischen Rettungsschirm ESM – die Rückkehr der am Boden liegenden Liberalen als euroskeptische Partei. Von den rechtspopulistischen Formationen Pro Deutschland und Die Freiheit ist auch nichts zu erwarten. Beide versagten bei der Berlin-Wahl 2011 kläglich und fristen ein kümmerliches Dasein. Die Freien Wähler, die 2009 gar nicht erst zur Bundestagswahl antraten, wollen sich bis 2013 als das rechte Pendant zur Piratenpartei etablieren und können dabei auf die Unterstützung von Henkel hoffen.
Trotzdem steht und fällt der Erfolg einer rechtspopulistischen Partei mit dem Engagement einer charismatischen Führungsfigur. Und obwohl immer wieder rechtslastige Männer wie Friedrich Merz, Wolfgang Clement oder eben Henkel ins Gespräch gebracht werden, weiß man auch bei der neurechten Zeitung Junge Freiheit, dass ohne einen „ernstzunehmende[n] Kopf“ keine Anti-Euro-Partei zu machen ist: „Eine kopflose Partei wurde noch nie geboren.“ (JF 50/11)
Prototyp des charismatischen, jugendlich und geradezu spitzbubenhaft wirkenden Parteiführers war Jörg Haider, der die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) zu ihren größten Erfolgen führte. In den Niederlanden sorgte ein Pim Fortuyn für Furor, bevor der eloquente Blondschopf Geert Wilders einen wahren Hype um seine Person entfachen konnte. Ein Ronald Schill, der sich in Hamburg einen Ruf als „Richter Gnadenlos“ erarbeitete und dessen Partei Rechtsstaatliche Offensive (PRO) 2001 mit der hanseatischen CDU koalierte, zeigt, dass rechtspopulistische Parteien durchaus auch in Deutschland Erfolg haben können. Eine solche „Lichtgestalt“ fehlt in Deutschland derzeit.
Wie soll der Mann also aussehen, der Deutschland vor dem Merkelschen „Ausverkauf des Nationalstaats“ rettet? Das rechte Männerbild ist ein leibliches: Männlichkeit wird über den Körper als eine Art Festplatte hergestellt, wie zwei Beispiele zeigen:
I. Auf einer Kundgebung der antimuslimischen Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) für den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders im April 2010 erklärt Marc Doll, derzeit stellvertretender Vorsitzender bei Die Freiheit: „Ich steh' also hier nicht als Funktionsträger von der CDU. Deshalb zieh' ich jetz' auch am besten meine Politikerkluft aus, um das auch hier bißchen bildlich darzulegen. Ich steh' hier als einfacher Bürger, als einfacher besorgter Bürger. Besorgt, so wie ihr es auch seid.“ (Youtube-Video) Daraufhin zieht der Redner theatralisch sein Sakko aus und wirft es beiseite.
II. Der ehemalige brandenburgische Innenminister und CDU-Rechtsaußen Jörg Schönbohm rekurrierte schon 2009 im Angesicht der Weltwirtschaftskrise auf Winston Churchills Worte und erklärte: „Wir brauchen Blut, Schweiß und Tränen, um aus der Krise zu kommen.“ (JF 26/09)
Die Performance rechtspopulistischer Männer weckt Assoziationen und möchte Glauben machen: Wir hätten es mit einem einfachen Bürger zu tun – „wie du und ich“ –, der „jetzt endlich mal“ ausspricht, was sowieso alle denken würden. Gerade die rechtspopulistischen Organisationen Pro Köln, Pro NRW, Pro Deutschland und Die Freiheit, aber eben auch konservative und liberale Akteure gerieren sich immer wieder als Sprachrohr des „kleinen Mannes“.
Die rechtspopulistischen Männer wollen sich weder mit demokratischen „Parteibonzen“ noch mit extrem rechten „Polit-Soldaten“ vergleichen lassen. Sie wollen nicht als hochgestochen daherredende „Schwätzer“ verstanden werden, sondern als einfache Mittelstands-Vertreter, die das „Schweigekartell“ der „Political Correctness“ durchbrechen. Man müsse sie nur mal „ans Ruder“ lassen. So wird auf der einen Seite ein abzulehnendes Bild vom „verweichlichten“ Berufspolitiker gezeichnet. Auf der anderen Seite ist da der Nicht-Politiker, der eben macht. Er ist der wahre Volksvertreter. Doch ist hier nicht die Rede von einer parlamentarischen Demokratie, in der verschiedene Parteien um die Gunst der Wähler_innen buhlen. Denn ein „Volk“ kann es in einer Demokratie nicht geben. Dort gibt es nur die Masse: Diese sei undifferenziert und wankelmütig, dumpf, dumm und tot. Es geht also um einen Anführer des Souveräns, um einen Erlöser aus der „Krise“. Um die Nation zu retten, bedürfe es einer Elite – aber nicht irgendeiner: Die rechtspopulistischen Führer sind die „Helden“ von heute. In ihren persönlichen Vorstellungen auf der Freiheit-Homepage nannten die Mitglieder des Bundesvorstands auf die Frage nach ihren politischen Vorbildern ausschließlich männliche Personen: Winston Churchill, Rudolph Giuliani, Helmut Schmidt, Ludwig Erhardt. Als Christian Wulff 2010 zum neuen Bundespräsidenten gewählt wurde, reagierte ein Leserbriefschreiber in der Jungen Freiheit empört: Während den anderen Kandidaten Joachim Gauck neben Eigenschaften wie „Freiheit, Gradlinigkeit, Antitotalitarismus“ auch „Überparteilichkeit, Lebenserfahrung und Weisheit“ auszeichneten, würden derlei Tugenden „vielleicht noch nicht einmal zu seinem Wortschatz gehören. Der Presse fallen zu ihm auch keine besseren Bezeichnungen ein als Karrierist, Autist und Systemmensch.“ (JF 29/10) Den Politikern, die verehrt werden, weil sie sagen, was sie denken, Tabus brechen und sich nicht anpassen, dafür aber heroisch sind und geschmäht werden, wird der westliche „Typ von Politikern“ (JF 05/04) gegenübergestellt. Bei diesem wiederum handele es sich um „stromlinienförmige, zumeist jüngere Herren (und Damen), die sehr schnell die politisch korrekten Vokabeln gelernt haben und die verstehen, daß man sich den großmächtigen Apparaturen anpassen (und unterwerfen) muß.“ (Ebd.) Dieser Politiker-Typus ist unmännlich, zumal sich darunter auch Frauen befinden.
Literatur:
Connell, Robert W. (2006): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden
Lucke, Albrecht von (2010): Eindringende Eiszeiten. Der neue Jargon der Verachtung, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Deutsche Zustände. Folge 9. Frankfurt am Main, S. 257-266
Lucke, Albrecht von (2012): Populismus schwer gemacht. Die Dialektik des Tabubruchs und wie ihr zu begegnen wäre, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Deutsche Zustände. Folge 10, Frankfurt am Main, S. 310-320
Martschukat, Jürgen/Stieglitz, Olaf (2008): Geschichte der Männlichkeiten. Frankfurt am Main
Meuser, Michael (2003): Wettbewerb und Solidarität. Zur Konstruktion von Männlichkeit in Männergemeinschaften, in: von Arx, Silvia et.al (Hrsg.): Koordinaten der Männlichkeit. Orientierungsversuche, Tübingen, S. 83-98
Sarrazin, Thilo (2010): Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. 13. Auflage. München