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Der Diskurs der Eliten und die Reproduktion des Rassismus

Teun van Dijk, Universität „Pompeu Fabra“ Barcelona

Übersetzt und bearbeitet von Jana Seppelt

Teun van Dijk untersucht in diesem Text Diskurse der Eliten über sogenannte „ethnische Angelegenheiten“, ethnical affairs in den Massenmedien, in der Erziehung und Bildung, in der Politik und in der Wirtschaft mit dem Ziel, inhärenten institutionellen Rassismus zu „entlarven“. Sein Text stammt ursprünglich aus dem Jahr 1990 und wurde bereits in mehrere Sprachen übersetzt. Hier erscheint er in einer gekürzten Version. Vorab möchten wir Begriffe klären und van Dijks Vorannahmen verdeutlichen:

Viele Elemente des gängigen Rassismus in der Bevölkerung sind auf eine scheinbar indirekte, subtile oder sogar „tolerante“ Art von den Eliten in der Gesellschaft „vorformuliert“. Da Eliten gleichzeitig ihr positives Selbstbild als tolerante Bürger pflegen, verleugnen sie den eigenen Rassismus. Eine der gängigen Strategien der Verleugnung ist es, Rassismus generell der weißen „Unterschicht“ oder der extremen Rechten zuzuschreiben.

Der Mediendiskurs

Die Massenmedien spielen eine zentrale Rolle in der Reproduktion von Rassismus. Dabei sind Zeitungen und Fernsehen sowie individuelle Journalisten und Programmdirektoren in der Darstellung von „ethnischen“ Themen teilweise von anderen gesellschaftlichen Eliten abhängig: Auch wenn sie versuchen, objektiv über Regierungspolitik, Polizeiaktionen, Gerichtsverfahren, Sozialpolitik, Zuwanderung oder Kriminalität zu berichten, sind sie abhängig von Quellen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Damit erliegen sie häufig der Illusion, eine ausgewogene Sicht auf ethnische Angelegenheiten zu liefern.

Ein Weg, die migrantische Sichtweise zu kontrollieren, ist über Einstellungspolitik. Wie Unternehmen oder staatliche Organisationen sind auch die Massenmedien Teil des Arbeitsmarktes. Besonders in Europa beschäftigt kein einziges Medienunternehmen eine größere Anzahl von Journalisten, die einer Minderheit zuzurechnen sind, besonders nicht in den oberen Etagen. Der Ausschluss migrantischer Journalisten hat zur Folge, dass beispielsweise Nachrichten meist eine „weiße“ Perspektive einnehmen. „Weiße“ Reporter schreiben „weißen“ offiziellen Quellen (Regierung, der Polizei oder „Ausländerexperten“) mehr Wichtigkeit und Glaubwürdigkeit zu. Zweitens haben MigrantInnen und migrantische Organisationen weitaus weniger Zugang zu den Medien, weniger Kontrolle über die Definition der „ethnischen“ Verhältnisse und weniger Einfluss auf ihre eigene Darstellung. Eine Analyse der Zitierungen bestätigt diese Hypothese: Minderheiten werden systematisch weniger zitiert in Meldungen, welche sie direkt betreffen, oder aber ihre Meinungen werden durch „weiße“ Sprecher ausgeglichen. Falls Menschen mit Migrationshintergrund zitiert werden, haben diese Zitate eine weniger glaubhafte Form: So werden Rassismusvorwürfe typischerweise in Anführungszeichen gesetzt oder von Worten des Zweifels wie „er behauptete“ begleitet. Drittens organisieren gesellschaftliche Eliten ihren Zugang zu den Medien über Pressemeldungen, Pressekonferenzen und eigene PR-Büros. Da auch die meisten Eliten in Nordamerika und Europa „weiß“ sind, überwiegt eine „weiße“ Sicht und Perspektive in den Medien, wobei die weiße Gruppe in besserem Licht dasteht.

All dies zusammengenommen hat Konsequenzen für die Selektion und Behandlung von Medieninhalten. Wenn sie überhaupt vorkommen, werden Menschen mit Migrationshintergrund in den Nachrichten meist über Inhalte dargestellt, die den „weißen“ Zuschauer interessieren. Die Darstellung ist beschränkt und stereotyp: Unter den Top5 sind (1) Zuwanderung, (2) Gewalt, Kriminalität oder Riots, (3) ethnische Beziehungen, (4) kulturelle Differenzen und speziell in den USA (5) Musik und Sport. Meist werden negative Inhalte dargestellt. Zuwanderung wird selten als Plus für die Wirtschaft oder Kultur, sondern als Problem, Bedrohung, oder Invasion diskutiert. Kulturelle Differenzen gelten als problematisch oder bedrohlich „für uns“. Gleichzeitig spielen die Medien Probleme „für sie“ wie Rassismus oder Diskriminierung herunter und behandeln diese als bedauernswerte Einzelfälle außerhalb des Mehrheitskonsens. Inhalte, die mit dem alltäglichen Leben von MigrantInnen zu tun haben (Wohnen, Bildung oder Gesundheit) haben eine geringe Priorität.

In der Art und Weise, wie über Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen wird, offenbaren sich zwei verschiedene Strategien; nämlich positive Selbstpräsentation und negative Präsentation der Anderen. Da eine offene negative Präsentation der Anderen häufig eingeschränkt ist durch Gesetze, Normen und Werte sind explizite rassistische Ansätze besonders in der „Qualitätspresse“ rar gesät. Es finden sich allerdings diskursive subtile Formen:

Andersherum werden „Weiße“ nicht nur als „nicht-rassistisch“, sondern als „tolerant“ und hilfsbereit dargestellt werden – und die Zuwanderer als undankbar und unangepasst. Das passiert über die systematische Nutzung von Signalen von Zweifel, Anführungszeichen und Verteidigungen in Form von „die sind die wirklichen Rassisten“ (besonders in der rechten britischen Presse). Offensichtlich variieren Art und Weise in den verschiedenen Massenmedien. Die liberale Presse betont die positive Rolle „weißer“ Liberaler als Gehilfen der MigrantInnen, wohingegen die konservative oder rechte Presse dazu neigt, negative Eigenschaften der „Fremden“ zu betonen. Damit sind Medien und Presse entscheidend an der Reproduktion eines Rassismus der Eliten beteiligt.

Der pädagogische Diskurs: Lehrbücher

Neben informeller Sozialisation und der Erziehung durch die Eltern begegnen Kinder einem institutionalisierten pädagogischen Wissen (oder Glauben, Normen und Werte) als erstes durch Kinderbücher, Fernsehprogramme, Unterricht und Lehrbücher. Durch sie hören oder lesen „weiße“ Kinder in westlichen Ländern oft als erstes über „Nicht-Weiße“ und über andere Kulturen, Kontinente und Nationen.

Sowohl formale als auch informelle Lehrpläne und ihre Umsetzung im Unterricht sind Teil dieser dominanten Kultur. Unabhängig von der zunehmenden Zahl von Kindern aus Minderheitengruppen, die Klassen europäischer oder Nord-amerikanischer Schulen füllen, bleibt der dominante pädagogische Diskurs „weiß“. Menschen, Kulturen und Nationen aus der „Dritten Welt“ werden aus einer westlichen Perspektive gesehen, dasselbe gilt für MigrantInnen. Trotz der steigenden Anerkennung des Bedarfs an „multikultureller Erziehung“ ändern sich die alltäglichen Lehrmethoden, die Ausbildungsinhalte für Lehrer und die Bücher nur sehr langsam.

Eine Analyse niederländischer Lehrbücher zeigte die folgenden Ergebnisse: Werden Minderheiten überhaupt porträtiert, dann sind die Themen ähnlich der in den Massenmedien: Zuwanderung, kulturelle Unterschiede, ethnische Beziehungen, Kriminalität und Abweichung mit der Tendenz zu einer Negativdarstellung – Probleme, Konflikte oder Bedrohung „für uns“. Themen rund um Zuwanderung behandeln selten Fakten, wie beispielsweise wann und warum Leute einwanderten, sondern fokussieren auf Übervölkerung. Beiträge von MigrantInnen zur Wirtschaft oder die Ausbeutung von migrantischen Arbeitskräften werden kaum erwähnt. Kulturelle Unterschiede als Hauptthema sind häufig verbunden mit einer Darstellung von „Problemen“ wie fehlende Anpassung, komische Gewohnheiten, Mankos in der Sprache oder religiöse Abweichung, krankhafte Familienstrukturen, die Unterdrückung von Frauen oder komische Fasten- und Essgewohnheiten. Eins ist dabei klar: „Wir“ sind offensichtlich fortschrittlicher, weil moderner, rationaler, und toleranter. Diskriminierung und Rassismus sind kein Thema oder werden den Anderen zugeschrieben, wie im Fall der Rassendiskriminierung in den USA, der Apartheid in Südafrika oder den MigrantInnen selbst. Das deckt sich mit dem Herunterspielen von Kolonialismus und Sklaverei in Geschichtsbüchern und der stereotypen Art, wie Leute aus dem globalen Süden in Geographie-Büchern präsentiert werden.

Kommen MigrantInnen in Lehrbüchern vor, so enthalten selbst die wenigen Zeilen über die Hauptzuwanderungsgruppen Informationen über Kriminalität und Abweichung, wie beispielsweise Drogenmissbrauch von Surinamesen und Chinesen, terroristische Gewalt der jungen Indonesier oder (kulturelle) Kriminalität von Türken und Marokkanern. Manchmal folgt auf solche Information der Nachsatz, dass „sie nicht alle so“ sind. Andere relevante Inhalte wie soziale Fragen, Bildung, Geschichte, Kultur und aktuelle Probleme in der Mehrheitsgesellschaft werden nicht behandelt und bilden damit keine Orientierung für Lernende mit Migrationshintergrund. Obwohl sich die Inhalte der Lehrbüchern in den 90er Jahren verbessert haben, reproduzieren auch sie nur den herrschenden Konsens – und der fokussiert auf die von „denen“ verursachten Probleme und nicht auf Probleme der Mehrheitsgesellschaft wie Rassismus. Damit sind „weiße“ und „schwarze“ Kinder in den Niederlanden ungleich auf die multikulturelle Gesellschaft vorbereitet, in der sie aufwachsen.

Die Inhalte der Lehrbücher werden beeinflusst durch Ideologien in Wissenschaft aber auch in den Ausbildungscurricula der Lehrer und in den Massenmedien. Die Inhalte der Lehrbücher werden aktiv gestaltet durch die Eltern, die Schulleitungen, zivilgesellschaftliche Institutionen, die Herausgeber, Unternehmen, politische Parteien, Regierungen, Kirchen und viele andere Organisationen mit einem Interesse an ihrem Inhalt. Die meisten dieser Organisationen sind „weiß“ und lehnen Erzählungen ab, die „Weiße“ oder westliche Gesellschaften in einen Zusammenhang mit Machtausübung gegenüber „Nicht-Weißen“ oder der „Dritten Welt“ setzen.

Diese ethnozentrische Pädagogik spielt nicht nur eine Rolle in der Reproduktion der Mehrheitskultur und ihrer sozialen Wahrnehmung; sie bereitet migrantische Kinder auch auf die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt vor, in denen die meisten auf einem niedrigen Level leben und arbeiten werden. Das Bildungssystem und die Schule selbst tragen damit wesentlich zu gesellschaftlichen Ausschlüssen bei.

Der wissenschaftliche Diskurs

Während die historische Human- und Sozialwissenschaft noch offen die Überlegenheit der „weißen“ Europäer betonen, finden wir rassistische Konstruktionen in den zeitgenössischen Wissenschaften weitaus subtiler in der Diskussion um kulturelle Differenzen. Die Themen sind hier nicht sehr verschieden von denen des Mediendiskurses: Es geht um die „Unvereinbarkeit der Kulturen“, die Krankhaftigkeit oder „Kultur der Armut“ in afro-amerikanischen Familien, um den „Fanatismus“ des Islamismus oder die Kriminalität.
„Ethnische Studien“ werden meist von „weißen“ Akademikern betrieben, wobei diese wenig Interesse am Rassismus der Mehrheitsgesellschaft haben oder ihn gar verleugnen. Studien migrantischer Forscher werden marginalisiert und mit dem Vorwurf des „Bias“ belegt. Machtverhältnisse werden kaum thematisiert. Damit trägt die Forschung über Sprache, Kultur, Verhalten und Sozialstruktur migrantischer Bevölkerung häufig dazu bei, genau jene Machtverhältnisse zwischen „Ethnien“ zu reproduzieren. Ein Hauptproblem ist der Fokus der Studien „weißer“ Eliten, die meist nicht darauf zielen, derlei Machtstrukturen in der Gesellschaft zu verändern.

Wissenschaftliche Eliten tragen – auch wenn sie nicht direkt an der öffentlichen Debatte teilnehmen - dazu bei, Ideologien zu verbreiten. Häufig werden ihre Arbeiten von anderen Eliten in Politik, Erziehung oder in den Medien präsentiert. Diese „Vorformulierungen“ von rassistischen Konstruktionen sind daher, wenn auch meist indirekt, extrem einflussreich.

Der politische Diskurs

Das Feld der „ethnischen Angelegenheiten“ wird von regionalen oder nationalen Regierungen, gewählten Gremien und Verwaltungen bespielt. Letztere bestimmen die Umsetzung der Einwanderungspolitik, der arbeitsmarktrelevanten Programme, der Sozialpolitik (Wohnungen), Gesundheit und der Bildungspolitik. Diese Entscheidungsfindung und –umsetzung ist diskursiv: Politik, Regeln, Regulierungen oder Gesetze werden auf allen Ebenen der nationalen oder regionalen politischen Hierarchie informell diskutiert. In den Parlamenten und Gremien wird formal debattiert und entschieden und die Ergebnisse anschließend an Organisationen wie die Polizei, die Ausländerbehörden, die Schulen oder die Öffentlichkeit kommuniziert.

Die Entscheidungsfindung wiederum wird durch Massenmedien, Expertenmeinungen, Think Tanks, politische Parteien, staatliche Behörden, zivilgesellschaftliche Organisationen sowie aus Statistiken generierte „Fakten“ beeinflusst. Der politische Diskurs über „ethnische“ Angelegenheiten ist dem in den Medien oder der Wissenschaft sehr ähnlich. Der Grund ist sehr einfach: Die meisten der politischen Eliten haben den gleichen Klassen- und Bildungshintergrund wie andere Eliten. Zudem sind die meisten Wähler „weiß“. Politiker werden daher im Interesse „ihrer“ Wähler handeln - oder andersherum: sie werden vermeiden, gegen deren Interessen zu handeln. Fast alle Organisationen mit Zugang zu politischen Entscheidungsfindungen sind „weiß“, Felder wie die Antidiskriminierungspolitik sind Ausnahmen. Zwar gibt es politische und ideologische Unterschiede zwischen Rechten und Linken, doch ist der rassistische Diskurs nicht auf die Rechte beschränkt. Auch moderate Konservative oder gar Sozialisten werten MigrantInnen oder Minderheiten ab, wenn es ihnen einen Wählervorteil bringt. Die meisten Länder haben wenig wirksame Antidiskriminierungsgesetze. Rechte Parteien sind zudem auf dem Vormarsch. Obwohl sie systematisch die Gesetze unterlaufen, sind sie in keinem europäischen Land verboten, wobei auf ihre demokratischen Rechte verwiesen wird. Die demokratischen Rechte von Minderheiten oder anderen MigrantInnen sind offensichtlich unwichtiger.

Eine Analyse des parlamentarischen Diskurses in Frankreich, Deutschland, England und den USA zeigt die gleichen Muster: Zuerst einmal verleugnen alle Parteien, auch die rechten, individuellen oder institutionellen Rassismus und betonen die Wichtigkeit der Menschenrechte. Allerdings müsse die Einwanderung eingeschränkt werden und strikt gegen „Illegale“ vorgegangen werden um die Minderheiten im Land zu schützen. Das Muster ist, ähnlich wie in anderen Ländern, das der positiven Selbstrepräsentation („wir sind gerecht“, „wir sind nicht rassistisch“) und der negativen Repräsentation der Einwanderer („Illegale“) oder anderer Minderheiten („wollen nicht arbeiten“, „sind im Drogengeschäft“). Offen rassistische Positionen sind auch hier selten, die relevante Politik unterscheidet sich jedoch nicht von der Anti-Einwanderungspolitik der Rechten.

Das Hauptproblem des politischen Diskurses ist, dass er durch die Medien weit verbreitet wird und die Öffentlichkeit erreicht, die meist kein Problem hat, die Botschaften zu lesen: „Diese Einwanderer gehören nicht hierher“; „Wir sollten in der Einwanderungspolitik hart sein“ oder „Die sollen sich an unser Land anpassen“. Damit spielt die Vorformulierung mehr oder weniger subtiler rassistischer Konstruktionen im politischen Diskurs einer wesentliche Rolle für die gesellschaftliche Reproduktion von Rassismus.

Der unternehmerische Diskurs

Obwohl Diskriminierung in der Wirtschaft häufig dokumentiert wird, gibt es wenige Studien über unternehmerische Diskurse bezüglich „ethnischer Angelegenheiten“. Anders als über politischen, pädagogischen oder wissenschaftlichen Diskurs, wird über unternehmerischen „text and talk“ selten in den Medien berichtet. Unternehmen und ihre PR-Abteilungen kontrollieren streng, was an die Presse kommuniziert wird und geben kaum Einblick in unternehmerische Entscheidungsfindungen und die Alltagspraxen, die MigrantInnen betreffen (Einstellungen, Beförderungen, Kommunikation und Geschäfte).

Studien über Erfahrungen von MigrantInnen zeigen allerdings, dass Diskriminierungen im Alltag weit verbreitet sind. Ausgrenzungen in der Einstellungspraxis oder bei Beförderungen werden häufig gerechtfertigt mit dem Verweis auf Wettbewerb: So seien MigrantInnen schlechter ausgebildet oder die Beschäftigung von Minderheiten führe zu „Problemen“ im Betrieb oder unter den Arbeitern und beeinträchtige daher die Wettbewerbsfähigkeit. Gerade in Europa wird jeder Eingriff in die Einstellungspolitik (Quoten) als eine Form unerlaubten Eingriffes in die unternehmerische Freiheit denunziert. Mit dem Hinweis auf Wettbewerbsbeschränkung kommen Unternehmen meist davon.

Interviews verschiedener Manager großer und teilweise multinationaler Unternehmen in den Niederlanden haben ergeben, dass auch hier offen rassistische Konstruktionen vermieden werden. Positive Selbstdarstellung ist gerade in den größeren Unternehmen ausgereift („PR-talk“). Die Führungskräfte betonen ihre soziale Verantwortung, fördern Chancengleichheit und werden natürlich migrantische BewerberInnen anstellen, insofern diese ausreichend qualifiziert sind. Im selben Atemzug wird jede Diskriminierung im Unternehmen verleugnet oder auf einige bedauernswerte Einzelfälle reduziert. Quoten oder Förderung von Minderheiten werden als Eingriff in den freien Markt abgelehnt, ebenso wie Regierungspolitik und Gesetzgebung. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit unter MigrantInnen dreimal so hoch wie die unter den Angehörigen der Mehrheit. Speziell unter migrantischen Jugendlichen beträgt sie nahezu 50%.

Schlussfolgerungen

Unsere Grundannahme war, dass Diskurse eine wichtige Rolle in der Reproduktion von Rassismus spielen, wobei gerade die Diskurse in den gesellschaftlichen Eliten einen weitaus größeren Einfluss haben als der gängige Rassismus in der Bevölkerung. Eliten in den Medien, der Erziehung und Bildung, der Wissenschaft, der Wirtschaft oder im sozialen Bereich bestimmen und kontrollieren, was gesprochen und veröffentlicht wird und was nicht. Sie formulieren, wenn auch häufig in moderater Form, rassistische Konstruktionen vor, die dann von großen Teilen der Bevölkerung aufgenommen und legitimiert werden.
In diesem Prozess spielen die Medien eine bedeutende Rolle, weil sie politische oder unternehmerische Diskurse moderieren, meist indem sie ihre eigene Perspektive auf „ethnische Angelegenheiten“ beisteuern. Migrantische Journalisten sind gerade in Europa selten: Minderheiten werden weniger zitiert bzw. negativer zitiert, wobei sich Inhalte um Stereotype wie Drogen, Kriminalität, komische Angewohnheiten, kulturelle Unterschiede und um durch MigrantInnen verursachte „Probleme“ drehen.

Das Gleiche gilt für Lehrbücher, welche nicht-Europäische Menschen stereotyp als arm, abhängig oder initiativlos darstellen. Weit verbreitet ist das „Beschuldigen des Opfers“ – also die Darstellung, die MigrantInnen seien für ihre eigene Misere selbst verantwortlich. Ähnliche Muster finden sich im wissenschaftlichen Diskurs, der sich auch auf Abweichung und Defizite konzentriert.

Der politische Diskurs dreht sich hauptsächlich um Einwanderungskontrolle und die Beschränkung der Rechte und des Zugangs zu sozialstaatlichen Wohlfahrtsinstitutionen für Minderheiten. Diese diskursive Ausgrenzung wird häufig begleitet von einer positiven Selbstrepräsentation des „gerecht seins“, das nahezu alle Elitediskurse zu Menschen mit Migrationshintergrund charakterisiert. Das gilt in besonders ausgereifter Form auch für den Unternehmensdiskurs, der gleichzeitig jede Form einer ausgleichenden Förderung als wettbewerbsschädigenden Eingriff in die Freiheit des Marktes abqualifiziert.

All diese Formen des „text and talk“ sind von der möglichen Beschuldigung der Diskriminierung oder des Rassismus nahezu besessen und verleugnen diese. Die Eliten haben das unerschütterliche Selbstbild, im Gegensatz zu gewöhnlichen Menschen besonders tolerant zu sein. Gleichzeitig brauchen sie Argumente, Gründe oder Rechtfertigungen, um (zu viele) Nicht-Europäer davon abzuhalten, sich in das Land, die Stadt, die Schulen, die Universität, die Medien, die Unternehmen oder die Politik einzubringen. Dabei greifen sie auf einige Standardargumente zurück: Argumenten von Gleichheit und gleicher Rechte (vor allem ihrer eigenen „weißen“ Gruppe); von Qualität (die nie eine Rolle spielt, wenn „weiße“ bevorzugt werden) und von sozialer Ordnung.

Der Diskurs der gesellschaftlichen Eliten über „ethnische Angelegenheiten“ etabliert, erhält und legitimiert damit den „ethnischen“ Konsens, und damit die Vorherrschaft der „weißen“ Mehrheit in den zunehmend multiethnischen Gesellschaften Europas und Nordamerikas.

Weitere Artikel und ein Verzeichnis der Veröffentlichungen Teun van Dijks, sind auf seiner Website http://www.discourses.org zu finden.

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