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Einleitung

ZAG

Der Einbürgerungstest zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft war lange in der öffentlichen Diskussion präsent. Nicht so sehr wegen der Prüfung selbst, sondern aufgrund seiner Inhalte. Eine der Fragen, die es zu beantworten galt, wurde zur Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen gestellt: »Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammen leben. Wie reagieren Sie?« So war die Frage in Baden-Württemberg vorgesehen. Mittlerweile ist sie aus dem Fragebogen gelöscht worden.

Doch bleibt der nun beschlossene bundeseinheitliche Einbürgerungstest immer noch gezielt pädagogisch bei den Fragen was Sitte und Anstand als auch religiöse Überzeugungen betrifft. Bei den Fragen nach der Familie, nach dem Zusammenleben von Mann und Frau oder dem Verhältnis von Eltern und Kindern, wird die Vorstellung der Fragenden vom richtigen Leben deutlich. Und es taucht auch das lesbische Pärchen von nebenan wieder auf: »Welche Lebensform ist in Deutschland nicht erlaubt?« Die Antwort zielt auf Polygamie und selbstverständlich dürfen die beiden Frauen zusammenleben.

Der Einbürgerungstest mutiert unter der Hand zum Test für kulturelle Normierung, insofern stets unterstellt wird, dass so wie es sein soll auch tatsächlich sei. Darüber hinaus kommt dann die eigene kulturelle Prägung der Fragenden mit ins Spiel, wenn Fragen nach Religion, christlichen Festen, Familienwerten und staatstragenden Institutionen gestellt werden. Der Verdacht, der hier nahe liegt, ist, dass diese Fragen allesamt auf einem kulturalistischen Vorurteil beruhen, dem Vorurteil gegenüber den Einbürgerungswilligen, dass sie uns nicht verstehen, nicht verstehen können, da sie von wo anders her kommen. Es sei denn, man bringt ihnen bei, was Toleranz ist und dass in Deutschland Toleranz groß geschrieben wird. Dahinter geht verloren, dass dies zwar orthografisch korrekt, doch gesellschaftlich nicht verwirklicht ist.

Die Frage nach gleichgeschlechtlichen Beziehungen setzt da an, wo das Vorurteil verbreitet ist, dass MigrantInnen, insbesondere MuslimInnen, im Allgemeinen homophob seien und ein traditionelles Rollen- und Familienbild mit sich bringen. Nun wird das Vorurteil zur zivilisatorischen Inquisition, indem es das, was sein soll, durch die Befragten anerkannt werden muss. So wird gleichgeschlechtliche Liebe und Partnerschaft zum Prüfstein von Fortschrittlichkeit und Zivilisiertheit. Diese Anerkennung der Realität von Homosexualität und deren positive Konnotierung aus dem Munde konservativer PolitikerInnen zu hören verwundert. Nahe liegt, dass Homosexualität in diesem Fall dem Zweck dient, neue Ausgrenzungen vorzunehmen, bzw. deren Grenzen zu verschieben.

Durch diese Operation wird die liberale BRD zu einem Hort der Homophilie. Ein Spiel mit Schatten. Die eigene Toleranz wird in den Vordergrund gestellt, die eigene Intoleranz verschwindet dahinter. Nichts darüber, dass es immer noch Thema ist, wenn Menschen in politischen Ämtern schwul oder lesbisch sind, sie also nicht dem konservativen Familienbild von Vater und Mutter entsprechen. Es geht auch um die Vereinnahmung von Schwulen und Lesben – die ja so konservativ sein können, wie sie möchten – in den bürgerlichen Mahlstrom. Leider in einen Mahlstrom unter dem mit rassistischen und nationalistischen Vorurteilen Stimmung gegen MigrantInnen gemacht wird.

Es gibt gute Gründe sich anzubiedern, den kleinen Vorteil sich zu sichern und sich auf die Seite der Mächtigen zu stellen, endlich »dazu gehören« zu dürfen, wie Koray Yilmaz-Günay in seinem Beitrag schreibt. Zu denen nämlich, die zuvor noch meinten, dass Homosexualiät eine menschliche Degeneration sei. In England ist hierfür der Gründer von OutRage!, Peter Tatchell bekannt. Er operiert im Namen der Rechte von Homosexuellen, indem er Muslime ausgrenzt. Muslime seien grundsätzlich homophob, da ihre Religion dies ihnen vorgäbe. Dieses Beispiel mag ein Fall von Geltungsdrang sein, doch pikiert die rassistische Stoßrichtung mancher seiner Statements.1

Ähnlich gelagert und problematisch ist die Studie des LSVD Einstellungen zur Homosexualität bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund aus dem Jahr 2006, die behauptet, dass jugendliche MigrantInnen (insbesondere russischer und türkischer Herkunft) in signifikantem Maße homophob seien. Die verbreiteten homophoben Einstellungen unter jugendlichen MigrantInnenkindern verwiesen auf die Bedeutung traditioneller Männlichkeitsnormen und von Religiosität für die Prägung antihomosexueller Einstellungen.2 Ob dies die beste Erklärung für die Fragestellung ist oder einem Vorurteil aufsitzt, dazu gibt Koray Yilmaz-Günay einige Antworten.

Dass antihomosexuelle Einstellungen existieren steht nicht in Frage. Ist diese Gesellschaft doch nicht frei von Homophobie und Rassismus. Bemerkenswert ist die Zuspitzung auf religiös, national oder rassistisch bestimmte Gruppen.

Weshalb sind es gerade Muslime, die hier fast ausschließlich in den Fokus gestellt werden? Es ist vermutlich die Debatte über die gelungene oder misslungene Integration von MigrantInnen. Besonders perfide ist es aber, in diesem Fall auf Homophobie zu verweisen. Denn eine homophobe Haltung in den Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs wurde erst dominant im Prozess der Kolonialisierung und Modernisierung nach westlichem Vorbild, wie im Beitrag von Georg Klauda anhand türkischer Literatur nachzuvollziehen ist.

In Polen liegen die Probleme ein wenig anders. Ein verbreitetes katholisches und konservatives Klima verhinderte noch lange nach 1990, dass überhaupt eine lesbische Bewegung in die Öffentlichkeit trat. Die Heteronormativität, nationalistisch überhöht im Bild der Frau als Mutter – »Matka Polka«, auf der einen und die Unterdrückung der Frauen auf der anderen Seite, haben für Lesben eine doppelte Diskriminierung zur Folge. Mit dem Ende des Sozialismus in Polen ist es sogar zu einem Rückschlag für die Emanzipation gekommen, wie Magda Wystub berichtet, der es nochmals schwerer machte, öffentliche Strukturen zu entwickeln.

Homophobie hat darüberhinaus ein kulturelles Rückgrat, noch dazu eines, welches unter Jugendlichen populär ist: Hip-Hop und Reggae. »Ich geh mit zehn MGs zum CSD und kämpfe für die Heten, die auf Mädchen stehn«.3 Hier vereint sich die Grenzüberschreitung mit Marketing und dem Unverständnis über Verhältnisse, die scheinbar mit Provokation angegangen werden könnten. Dabei fallen diese kleingeistigen Liedgutmacher wieder in die Haltung des Mainstreams zurück. Sie verstärken ihn mit ihren Verbalinjurien. Dies ist nicht Rebellion, sondern sexistische, rassistische und homophobe Großmaulerei mit entsprechenden Verdauungsproblemen.

Ragga Stars aus Jamaika mit explizit homophoben und gewaltverherrlichenden Texten auf Tour mussten bereits aufgrund von Protesten Konzerte absagen. Was da so klar in sprechenden Liedzeilen zum Besten gegeben wird, wird von den Fans dennoch verteidigt mit Begründungen, weshalb das ja alles nicht so gemeint sei, bzw. entschuldigt mit der exotischen Kultur. Ein positiver Rassismus, der sich mit sexistischen und homophoben Ansichten abfindet, um das gute Bauchgefühl nicht vermissen zu müssen.

Anmerkungen

1 Vergleiche Queer-Imperialismus Eine Inter vention in die Debatte über »muslimische Homophobie«, Jin Haritaworn, mit Tamsila Tauqir und Esra Erdemm, in: Ha, al-Samarai, Mysorekar (Herausgeber). Re/Visionen, Münster: Unrast, Seite 187–206.

2 Internet: http://www.lsvd.de/334.0.html?&cHash=18aed0213c&tx_ttnews[tt_news]=272

3 Internet: http://www.zuender.zeit.de/kavka_dir/2007/kavka-29-hiphop "Keine Toleranz von G-Hot und Kralle."

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