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Urlaubsbilder

Einleitung

Die Bilder von gestrandeten Menschen aus dem Senegal, Mauretanien und anderen Ländern Westafrikas an den Stränden der Kanaren haben für moralische Empörung gesorgt. Die Bootsflüchtlinge kommen über den Atlantik auf die Kanaren, die relativ nahe – 1.200 km Senegal, 800 km Mauretanien – an der westafrikanischen Küste liegen. Es scheint aber schon wieder fast vergessen wie TouristInnen die geschwächten Flüchtlinge mit Wasser versorgen. Nur kurz zuvor waren noch die Nachrichten voller Bilder wie Afrikaner versuchen die Zäune der spanischen Enklaven Melilla und Ceuta zu überwinden. Spanien ist durch seine Nähe zu Nord- und Westafrika schon lange Ziel von MigrantInnen aus Afrika. Die Enklaven Ceuta und Melilla liegen gar auf der afrikanischen Seite des Mittelmeers.

Die bisherige Hauptroute für Flüchtlinge aus dem westlichen Afrika war, neben Libyen nach Italien, Marokko und die Straße von Gibraltar nach Spanien. Deren verschärfte Überwachung hat den Weg über die Meerenge von Gibraltar versperrt.

Auch die Reaktion der EU auf Fluchtbewegungen auf die Kanaren ließ nicht lange auf sich warten: Sie unterstützt nun die spanische Administration durch Gelder, Polizeieinheiten und Frontex Missionen (siehe Müller/Nowak in der ZAG 50).

Die MigrantInnen die immer noch in Marokko leben oder an den Grenzen zu den spanischen Enklaven aufgegriffen wurden, sind den marokkanischen Behörden ausgeliefert. Polizeieinheiten setzten gefangene Flüchtlinge in der Wüste aus, das UNHCR ist weitestgehend hilflos (siehe Conny Gunsser in der ZAG 50). Während Marokko in Abkommen mit der EU die Grenze von sich aus versucht, für MigrantInnen zu schließen, ist dies aus Sicht der EU mit Libyen noch nicht gelungen. Mit der internationalen Anerkennung Libyens in diesem Sommer wird auch die Flüchtlingsfrage im Rahmen der Zusammenarbeit der EU mit Dritt-Ländern verhandelt.

Der Unterschied zwischen den Grenzregimen im Süden (Mittelmeer und Atlantik) und denen im Osten (Ukraine und Moldawien) ist in erster Linie die unterschiedliche Geschichte und Bedeutung der osteuropäischen Länder für die EU. Während Osteuropa mit dem Ende des Kalten Krieges einen Transformationsprozess hin zu Marktwirtschaft und Privatisierung durchstand, ist dies für Nord- und Westafrika nicht der Fall. Zum Teil sind die Länder des ehemaligen Ostblocks bereits der EU beigetreten.

Dies wird auf lange Sicht keine Option für die Länder im südlichen und östlichen Mittelmeerraum sein. Auch wenn Sarkozys Mittelmeer Union wohl nicht zu Stande kommt, so werden wohl bilaterale Verträge diese Gemeinschaft ersetzen und die Lücke im vorgelagerten Grenzraum schließen. Diesen erweiterten Grenzraum und dessen Militarisierung beschreibt Christoph Marischka vom IMI Tübingen in seinem Text auf Seite 21.

Verlagerung

Mit der dichten Kontrolle des Fluchtweges über Marokko hat sich die Fluchtroute weiter in den Süden verschoben nach Mauretanien und dem Senegal. Mittlerweile gilt auch der Weg über Mauretanien als versperrt und der Senegal ist zum Hauptausgangsort für Bootsflüchtlinge geworden.

Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) versucht mit ihren Hera Missionen durch gezielte Schiffspatrouillen vor der westafrikanischen Küste, Befragung der MigrantInnen und Anwesenheit von Polizeieinheiten in Westafrika der Lage Herr zu werden. Die Frontex ist ein wichtiger Bestandteil der Umsetzung des Haager Programms der EU zur Schaffung eines Raums »der Sicherheit und Freiheit« mit dem Schwerpunkt einer gemeinsamen Migrationspolitik. In der Abwehr vor äußeren Gefahren wie der Migration rücken die Mitgliedsstaaten näher zusammen und sind auch bereit Kompetenzen, wie sie Frontex nun wahrnimmt, auf die EU zu verlagern.

Es wird versucht mit den westafrikanischen Staaten Rücknahmeabkommen zum gegenseitigen Vorteil zu schließen. Die Politik der Externalisierung der EU gegenüber den nord- und westafrikanischen Staaten bedeutet Verantwortungsdelegation bei gleichzeitiger Kostenverlagerung. Eine Konsequenz davon ist, dass (Menschen-)Rechtsverletzungen an MigrantInnen nun kein Problem der EU mehr sein müssen. Stattdessen leistet sie »Aufbauhilfe« an die westafrikanischen Staaten.

Die EU ist momentan dabei, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu den Entwicklungsländern vertraglich neu zu regeln. Mit dem Contenau Abkommen werden die Beziehungen zwischen den ehemaligen AKP Staaten und der EU neu geregelt (siehe Annette Groth auf Seite 19). Dabei sieht man deutlich, wie sich die Wirtschaftspolitik der EU in Westafrika auswirkt. Es werden dorthin subventionierte Schlachtabfälle von Hühnern exportiert, die den dortigen Markt der lokalen ProduzentInnen kaputt machten. Gemüse wird aus der EU in Kühlschiffen angelandet, der Fischreichtum in mauretanischen Gewässern wird von EU Fischfangflotten dezimiert, wodurch die einheimischen Fischer ihre Existenz verlieren.

Die westafrikanischen Staaten bleiben auch politisch wie sozial hiervon nicht unberührt. Soziale Veränderungen machen sich im Senegal durch die Zuwanderung von jungen Männern in den Küstenstädten bemerkbar, die einen Weg nach Europa suchen. In der Elfenbeinküste wird die Politik der »Ivoirité« durchgesetzt. Damit werden unter dem Hinweis auf die nationale Identität des Landes, Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und ihres Eigentums beraubt.

Durch den Kampf gegen Migration kommt es nicht nur zu Veränderungen innerhalb der EU, sondern auch in den Ursprungsländern der MigrantInnen. Das Verhältnis der Mitgliedsstaaten zueinander wird durch den gemeinsamen Aufbau von Grenzsicherung (siehe ZAG 44) und die Regelung der Verteilung von MigrantInnen und Flüchtlingen auf die einzelnen Staaten verändert. Neue Regulierungen und Kompetenzen werden geschaffen. Die EU reagiert mit militärischen Maßnahmen und besonderen bilateralen Abkommen, die die Begrenzung der Migration bereits auf afrikanischem Boden vorsehen. Dies durch schärfere Kontrollen an den Grenzen, Einführung eines verschärften Passwesens, Gesetzen gegen Migration, der Propaganda gegen die Fluchthelfer, wie auch die Abschreckung durch die Gefahren auf der Flucht. Zugleich wird aber mittels der Handelspolitik eine neue ökonomische Abhängigkeit Afrikas hingenommen. Nicht die Ursachen von Bürgerkriegen, politischer Ausgrenzung und wirtschaftlicher Krisen werden durch die Politik der EU bekämpft, sondern, wenn überhaupt, ihre Symptome.

Die Gründe für die Migration werden zu einem guten Teil durch die EU geschaffen. Diese reagiert darauf, indem sie die Folgen ihrer eigenen Politik bekämpft. Die Bootsflüchtlinge sind letztlich ein Produkt dieser Politik.

Die EU produziert sich ihre eigenen MigrantInnen.

ZAG

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