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Machtfantasie, Dominanzanspruch und Größenwahn

„Für mich gibt es verschiedene Gruppen von Andersartigen. Das ist einmal die Rasse der Juden, der Schwarzen, der Zigeuner, der Alis (= Türken) und der Asiaten. Ich sehe sie, weil sie alle ihre dominierenden Gene tragen, als Feinde an, weil die uns von den Genen her unterlegen sind, weil die uns aber von der Dominanz her größer sind.“ (77)

Dieses Zitat eines rechtsradikalen Jugendlichen macht die Widersprüchlichkeit rechtsradikaler Einstellungen deutlich, wie sie schon in vielen Studien herausgearbeitet wurde. Der Rechtsradikalismus zeichnet sich dadurch aus, dass die Macht von als fremd empfundenen Gruppen und/oder Personen überhöht wird, um die Bedeutung des eigenen politischen Engagements und gewalttätigen Handelns zu rechtfertigen. Die imaginierte Gefahr von „zuviel Ausländern“ verschafft der NPD regelmäßig gerade in solchen Wahlkreisen hohe Stimmgewinne, in denen es vergleichsweise wenig Nicht-Deutsche gibt. Gängig sind Interpretationen, die diese Erfolge auf real empfundene Verluste und Benachteiligungen (wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, oder den Verlust politischer Gestaltungsmöglichkeiten) zurückführen. Birgit Rommelspacher schlägt in ihrem neuen Buch allerdings einen anderen Ansatz vor: In den Bedrohungsfantasien Rechtsradikaler werde kein realer Bezug zu politischen Entwicklungen deutlich, vielmehr seien sie eine Konsequenz aus der Befürchtung, „dass Gleichheit von denen eingefordert werden könnte, denen gegenüber man sich bevorrechtigt wähnt und überlegen fühlt. Dann wird in der übersteigerten Bedrohungsfantasie vor allem der eigene Dominanzanspruch sichtbar.“ (78) Die Herausstellung dieses Dominanzanspruchs ermöglicht es Rommelspacher, die Querverstrebungen rechtsradikaler Ideologie mit gängigen Einstellungen aus der Mitte der Gesellschaft hervorzuheben, da Rommelspacher davon ausgeht, dass der rechtsradikale Dominanzanspruch gegenüber „Fremden“ in ähnlicher Form auch in der Mehrheitsgesellschaft vorhanden ist. Damit verdeutlicht sie, dass rechtsradikale Ideologie keineswegs außerhalb des herrschenden Diskurses steht, sondern von diesem aufgenommen und rezipiert werden kann. Gestützt wird die gesellschaftliche Aneignung rechtsextremer Positionen Rommelspacher zufolge dadurch, dass die personelle Struktur der rechten Szene Deutschlands keineswegs homogen ist. Vielmehr sind dort alle gesellschaftlichen Gruppierungen (bis auf Nicht-Deutsche) vertreten und rechte Positionen keineswegs nur in rechten Parteien und Gruppen zu finden. In den meisten politischen Fraktionen lassen sich strukturelle Ähnlichkeiten finden.

Rommelspacher zeigt Parallelen zwischen rechten Positionen und ihren Entsprechungen bis ins linke Lager hinein. Die Parallelen mit Linken seien vor allem in einer verkürzten Kapitalismus-Kritik und in der Kritik an den USA auszumachen. Bei einer Interviewpartnerin, die über ihren Ausstieg hinaus immer noch von einer „ungeheuren Anteilnahme für das Schicksal des palästinensischen Volkes, die bis zum heutigen Tage in einem unaussprechlichen Maß noch präsent ist“ spricht, scheint diese Anteilnahme ein zentraler Motivationsgrund für ihre neonazistischen Aktivitäten gewesen zu sein. Rommelspacher: „Ihre emotionale Anteilnahme am Schicksal der Palästinenser ist extrem. Dabei steht diese emotionale Betroffenheit in einem harten Kontrast zu ihrer völligen Empathielosigkeit gegenüber den Juden“ (40).

Zwar wähnen sich viele Rechtsradikale als innerhalb der Gesellschaft an den Rand gedrängt, gleichzeitig betrachten sie sich jedoch als Vertreter und Vollstrecker eines gemutmaßten „Volkswillens“. Diese Selbsteinschätzung resultiere vor allem daraus, dass gewisse Elemente rechtsradikaler Ideologie wie die Angst vor „Überfremdung“ und vor ökonomischer Konkurrenz durch Ausländer mit einem spezifisch deutschen nationalen Selbstverständnis einhergingen. Dieses habe sich historisch in der Abgrenzung zu einem „Außen“ konstituiert und sei, weit über die Rechte hinaus, bis heute verbreitet. In der nationalen Identität Deutschlands spielten demokratische Traditionen darüber hinaus eine vergleichsweise geringe Rolle. In diesem Zusammenhang verweist Rommelspacher auf die von Heitmeyer u.a. durchgeführte Sinus-Studie, der zu Folge zwischen 1994 und 2001 zwischen 40 und 45 Prozent der Befragten Angst vor „Überfremdung“ geäußert hätten. 2005 vertraten nach Heitmeyer gar 60 Prozent der Deutschen die Meinung, es gäbe zu viele Ausländer in Deutschland. Doch nicht nur bezogen auf den Alltagsrassismus fühlen sich viele Rechtsextremisten als eigentliches Sprachrohr der deutschen Bevölkerung, sondern auch in ihrer Kritik an der Außenpolitik der USA, in ihrem offen vertretenen Antisemitismus und der Verharmlosung des Nationalsozialismus, beziehungsweise der Forderung nicht mehr „ständig“ mit den NS- Verbrechen konfrontiert zu werden. Gerade das ambivalente Verhältnis zur Geschichte des Dritten Reiches scheint bei den Rechten, die in dem Buch zur Sprache kommen, strömungsübergreifend wichtig zu sein. Einerseits werden eigene Großmachtfantasien und Idealvorstellungen auf die Zeit des NS projiziert, andererseits müssen dessen Verbrechen, insgeheim gut geheißen, geleugnet werden.

Der Rechtsextremismus ist nach Rommelspacher in den konkreten kapitalistischen (was Rommelspacher aber nicht explizit als solche bezeichnet) Verhältnissen verankert und resultiert aus ihnen. Er reagiert nach Rommelspachers Verständnis auf eine historisch gewachsene starke Diskrepanz zwischen dem Egalitätsanspruch moderner Gesellschaften und den realen Ungleichheitsverhältnissen in diesen. Die Antwort des Rechtsextremismus auf diese Diskrepanz ist der Versuch, „die gesellschaftliche Dynamik in Richtung Dominanz [zu] verschärfen (…) und deshalb [werden] Egalitätskonzepte in jeder Form bekämpft. … Die Bedrohung durch die anderen wird so übersteigert, dass die Verteidigung der eigenen Privilegien als berechtigte Abwehr von eigener Zurücksetzung erscheint“ (135).

Literatur von und über Aussteiger aus der Neonazi-Szene, sowie von der Autorin selbst geführte Interviews bilden das empirische Material, anhand dessen der theoretische Ansatz überprüft wird. Gefragt wird, wie und warum die ehemaligen deutschen und schwedischen Neo-Nazis in die Szene kamen, wie sie diese Zeit erlebten und warum sie letztendlich ausstiegen. Attraktiv sei für die meisten Protagonisten an der rechten Ideologie offensichtlich gewesen, dass sich ihr jugendlicher politischer Idealismus mit dem Machtanspruch und ubersteigertem Selbstwertgefühl innerhalb der rechten Gruppen verbunden hätte. „Dabei bezieht sich der Machtanspruch nicht allein auf die politisch-ideologische Ebene, sondern ebenso auf die sozialen Beziehungen wie auf die individuelle Psyche.“ (60) Allerdings würden die Projektionen häufig enttäuscht, da in diesen Gruppen weder die Solidarität gelebt, noch der Gedanke „Deutschlands Elite“ zu sein, aufrechterhalten werden könne. Diese Enttäuschungen beruhen für Rommelspacher nicht nur auf der spezifischen Struktur der Gruppen, „sondern auch aus einer spezifischen Leere im Rechtsextremismus, die im Kontrast zu seinen »großen« Ideen steht. An die Stelle politischer Analysen treten Selbstvergewisserungsrituale.“ (198)

Am Schluss des Buches stellt die Autorin Strategien gegen den Rechtsextremismus vor, die sich auf die verschiedenen Konzepte von Aussteiger-Projekten beziehen. Gerade hier, so Rommelspacher, sollte der Rechtsextremismus keinesfalls als Randphänomen betrachtet und dadurch entpolitisiert werden. Vielmehr sei der Rechtsextremismus eine Problematik, welche die gesamte Gesellschaft betreffe. Daher sei es nötig, die Protagonisten mit ihren politischen Ansichten zu konfrontieren und diese zu hinterfragen.

Eine solche Strategie zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ist sicherlich notwendig. Doch bleibt zu fragen, ob Neonazis durch bloße Diskussion tatsächlich dazu bewegt werden können, ihre politische Positionierung zu überdenken. Noch aktive, überzeugte Nazis kommen bei Rommelspacher jedoch nicht zu Wort. Es ist denkbar, dass sich die Autorin vom reumütigen Ton der Aussteiger hat verleiten lassen, die Möglichkeiten auf diesem Gebiet als zu optimistisch einzuschätzen.

Nils Baratella

 

Der Hass hat uns geeint. Junge Rechtsextreme und ihr Ausstieg aus der Szene, Birgit Rommelspacher, Campus Verlag, Frankfurt/M. 2006, 246 Seiten, EUR 19,90

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