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Arier@antisemitismus.de© trifft Jude™ oder
Was hat Geschlecht mit Antisemitismus zu tun?
Antwort: Eine ganze Menge

Unsere Überschrift enthält drei besondere Zeichen.(1) Alle drei schreiben uns an einen bestimmten Punkt der Geschichte ein. Das @ gibt eine Adresse an, es zeigt uns, wo wir den „Arier“ zu finden haben. Sein Provider (Antisemitismus) und sein Standort (Deutschland) markieren, wo im virtuellen Raum der Subjektivitäten diese Adresse situiert ist. Das © kennzeichnet seine Subjektposition als institutionalisierte soziale Beziehung, als eine, die nicht wirklich existiert, in diesem Moment der Geschichte aber überaus mächtig ist. Das ™ an „Jude“ verweist auf den Produktcharakter dieser Subjektposition. Der Jude™ ist eingetragenes Markenzeichen des Ariers©, in dieser Funktion stellt er das Gegenbild zum Arier© dar. Von diesen Bildern existieren noch eine Reihe weiterer, wie zum Beispiel Jüdin™ oder Arierin™. An dieser Stelle möchten wir uns auf die Geschlechterbilder des Ariers© und des Juden™, sowie ihr Verhältnis zueinander konzentrieren. Ihre Geschlechterbilder waren und sind zentral für das Funktionieren das Antisemitismus – nur mit ihrer Hilfe konnten sich antisemitische Stereotype etablieren und zirkulieren. Der Antisemitismus – so unsere These – ist ohne Geschlecht nicht zu denken.

Der Mann ist der Arier©
Im NS, so wurde von der Männerforschung immer wieder festgestellt, wurde die Vorstellung von Männlichkeit in ihr Extrem getrieben. Soldatentum, Kameradschaft und Naturverbundenheit sind drei Säulen, auf welche diese aufbaut. Jede Säule bildet eine charakteristische Stütze, auf der sich letztlich das Bild des arischen© Mannes erhebt.

Soldatentum steht hier für einen Modus von Männlichkeit, der sich durch ein bestimmtes Verhältnis zum Körper, zum Kollektiv und zu tugendhaftem Verhalten ausdrückt. Der arische© Körper, ist ein „aufgeräumter“ Körper. Einer, der nicht von Emotionen oder überhaupt jeder Art von Innerlichkeit zerrüttet, verunsichert oder aufgewühlt ist. Alles ist hier fest, hat seinen Platz und steht in einem bestimmten hierarchischen Verhältnis. Arbeit, Disziplin und Gehorsam bringen ihn in eine tadellose Form, die nicht zuletzt durch eine makellose Uniform angezeigt wird. Dieser gestählte Körper ist jedoch immer schon Teil eines größeren Körpers – dem „Kollektivkörper Truppe“. Beim gemeinsamen Marschieren, Formieren und Salutieren ist der Körper des Einzelnen immer schon mit dem Körper seines Neben-Mannes verbunden: Ihre Arme, Füße und Augen fallen in diesen Momenten zusammen, sie werden eins, sie werden zu einer größeren Einheit. Dieser Kollektivkörper sowie seine Einzelteile stehen in einem bestimmten Werteverhältnis: Opferbereitschaft, Wille zur Tat, Heroismus, Mut, Ruhm und Ehre sind die Koordinaten eines Tugendsystems, in dem körperliche Erschöpfung und Ohnmacht von den Soldaten immer wieder als Momente höchsten Glücks beschrieben wurden.

Kameradschaft kann als die Form für nahezu alle intersubjektiven Verbindungen des Ariers© verstanden werden. Egal ob Arbeiter, Bauer oder Soldat – Verbindungen zu anderen (arischen©) Männern sind durch das Band der Kameradschaft geschlossen. Eine Kameradschaft, die von Isolierung und Härte geprägt ist, eine Kameradschaft, in der jeder zunächst seinen Mann stehen muss. Diese Männlichkeit jedoch einmal bewiesen, kommen jene Mechanismen zur Geltung, die durch Rituale der Egalität und der Hilfsbereitschaft Hierarchien, Entbehrung und Isolation zu kompensieren suchen. Dieser Männerbund ist für den Nationalsozialismus zentral, ihm und nicht der Familie gehört die Loyalität und Hingabe des Ariers©. Doch auch die anderen sozialen Beziehung stehen in dem Zeichen der Kameradschaft: So wird die arische© Frau in diesem Zusammenhang zur Kameradin des Mannes an der Heimatfront. In Geschlechterkameradschaft, in der die Hierarchien trotz allem klar geregelt bleiben, tritt die arische© Frau dem Arier© an die Seite, schließlich liegt in ihren Händen die Zukunft von „Volk“ und „Rasse“. Doch auch ein anderes wichtiges soziales Verhältnis ist kameradschaftlich bestimmt: der Bezug zum „Führer“. So heißt es im deutschen Wörterbuch von 1943: der „Grundsatz der Kameradschaft [ist der], der die Gefolgschaft Adolf Hitlers im Glauben und Gehorsam zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammenschließt.“ Kameradschaft ist im NS das Paradigma von Gesellschaft, Staat und Partei.

Die Naturverbundenheit des Ariers© spiegelt sich in seinem Körperbild, seinem Antiintellektualismus und seinem Willen zur Tat wider. Der Filmemacherin Leni Riefenstahl oder dem Bildhauer Arno Becker fiel es zu, diesen Körper zu inszenieren: blond, blauäugig, groß und schlank mit schmalen Hüften, sportlich und glattrasiert wird hier ein nordischer Körper herbeizitiert und eine männliche Schönheit in Szene gesetzt die fundamental für das Rassenbild des NS war. Der Glaube dieses fleischlichen Ariers© beruht auf einem unmittelbaren Erkennen des Führerprinzips, nicht auf einem durch Argumentationsmuster gebildeten Intellekt. Diese Führerschaft und der mit ihr verbundene Geist werden nicht durch Worte gebildet, sondern durch die Tat: körperliche Ertüchtigung schält den arischen© Geist heraus. Dieser unbedingte Wille zur Tat und die Verachtung von allem „Geschwätz“ macht den letzten Aspekt eines männlichen, arischen© Geschlechtsbildes aus, das wir hier in kurzen Zügen umrissen haben.

Radikale Differenzen
Dieses Männlichkeitsbild ist nicht aus dem Nichts heraus entstanden, sondern aus der fundamentalen Wandlung heraus, mit welcher Europa Ende des 19. Jahrhundert konfrontiert ist: Dem Aufstieg der Naturwissenschaften. Um 1900 wurde sowohl das Gen als auch die Hormone entdeckt und überhaupt führte die zunehmende Zerlegung des Körpers zu neuen Vorstellungen von Körperlichkeit. Körper wurden nun zum ersten mal als radikal verschieden voneinander gedacht. Das zeigt sich an der Vorstellungen von Geschlecht. Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein, war für die Wissenschaft mehr oder weniger das vom griechischen Arzt Galen entwickelte Modell von Körperlichkeit vorherrschend: nämlich das Frau und Mann im selben Körper wohnen und dieser sich nur durch den Grad an Hitze unterscheidet, den er besitzt. Das hatte zur Folge, dass Geschlechtsmerkmale einmal nach außen und einmal nach innen gekehrt waren. So waren die Körper von Mann und Frau zwar verschieden, auf einer grundsätzlichen Ebene jedoch waren sie die gleichen. Diese Vorstellung verschwindet am Ende des 18. Jahrhunderts zugunsten eines tiefsitzenderen Differenzdenkens: Frauen sind durch und durch anders als Männer. Diese, zunächst aus politisch und sozialen Gründen hervorgebrachte Differenz, wird um 1900 mit den neuen entstandenen „Erkenntnissen“ aus Biologie und Anatomie untermauert und zu einer unüberwindbare, abgründigen Differenz ausgebaut.

Auf der Grundlage dieser durch die Biologie möglichen radikalen Differenzierung bildet sich der deutsche Antisemitismus aus – die Biologisierung des Judenhasses, die Transformation sozialer Stereotype, Vorurteile und Hassbilder in biologische „Wahrheiten“ war damit möglich geworden. Das dümmste Beispiel ist die Phrenologie, die Schädellehre, die soziale Veranlagungen wie Schwachsinn oder Klugheit körperlich messbar zu machen glaubte. Konnten „Abartigkeiten“ nun also biologisch erkannt werden, so konnten auch Jüdinnen™ und Juden™ „wissenschaftlich“ zum Fremdkörper gemacht werden. Auf dieser Grundlage wurde der jüdische™ Mann als notwendiges Gegenbild des arischen© Mannes konstruiert.

Der Jude™ als negativer Doppelgänger
Die Bilder vom Juden™ sind vielfältig: Viehjud, Hausierer, Wucherer, Weltverschwörer, Bolschewist oder Finanzkapitalist sind unterschiedliche Stereotype, die verschiedene gesellschaftliche Funktionen erfüllen. Gemeinsam ist diesen Bildern aber, dass in ihnen der Jude™ zu einer Art negativem Doppelgänger des Ariers© wird. Zeichnete sich, wie wir gesehen haben, die arische© Männlichkeit durch Soldatentum, Kameradschaft und Naturverbundenheit aus, so sind die jüdischen™ Männlichkeiten als Gegenbild zu diesen Eigenschaften konstruiert: Als Soldat sei der Jude™ nicht tauglich, weil sein Körper dieser Aufgabe nicht gewachsen war. Der Jude™ als Zinswucherer, der von der Arbeit anderer lebt, sei nicht in der Lage, an seinem Körper zu arbeiten, ihn bis zur Grenze zu treiben und dadurch zu stählen. Der Jude™ sei faul, feige und schwach. Das zeige sich an seinem degenerierten, dekadenten Körper. Seine Plattfüße machten es ihm unmöglich zu marschieren und zu exerzieren. Sein hinkender Gang hindere ihn daran, längere Strecken zu laufen, sein schmaler Brustumfang zeuge überhaupt schon von einer unmilitärischen Männlichkeit.

Auch als Kamerad sei der Jude™ nicht zu gebrauchen. Moralische Verruchtheit und Tugendlosigkeit machten ihn unzuverlässig. In dieser seiner jüdischen™ Sprache „mauschelnd“, hecke er allerlei Hinterlistigkeiten aus, denen nicht zu trauen sei. Der Jude™, so der Schluss, kenne keine kameradschaftliche Loyalität.

Auch zur Natur habe der Jude™ ein gänzlich anderes Verhältnis als der Arier©. Er sei ihr nicht verbunden und sein Körper sei nicht der Ausdruck einer reinen Natürlichkeit, vielmehr sei der schlaue Jude™ genau jener verachtete Intellektuelle, der Natur „pervertiere“. Diese seine Entfernung von der Natur machten den Juden™ krank, seine Nervenschwäche und seine hysterischen Anfälle seien davon Zeuge.
All diese Stereotype konnten im jüdischen™ Körper nur verfleischlicht werden, in dem er zu einem Anderen gemacht wurde. In seinen Geschlechtskörper wurden all jene Eigenschaften „wissenschaftlich“ eingekörpert, die der Arier© nicht war und die sein Männlichkeitsbild bedrohten – der Jude™ wurde so zum Gegenbild des Ariers© per se. Im Bild der jüdischen™ Männlichkeit konnte sich ein jeder noch so schlaffe deutsche Antisemit als Mann fühlen.

Das Bild hatte die Aufgabe, das arische© Männlichkeitsbild zu stabilisieren und die nichtjüdischen deutschen Männer kollektiv zusammen zu schweißen. Das Mittel der Projektion bestand darin, den jüdischen™ Körper als weiblichen zu konstruieren – ein Mittel das gerne, z.B. auch gegen Schwule und Tunten, zur Herabsetzung genutzt wird, das jedoch im deutschen Antisemitismus mit seinem Zwang zur Biologisierung noch einmal eine neue Nuance bekommt. Mit Hilfe dieser biologischen Konstruktion konnte er zum ganz Anderen des arischen© Mannes gemacht werden. Eine Bewegung, die in dem zu dieser Zeit populären Sprichwort „Jude und Weib sind ein Leib“ zum Ausdruck kommt.

Egal ob es sich um die weibliche Fistelstimme des Juden™, seine affektierte Gestik, seinen durch die Beschneidung „beschädigten“ Penis oder seine weiblich hysterische Art handelte. Es gab kaum ein Körperteil, in dem die NS-Wissenschaft in der Folge nicht eine eigenartige Weiblichkeit der Juden™ zu entdecken glaubte. Laut „Menstruatio-Vicaria"-Hypothese, die einen Zusammenhang zwischen Nase und Genitalien hergestellt, menstruierte der jüdische™ Mann sogar, sein gehäuftes Nasenbluten war eine Art Ersatzmenstruation, so das Credo der NS-Wissenschaftler. Wir haben es bei der Konstruktion des jüdischen™ Körpers also mit einem Prozess zu tun, der sozialen Stereotypen nicht nur biologisiert, sondern den jüdischen™ Körper in diesem Prozess auch als weiblichen umzucodieren versucht.

Gespaltene Bilder
Um 1900 setzt der Antisemitismus mit einer Biologisierung ein, die es erlaubt, den Juden™ zum ganz Anderen zu machen. Die Differenz zwischen „Rassen“ wird tief in den Körper eingeschrieben und bedient sich dabei der Sexualbilder von Männlichkeit und Weiblichkeit. Daraus ergibt sich das antisemitische Bild des „effeminierten Juden™“, wie es in Bilder, Postkarten, Karikaturen, Legenden, Mythen, Gerüchten oder Diskursen zu finden ist.

Daneben existieren immer noch die älteren Stereotype des traditionellen Judenhasses: Legenden vom Ritualmörder, Vergewaltiger und Mädchenhändler – ein hypermaskulines Bild des Juden™ entwerfend – werden durch die neuen Stereotype nicht abgelöst, sondern existieren neben diesen weiter fort. Das führt zu einer paradoxen Spaltung des jüdischen™ Körpers: er sei weiblich und männlich zu gleich.
Jedem dieser Bilder kommt seine spezifische Rolle zu. In der einen Funktion eignete sich der jüdische™ Mann dazu, das Bild des heroischen deutschen Kämpfers zu kontrastieren und seine Männlichkeit abzusichern, und in der anderen Funktion dazu, als notwendige Bedrohung zu fungieren, unter der sich die deutsche Nation als Einheit imaginieren konnte. Die zentrale Rolle, die das Geschlecht für das Funktionieren ihrer antisemitischen Logik spielt, haben sie gemeinsam. Der Versuch, einem Verständnis des Antisemitismus näher zu kommen, sollte diese Dimension nicht übersehen.

AG Gender-Killer


(1)Diese Idee ist, aus einem anderen Kontext, von Donna Haraway geklaut.
Internet: http://www.antisemitismus-geschlecht.tk

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