"political correctness" - ein Mantra nationaler Erweckung
Brigitta Huhnke über den globalen Diskurs gegen Frauen, Fremde und historische Erinnerung
Die McDonaldisierung hat in den neunziger Jahren auch den politischen Sprachgebrauch erreicht. Eines der assoziationsreichsten semantischen Schlagstöcke: "political correctness", wahlweise auch "politically correct"; ein Medienhype made in USA. Die politischen Auseinandersetzungen werden seit 1989 schärfer geführt, obwohl - oder auch gerade weil - der Wettstreit der Systeme entfallen ist und damit auch die verläßlichen Feindbilder - Kapitalismus vs. Sozialismus - verschwunden sind. Statt dessen hat nun die Sündenbocksuche nach innen Konjunktur. Mit "political correctness" machte zuerst die neue Rechte in den USA Stimmung gegen alles, was seine Ursprünge in der Bürgerrechtsbewegung der sechziger und siebziger Jahre hat. Mit diesem Code trauen sich seit Anfang der neunziger Jahre auch in Deutschland akademisch Vorgebildete - überwiegend männlichen Geschlechts - endlich ihren Kummer von der Seele zu reden. Mit "pc" kann er kurz und knapp alle Übeltäter semantisch unter einem Dach versammeln: nicht nur die Feministinnen, Ausländer, Juden und Schwule, sondern auch diejenigen geraten in "pc"-Verdacht, die sich der selbstbewußten Nation verweigern wollen oder Auschwitz als "Moralkeule" (Walser) einsetzen. Der Markt der Bekenntnisliteratur dieser neuen Bewegung der "politisch Inkorrekten" blüht. Am Pranger stehen - auf Neudeutsch - die "Gutmenschen", also die deutschen Akteure der sogenannten "political correctness".
Die Diskurskarriere von "political correctness" in den USA Diskurse, hier ganz allgemein als Formen öffentlichen Sprachgebrauchs gefaßt, sind nicht zufällig, sondern gesellschaftlich geregelt. Die Präsenz ihrer Inhalte hängt davon ab, über welchen Zugang die Beteiligten zur Macht über die Diskurse verfügen, also das Vorrecht, Ideologien und Konzepte kontrollieren zu können.
Diskursanalytisch ist im konkreten Fall also zu fragen, wie und von wem, mit welcher "Autorität" der "political correctness"-Diskurs organisiert wird. Den ersten Nachweis findet John Wilson in den Akten zu dem Gerichtsfall Chrisholm versus Georgia, der im Jahr 1793 in Georgia verhandelt wurde. Der Bürger Chrisholm wollte damals klären lassen, inwieweit sich die Gleichwertigkeit von Staats- und Bürgerrechten sowie das Recht von Bürgern, den Staat verklagen zu können, auch in der Verfassung niederschlagen sollte. Der Richter James Wilson schloß sich damals dem Standpunkt des klagenden Bürgers an und entschied, es sei nicht "politically correct", auf die "Vereinigten Staaten" den Toast zu erheben, sondern es sollte statt dessen "das Volk der Vereinigten Staaten" sein.1 Doch die Unterstützer der Gegenseite, nämlich die Vertreter der Staatsrechte, waren damit nicht einverstanden und verwarfen diese bürgerrechtsfreundliche Richterentscheidung. Und damit verschwand auch die Redewendung politically correct sehr schnell wieder aus dem öffentlichen Gedächtnis. Erst im 20. Jahrhundert taucht der Begriff wieder auf. Regelmäßig fließt "politically correct" jedoch erst in den 60er Jahren in Diskurse der Neuen Linken ein, als flapsige Phrase zum Zweck ironischer Selbstkritik. Dümpelte "political correctness" noch 1989 mit lediglich 15 Fundstellen in ausgewählten amerikanischen Medien vor sich hin, so waren es 1990 bereits 65 Artikel. Geradezu explosionsartig nimmt diese Wortkarriere dann ihren Lauf, 1991 mit 1.570 Fundstellen, der 1992 fast eine Verdopplung auf 2.835 folgt. Der Anstieg hält auch 1993 mit 4.914 und 1994 mit 6.985 Artikeln noch weiter an.2 Seit 1995 ist von Jahr zu Jahr eine langsame Abnahme zu verzeichnen.
Wie kam es zu dieser Medienkarriere? Die Entwicklung haben mindestens zwei herausragende diskursive Ereignisse beschleunigt: Der New York Times (NYT) Artikel von Richard Bernstein über "The Rising Hegemony of the Politically Correct" vom 27. Oktober 1990 sowie die Stellungnahme des damaligen Präsidenten George Bush in seinen "Remarks at the University of Michigan Commencement Ceremony in Ann Arbor" vom 4. Mai 1991.
Die erste große Welle in den Medien löste der Bernstein-Artikel in der New York Times aus. In seiner didaktischer Anleitung formt der Autor mit "pc" ein neues Meinungspotential, für ein bis dahin noch weitgehend uninformiertes Massenpublikum. Ausführlich hat Lorna Weir das Begriffssystem untersucht.3 So siedelt Bernstein "pc" als untergeordneten Begriff - von "Tyrannei" an, gleichwertig mit den Co-Begriffen "Orthodoxie", "Faschismus" und "Fundamentalismus". Auf der dritten Ebene folgen dann die Hyponyme von "pc", also quasi die untergeordneten Teilmengen von "pc". Das sind: "Auswärtige Politik", "Afrikanisch-amerikanische Studien", "Curriculumveränderung", "Affirmative Action", "Schwulen- und Lesbenforschung", aber auch "Feminismus", "palästinensische Selbstbestimmung" sowie "Attacken auf den Kanon und den Westen". Mit diesen Begriffen spielt Bernstein auf die Bildungsinhalte der amerikanischen Reformbewegungen seit den sechziger Jahren an, die er eindeutig negativ klassifiziert. Die vierte Ebene schließlich verweist auf Institutionen. So bezieht er die "Curriculumveränderung" auf die "Universitäten von Texas und Berkeley", nach Meinung von Konservativen Hochburgen linker Lehrinhalte. Veröffentlichungen der "Modern Languages Association (MLA)" und der "American Historical Association" indiziert Bernstein als Beispiele für "Schwulen und Lesbenforschung".4
Zwar dürfte dem überwiegenden Teil der NYT-LeserInnen bis Ende 1990 die Verwendung von "pc" wenig geläufig gewesen sein, doch ist andererseits anzunehmen, daß der Autor bestimmte Wissensvorräte und Diskurspositionen konservativen Denkens voraussetzen konnte. Mit der neuartigen Anordnung und Verbindung der Hyponyme und Co-Hyponyme von "political correctness", die als Schlüssel- und Reizbegriffe offensichtlich bereits diskursiv verankert waren, konnte Bernstein nun seinem Publikum neue Instruktionen erteilen, rund um die einfache Botschaft: Alles Übel gehört irgendwie zusammen. Bernstein hat also das semantische Feld der Neokonservativen mediengerecht vermessen und ein Leseraster zur Entschlüsselung für künftige "pc"-Verhaltensweisen entwickelt.
Unmittelbar nach dieser NYT-Veröffentlichung stiegen alle größeren Zeitungen des Landes in die Berichterstattung ein, und zwar überwiegend mit gleicher Intention. Eine neuer rechter Sprachschick war geboren.
Der Zeitpunkt der Kampagne war günstig, traf sie doch wie zufällig auf ein anderes wohl kalkuliertes Medienereignis: den Golf Krieg von 1991.
Wenige Wochen danach folgte eine zweite Veröffentlichungswelle, initiiert vom damaligen US-Präsident George Bush. Vor einem Massenauditorium von 60.000 Menschen in Michigan am 4. Mai 1991 verhalf er dem "pc"-Mythos zum nationalen Status. Aus dem Stand militärischer und ethischer Überlegenheit heraus lobte Bush im Frühjahr 1991 in seiner feierlichen Ansprache nicht nur zum wiederholten Male den Sieg der "freien Welt" über den Kommunismus, "unsere" Leistungen in der Ökonomie, die militärische Überlegenheit und Stärke. Gleichzeitig beschwor er neue, bevorstehende Schrecken: "Ironischerweise finden wir zum zweihundertsten Jahrestag unserer Bill of Rights die freie Rede im ganzen Land unter Beschuß, sogar auf dem Campus einiger Colleges ... Die Vorstellung der political correctness hat Kontroversen im ganzen Land entzündet. Und obwohl diese Bewegung aus dem lobenswertem Wunsch hervorgegangen war, die Trümmer des Rassismus, des Sexismus und des Hasses wegzuräumen, ersetzt sie alte Voreingenommenheit durch neue. Sie erklärt bestimmte Themen für verboten, bestimmte Ausdrücke für verboten, ja sogar bestimmte (körperliche) Bewegungen für verboten. Was als Kreuzzug für die Zivilisation begann, hat sich in eine Konfliktursache und sogar in Zensur verwandelt." Bush konstruiert hier "freie Rede" und "pc" also als unvereinbare Gegensätze. Bei der Bezeichnung der Akteure der "political correctness" bleibt er jedoch vage, auch in der weiteren Rede tauchen sie nur ganz allgemein im Gegensatz zu "wir" und "uns" - also den US-NormalbürgerInnen - nur als "sie" und "ihre" auf, wie auch das folgende Beispiel zeigt: "Sie haben Leute ermutigt, nach Beleidigungen in jedem Wort, jeder Bewegung und Aktion zu suchen. Und auf ihrem eigenen Orwell'schen Weg zerstören Kreuzzügler, die korrektes Verhalten fordern, Verschiedenheit im Namen der Verschiedenheit". Diese anonyme Masse der "Anderen", derer es sich zu erwehren gilt, agiert auf dem Gebiet der Tyrannei: "Und politische Extremisten durchwandern das Land, mißbrauchen das Privileg der freien Rede, versetzten Bürger in Gegnerschaft auf der Basis ihrer Klasse oder Rasse ... So laßt uns zurückschlagen, gegen die langweilige Politik der Spaltung und Lächerlichkeit."5
Mehr Präzision war nicht nötig, da eine ausführliche Periode des "sozialen Lernens", mit Hilfe der Medien dieser Rede bereits vorangegangen war. "Political correctness" war bereits ein etabliertes Mantra, mit dem sich in bestimmten Wissensfeldern Sehen steuern, Debattieren, Denken und Schreiben organisieren läßt.
In den USA sind Rechtskonservative mittlerweile auch mit einer demokratischen Regierung in der Lage, die äußerst effektive Medienmanipulation in handfeste Politik zu verwandeln, applaudiert vom Mainstream der Medien. Sie stellen nicht weniger als die Partizipation von Frauen und ethnischen Minderheiten allgemein in Frage. Die jahrelange Kampagne gegen Affirmative Action Programme zeigt langsam bedrohliche Wirkungen. Auch der amtierende US-Präsident Bill Clinton wurde immer wieder der "political correctness" bezichtigt: Die Hatz der Republikaner gegen ihn, die im Impeachment-Verfahren gipfelte, dokumentiert, wie enthemmt die "pc"-Paranoia in den USA wütet. Dennoch, trotz aller Enttäuschungen, die dieser Präsident insbesondere Frauen und Minderheiten wegen mangelnder Reformbereitschaft bereitet hat, unterstützen Clinton alle prominenten Feministinnen. Und die Nobelpreisträgerin Toni Morrison warnte 1998: "Er weiß, was Rassismus diesem Land angetan hat, und er bekämpft ihn. Wir sind in einem dramatischen Übergang, und Clinton ist ein Präsident dieses Überganges. Und wenn er geht, wird es blutig."6
Der kulturpolitische Nährboden in der Bundesrepublik
In der Bundesrepublik blasen Vergrämte seit 1991 zur Phantomjagd. Als erster gravierender Unterschied zur Situation in den USA ist festzuhalten: Eine vergleichbare Wortgeschichte läßt sich im politischen Sprachgebrauch der Bundesrepublik nicht nachweisen, Die Wendung "political correctness" oder gar "politically correct" war bis Anfang 1991 im deutschen Sprachgebrauch völlig unbekannt. In den achtziger und neunziger Jahren kam es insgesamt zu gewaltigen Verschiebungen im öffentlichen Diskurs und offensichtlich auch zu stark veränderten Wahrnehmungsmustern. Wie ist es sonst zu erklären, daß unbemerkt Schlagworte wie "Demokratisierung", "Gleichberechtigung", "Emanzipation", "soziale Verantwortung" oder auch "Solidarität" völlig verschwinden bzw. negative Konnotationen provozieren, dafür aber andererseits der gegenwärtige "Umbau des Sozialstaates" wahlweise auch "Verschlankung des Staates" genannt, keine Rebellion provozieren? Auch die ursprüngliche Bedeutung von "Reform", ein Schlagwort aus der sozialliberalen Ära, wird ins Groteske verdreht als Euphemismus (Reform der Sozialhilfe, Reform der Renten, Steuerreform) für eine gigantische soziale Umverteilung von unten nach oben. Diese Akzeptanz haben Akteure aus Medien und Politik gemeinsam gefördert.
Im deutschen Sprachgebrauch ist "political correctness" eng mit dem "Gutmenschen" verknüpft. Voller Stolz beanspruchte Ende 1997 Kurt Scheel, Mitherausgeber der konservativen Zeitschrift Merkur, Anfang der neunziger Jahre Schöpfer dieses Unwortes zu sein.7 Die "Gutmenschen" sind solche, die "Moral" und "Denkverbote" verteidigen. Doch bereits 1981 führte Botho Strauß das negativ konnotierte "Gute" ein, in seiner Episodensammlung "Paare Passanten". Anders als in den USA, wo Mitglieder der amerikanischen Bürgerbewegung sowie Angehörige von ethnischen Minderheiten und Frauen zumindest an den liberalen Universitäten vertreten sind, fehlt in der Bundesrepublik ein entsprechendes akademisches Hinterland. Hier ist der typische Hochschulprofessor männlich und erfüllt das Reinheitsgebot über "deutsches Blut". Auch fehlt in der Bundesrepublik eine vergleichbare kulturkritischer Gegenöffentlichkeit, bzw. die Existenz ausgeprägter Subkulturen.
Die Debatte setzte also insgesamt einige intellektuelle Stufen niedriger als in den USA ein. Nicht so sehr rechte Professoren vom Campus, sondern beflissene Journalisten boxten das "pc"-Plagiat über die Feuilletonseiten in den öffentlichen Diskurs.
PC-Jagd setzt sich in den Massenmedien durch
Das erste günstige Diskursumfeld für die unmittelbare Übernahme von "political correctness" bot sich während des Golfkrieges 1991. Noch im Frühjahr 1995 empört sich Focus über pazifistische Standpunkte: "KORREKTE Erregung: beim Golfkrieg probte die pc-Fraktion Geschlossenheit."(Focus 15.4.1995) Wenige Wochen nach dem Golfkrieg, also etwa fünf Monate später als in den USA kam der "pc"-Diskurs auch in Deutschland in Gang.
Die Vorreiterrolle scheint die FAZ übernommen zu haben. Sie machte ihre Leser mit dem modischen Anglizismus "politically correct" erstmals umfassend am 6. März 1991 auf einer halben Zeitungsseite vertraut: "Napoleon der Nasendieb. Amerikas Universitäten büßen die Sünden des Westens." In dieser Art didaktischen Anleitung, immerhin zwei Monate vor der berühmten Bush-Rede, benötigt Jörg v. Uthmann zehn lange Absätze, um die beliebtesten Geschichten und Behauptungen über verfolgte Professoren, unverschämte Minderheiten und aus dem Ruder laufende Frauen zusammenzutragen, die zuvor bereits unzählige Male durch den amerikanischen Blätterwald gejagt worden waren. Sein Bemühen um Verallgemeinerung und klare Feindbildpositionierung wird spätestens im zweiten Abschnitt deutlich: "Das Smith College ist nicht die einzige amerikanische Hochschule, die die Frauen und die Schwarzen, die Häßlichen und die Dummen unter ihre Fittiche nimmt. An mindestens 125 amerikanischen Universitäten gibt es ähnliche Anstaltsordnungen, die den minorities ihren besonderen Schutz angedeihen lassen." Und gegen Ende dokumentiert v. Uthmann noch einmal sein journalistisches Know how, nämlich komplexe Zusammenhänge für die Gefühle des FAZ-Lesers aufzubereiten: "Mag der Marxismus in Osteuropa auch ausgedient haben, an den amerikanischen Hochschulen erfreut er sich ungebrochenen Respekts. Während die Mehrheit der Frauen vom radikalen Feminismus längst nichts mehr wissen will, konnte man sich auf dem letzten Kongreß der 'Modern Language Association' in Chicago über Themen belehren lassen wie 'The Lesbian Phallus - Or: Does Heterosexuality Exist?' Der gelehrte Wortschwall und die der französischen Dekonstruktion entlehnte Geheimsprache dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß es hier auch um Machtfragen geht." Auf nur sechzehn Zeitungszeilen erklärt er so, wie kopulationsunwillige Frauen mit dem Marxismus und neuen Theorien des Teufels konnotiert werden können. Und auch die rassistische Werteskala hat er offensichtlich parat. So lobt er am Schluß die Asiaten, weil die im Gegensatz zu den Afro-Amerikanern versuchen würden, sich "die Spielregeln des American way of life so schnell wie möglich anzueignen".
Es folgen dann einschlägige Berichte in der Süddeutschen Zeitung, ebenfalls 1992 dann im Spiegel, taz und relativ spät in Die Zeit. Diese Blätter übernehmen weitgehend das FAZ-Raster. Interessant ist bisweilen jedoch der Grad der Irrationalität, der sich in diesen "pc"-Konstruktionen aufs Papier bricht. Zu den exponiertesten Vertretern gehört Dieter E. Zimmer. In seinem Pamphlet "PC oder: Da hört die Gemütlichkeit auf"(Die Zeit 22.10.1993), ein gutes halbes Jahr nach dem völkischen Manifest "Anschwellender Bocksgesang" von Botho Strauß, nimmt sich Zimmer über zwei Seiten in der Zeit mit Verve die "neue Tugenddiktatur" vor. Nach besten Kräften feminisiert er das Phantom: "Die PC ist unbarmherzig dichotomisch: Was nicht politisch korrekt ist, ist eben unkorrekt. Grauzonen des Zweifels räumt sie nicht ein, Zickzackprofile gehen über ihren Horizont: Wer das Lager der PC in einem Punkt verläßt, wird sofort in das des Feindes eingewiesen. Sie ist zudem durch und durch moralisch: Das Inkorrekte ist nicht nur falsch, es ist böse. Da hat sie sich eine wunderbare Unschuld bewahrt: Daß die größte Rechtschaffenheit manchmal nur Schlimmes anrichtet und daß manchmal leider Schlimmes geschehen muß, um Schlimmeres zu verhüten, ist ihr noch nie aufgefallen. Es verblüfft, wie schnell und schlafwandlerisch sicher die PC, obwohl in erster Linie ein diffuses Gefühl, zu ihren glasklaren Unterscheidungen kommt." Wieder fehlen sie, die realen "pc"-TäterInnen aus Fleisch und Blut, die auch bis zum Ende nicht auftauchen: "Das Fatale an der PC, so scheint es mir, ist nicht, daß da diskutiert wird, und zwar hart; sondern daß manche Diskussionen von vornherein gar nicht stattfinden können oder höchstens in Form von Schauprozessen." Und Zimmer über Minderheiten: "Daß beispielsweise manchmal auch von Türken Verbrechen begangen werden, wird besser verschwiegen; es wäre ja nur 'Wasser auf die Mühlen'. Niemand, dem ein bestimmtes tuntiges Benehmen eines bestimmten Mitbürgers mißfällt, hielte der Gegenfrage stand: 'Du willst also die Schwulen wieder ins KZ stecken?'".
Ab Mitte der neunziger Jahre wetteifern Der Spiegel und Focus mit den phantastischsten "pc"-Sagen, die ebenfalls nie originell sind, auf keinerlei Quellen und nur sehr selten auf reale Personen verweisen, wie folgende Beispiele zeigen. Im Sommerloch des Jahres 1994 liefert der Spiegel8 den Kulturaufmacher: "Sprache - Dickwanst im Dunst" (Der Spiegel 11.7.1994) mit folgenden "pc"-Plagiaten: "Während die einen auf Taubenstelzen gehen, ziehen die andern vom Leder. An den US-Universitäten meutern Frauen und Schwarze gegen die Herrschaft des weißen Mannes; jeder Ethno-Clan schürft nach seinem Kyffhäuser, nach seiner eigenen Geschichte; nieder mit dem 'Eurozentrismus', es lebe der Zirkus Multikulti, der Balkan". Diese schlicht rassistische Konstruktion ergänzt im anschließenden Spiegel-Interview 'Ein Lügengespinst'" der Ethnologe Hans Peter Duerr, auch ein "erklärter Gegner der politisch Korrekten" mit seiner Paranoia über Frauen: "'Political Correctness' ist ein Lügengespinst, das einen rigiden und humorfreien Persönlichkeitstypus schafft - den Typ des Dauerempörten, der nur darauf wartet, Protest abzusondern und zu bestrafen. Dazu gehören auch chronisch gekränkte Feministinnen, die ständig - bewußt oder unbewußt - auf der Lauer nach Macho-Sünden liegen. Dadurch wird eine Atmosphäre von Unfreiheit und Haß geschaffen, die jede zwischenmenschliche Kommunikation zerstört."
"Pc" ist natürlich auch Focus-Lesern schon als Redewendung zur Feindmarkierung bekannt. Doch erst im Frühjahr 1995 kommt es zu einem umfassenden Focus-Report über "Die Guten auf dem Kriegspfad"(Focus 15.4.1995), aber viel länger und schöner erzählt, als es Der Spiegel je könnte, sowie auf alle Themen bezogen, die rechte Gemüter bewegen. Hier nur ein paar Auszüge: "Das Moderne Nachrichtenmagazin" knöpft sich erst einmal die "Gesellschaft für deutsche Sprache" vor, die regelmäßig das Unwort des Jahres bekannt gibt. Dann folgen zwar auch ein paar moderne Sagen "von drüben", doch der Schwerpunkt liegt auf Deutschland. Den nationalen "pc"-Opfern will Focus ein Denkmal setzen. Wie man den "Terror der Gutwilligen" erkennt, erklärt Focus-Autor Michael Klonovsky in einer Art didaktischen Anleitung: "Politisch Korrekte fallen dadurch auf, daß sie unentwegt nach politisch Unkorrekten fahnden. Während für die aktuellen Unworte in Deutschland eine Sprachjury zuständig ist, entscheidet über aktuelle Unpersonen die politisch korrekte Medienöffentlichkeit. 'Rassist', 'Faschist', 'Frauenfeind', 'Ausländerfeind' oder 'Geschichtsrevisionist' lauten die gängigsten Unterstellungen, welcher sich die einheimische pc-Hatz zur Markierung ihrer Jagdziele bedient". Auch im "Intelligenzblatt" der Deutschen, in der FAZ, geht die Jagd weiter, lange schon nicht mehr nur im Feuilleton sondern auch in Leitkommentaren auf Seite eins. Eine Zeit lang taucht der Neusprech - bereits auf den ersten Blick erkennbar - kursiv gedruckt in allen möglichen politischen Zusammenhängen auf.
Ab Mitte 1997 setzt sich - maßgeblich über die dpa die deutsche Bezeichnung "Politische Korrektheit" 9 durch. Eine klare Entscheidung für Groß- und Kleinschreibung ist nicht auszumachen, beliebt sind monströse Abwandlungen wie "Zeitalter der 'politischen Korrektheit'" oder auch "im Zeitalter der 'politischen Korrektheit'"10 sowie ""in den Zeiten der politischen Korrektheit"11. Gerade solche dpa-Schablonen landen nicht unbedingt am nächsten Tag im Papierkorb. Vielmehr gestalten mit dieser Art von "Hintergrundberichten" insbesondere kleinere Tageszeitungen oft ihre Wochenendseiten oder füllen damit das "Vermischte". Wie geballter "pc"-Unsinn bis ganz unten, in der Provinz ankommt, zeigt ein Einblick in die Mainzer Rhein-Main Zeitung vom 23.9. 1997. Die Verfasserin nimmt die erste Sendung des Greenpeace TV auf RTL zum Anlaß: "Die Welt ist schlecht. Und Sandra Maischberger bläst uns jetzt mal so richtig den Marsch: ... Der Themenkreis umfaßte - leider - jede Menge sattsam bekannte Sorgen ... Nur, wer mag noch kurz vor Mitternacht einer Moderatorin zuhören, deren Bandbreite zwischen anmaßend und besserwisserisch liegt? Hat jemand Lust, sich zu dieser Stunde noch ein paar knallharte Schocker um die Ohren prügeln zu lassen? Greenpeace TV ist Fernsehen für Gutmenschen, die ohnehin schon korrekt leben."
Die Jagd auf "Gutmenschen" im extremistischen Mittelfeld
Ab 1993 entsteht ein dichtes Netz von Zitierkartellen der Anti-"pc"-Liga. Der patriarchale Bocksgesang hat viele ermutigt, sich endlich laut die Störenfrieden der selbstbewußten Nation vorzunehmen, den "Gutmenschen" mit ihren "Denkverboten" die Leviten zu lesen. Eckhard Henscheid verkündet in der FAZ, "political correctness" sei "die Pest unserer Zeit"(FAZ 7.3.1994). Klaus Bittermann und Gerhard Henschel, die ein Jahr nach dem Bocksgesang 1994 Das Wörterbuch des Gutmenschen herausbringen, erheben den imaginierten Feind zu einer machtvollen Bewegung, den es im gemeinsamen Schulterschluß zu bekämpfen gilt. Dazu gehören "Rechtskonservative", "Linksradikale" und "Wirtschaftsliberale". Es sind überwiegend Journalisten, von denen viele bei FAZ, Spiegel, taz oder Funk und Fernsehen in Lohn und Brot stehen. Sie kündigen nicht etwa eine Analyse des regierungsamtlichen Rechtsrucks und Rassismus an oder beschreiben die Folgen des Sozialabbaus. Ihnen brennt Dringenderes unter den Nägeln, die Abrechnung mit alten Zeiten und Idealen. Sie wollen sich gegen "das öffentliche Meinungspetting wider die deformierte Natur" und gegen den "Jargon der Brüderlichkeit (neuerdings auch gerne und noch korrekter: Geschwisterlichkeit)" wehren. Gleich im Vorwort outen die Herausgeber keinen Geringeren als Heinrich Böll, den sie posthum zum geistigen Urvater der "Gutmenschen" erklären. Wohl kein anderer bundesdeutscher Schriftsteller ist in der Bundesrepublik bis zu seinem Tode so verleumdet und von den Staatsorganen traktiert worden wie Heinrich Böll. Wurden damals aber die Hetzjagden von der CDU initiiert, wird er nun zehn Jahre nach seinem Tod von den "Gutmenschen"-Jägern zur Unperson erklärt: "Seit Heinrich Böll sein Regiment als kritisch-sympathisch-christlich durchwirktes 'Gewissen der Nation' entfaltet hat, nur in den frühen 70er Jahren vorübergehend angefochten, doch nicht ernstlich gefährdet von der hippiesken Pop-Version, gilt unverbrüchlich: Der gute Mensch plaziert sich am geschicktesten mit Nesselhemd und selbstgestrickter Mütze vor Raketenrampenzäunen, mit dem Grundgesetz und dem Neuen Testament unterm Arm." Auch im folgenden liest sich diese einleitende Schmährede wie der ungezügelte innere Monolog depravierter Männerseelen. Durchgängig sind die aufgeblähten Nebensatzkonstruktionen mit Sprachklischees gespickt:: "Der innere Reichsparteitag, den ein beliebiger Gutmensch angesichts einer Lichterkette oder beim Aufbrechen verkrusteter Strukturen empfinden mag."12usw. usw.
PC-Jagd im Kontext nationaler Erweckung
Die "pc"-Legenden etablieren sich in den Medien und im politischen Diskurs etwa zeitgleich mit der Rezeption des Traktats Anschwellender Bocksgesang (Der Spiegel 8.2.1993) von Botho Strauß, das richtungsweisend für die rechtsnationale Bewegung der "selbstbewußten Nation" wurde. Doch auch Strauß - der zu den erfolgreichsten Theaterdichtern in Deutschland gehört, hat sich nicht einfach über Nacht zum rechten Geist bekehrt. Sein nationales Raunen geistert ebenfalls bereits in den achtziger Jahren durch Strauß-Stücke. Schließlich erschien ihm zu Ehren dann 1994 der von Ulrich Schacht und Heimo Schilk herausgegebene Sammelband Die selbstbewußte Nation im Ullstein Verlag. Dieses Werk wurde zwar Mitte der neunziger Jahre ausführlich in den Medien diskutiert, aber nie als Fundgrube für Konstruktionen des Frauenhasses erkannt. Ernst Nolte gibt in seinem Beitrag "Links und Rechts" noch mal Einblicke in seine bekannten Revisionen deutscher Geschichte, entdeckt aber auch einen neuen Feind, den Feminismus, zunächst im Zusammenhang mit dem "Anti-Okzidentalismus". Nach längerem Nachdenken kommt er dann auf eine ganz neue Gefahrenverbindung: Nichts weniger als die "Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Deutschen" würde der Feminismus instrumentalisieren13. Für diese Verbindung gebührt Nolte das geistige Patent. In gleicher Richtung ist auch Rainer Zitelmann unterwegs, mit "Position und Begriff. Über eine demokratische Rechte". Von ihm ist erst einmal zu lernen, daß Hitler eigentlich links stand.14 Heute aber sieht er den Hauptfeind ebenfalls im Weiblichen. Allerdings hält er die Frauen selbst für relativ unfähig, diese Bewegung zu führen: "Der Marxismus hat kaum noch Attraktivität, aber im Feminismus ist eine neue Ideologie mit dem utopischen Anspruch auf Schaffung eines 'neuen' Menschen entstanden. Es wäre falsch, im Feminismus eine nur auf Frauen beschränkte Ideologie zu sehen. Natürlich wird es niemals eine 'Herrschaft der Frauen' geben, so wie es ja auch in Wahrheit niemals eine 'Diktatur des Proletariats' gab. Wie einstmals vor allem bürgerliche Intellektuelle maßgeblich und führend in der 'Arbeiterbewegung' wirkten, so sind auch heute Männer oft die radikalsten FeministInnen."15 Pfiffig wissen Michael Behrens und Robert v. Rimscha in ihrer buchstarken Ausarbeitung "Politische Korrektheit in Deutschland. Eine Bedrohung für die Demokratie" das Gedenkjahr 1995 zu nutzen. Ganz im Duktus der "Wörterbuch"-Herausgeber holen sie aus: "PC beginnt, Werte im Kern dieser Gesellschaft auszuhöhlen. Sie macht kopflos. Daß PC keine Verschwörung ist, daß sie schick ist, daß PC infiltriert, mehr aber noch diffundiert - das macht sie erst gefährlich ... PC kommt honorig daher - daß aber geraubt und gestohlen wird, merkt man nicht so schnell. Ohne Freiheit aber fehlt der Kopf. Political Correctness ist, wenn man sich wünscht, daß die Welt gut ist. Die Welt ist gut, wenn alle nett zueinander sind. Das Nettsein mißt sich an einer politischen Etikette, eben den Reglements der PC."16 Der "Bocksgesang" ist auch für sie "programmatischer Urtext".17 Sie fürchten aber: "Botho Strauß wird einsam bleiben", das Volk ist eben noch nicht reif. "Weil er das weiß, leidet er an der wertlosen Masse nicht minder als am wertfreien Staat."18 . Sie empören sich über das Deutungsmuster "Befreiung" und sind dabei, wie originell, auf Heinrich Böll als Übeltäter gestoßen.19 Und sie haben auch ihre eigene Begriffsgeschichte: "Noch bevor der Begriff Political Correctness in den Vereinigten Staaten etabliert war, rührt sich sein deutsches Pendant, die Historische Korrektheit. Unter diesem Vorzeichen wurde der Kampf zwar nicht geführt, aber im Rückblick muß man den Historikerstreit als erste große, von Experten und Kommentatoren mit einem dogmatischen Verbindlichkeitsanspruch ausgetragene Auseinandersetzung um die Interpretation deutscher Vergangenheit und damit Deutschlands Zukunft begreifen."20 In diesem Sinne werden weitere gedankliche Verknüpfungen aus dem antikommunistischen Jargon ausgegraben, beispielsweise: "NS-Arbeitslager wie21 Arbeitslager in der Sowjetunion".
In der FAZ vom 7. April 1995 hatten 120 Unterzeichner, fast alles alte männliche Bekannte aus dem rechtskonservativen und völkischen Umfeld mit der Anzeige "Gegen das Vergessen" aufrütteln wollen und hatten damit in erster Linie die vertriebenen Deutschen der ehemaligen Ostgebiete sowie Wehrmachtssoldaten gemeint. In seinem Promotion-Artikel für diese Anzeige wettert Eckhard Fuhr in "Überwunden, nicht befreit" auf Seite eins gegen diejenigen, die den Tag als einen der Befreiung feiern wollen: "Seitdem aber konservative Intellektuelle und Politiker in einem Aufruf an diese Ambivalenz des 8. Mai erinnern und sich dagegen verwahrt haben, diesen Tag einseitig als Tag der Befreiung zu feiern, sind diese Selbstverständlichkeiten zum Politikum und zu einer Frage der political correctness geworden. Es kommt in Deutschland sehr darauf an, wer politische oder historische Wahrheiten ausspricht."(FAZ 11.4.1995) Als mit dieser Macht Paktierende werden Ignatz Bubis und Rita Süssmuth geoutet.
'Argumentationshilfe' holen sich Behrens/ v. Rimscha explizit auch von Wiglaf Droste, der "Ausländerfreundlichkeit" als "das Lebenselixier der 'Gutmenschen'" entdeckt hatte. Anschließend stellen die beiden fest: "Die Diskussion über Ausländer hat genauso ihre Ursache in der Historischen Korrektheit wie die Behandlung aller jüdischer Lebensbereiche."22 Damit ist das semantische Feld des Neo-Antisemitismus beackert, die Wahrnehmungsmuster für die kommenden Debatten sind geformt: für die Medienhatz gegen Daniel Goldhagens Untersuchung "Hitlers willige Vollstrecker" ebenso, wie die Rechtfertigungsargumente für Martin Walsers antisemitische Brandstifterrede. Künftige Diskurse können fortan im extremistischen Mittelfeld der "Normalität" geführt werden.
Unermüdliche Kämpfer gegen "die pc" haben seit Jahren auch im völkischen Zeitungsprojekt Junge Freiheit ein Forum. Seit April 1996 hat das deutschnationale Wochenmagazin sogar eine extra "pc"-Ecke eingerichtet, versehen mit der Überschrift "Angriffe auf die Freiheit" und dem der "Atomkraft-Nein-Danke-Plakette" nachempfundenen Logo "Politisch korrekt. Nein Danke", das auch käuflich bei der Redaktion erworben werden kann. Einer, der frenetisch gefeiert wird, weil er sich den "PC-Blockwarten" widersetzt, ist Harald Schmidt23.
Ähnlichkeiten sind natürlich rein zufällig. Aber auch Der Spiegel fand Ende 1997 ein Logo, nämlich "Wanted". Damit wurde der Bericht "Alles korrekt" Ende 1997 versehen und der Zustand der "political correctness" inspiziert: "Seit es keine Zigeuner, Juden, Krüppel und Negerküsse mehr gibt, sondern nur noch Sinti und Roma, jüdische Mitbürger, Behinderte und Dickmanns, ist die deutsche Sprache ungeheuer korrekt und das deutsche Denken ungeheuer kompliziert geworden." Es geht dann im folgenden nicht etwa um die zynischen Sprachregelungen der Bundesregierung zur Entsorgung der sozialen Frage. Der namenlose Autor empört sich vielmehr über neue Umgangsformen bei der Polizei, wonach bei Personenbeschreibungen künftig auf "negroid" oder "orientalisch" zu verzichten sei. "Sogar so harmlose Zuordnungen wie 'slawisch' und 'südländisch' dürfen nicht mehr verwendet werden. Und bei Frauen soll die Unterscheidung zwischen 'vollbusig' und 'flachbrüstig' unterbleiben".24
"Sex Sucks": Patriarchale Paranoia vereint rechts und "links"
Wie wenig die Angst vor dem Weiblichen auch das kleine Grüppchen aufrechter Altlinker verschont, dokumentiert immer mal wieder das linke Männermagazin konkret. Mit seiner Abrechnung "Sex Sucks. Über einen Fall peniszentrierter Radikalität" gab Anfang 1998 Karl Pawek eindrucksvoll Einblick in die Tiefe seiner Phobie. Die PorNo-Kampagne in den achtziger Jahren habe die allgemeine Zensur verschärft, lesen wir. Wie die FAZ - nur ein paar Jahre später - die "sexuelle Korrektheit"25, verleiht Pawek dem Konstrukt mit der Epochenbezeichnung "Zeitalter der sexuellen Korrektheit" jedoch seine Note. Pornoliebhaber Pawek schöpft außerdem aus dem Vollen der modernen "pc"-Sagen, die weltweit kursieren. Und da Geschlecht bekanntlich öfter Klasse schlägt, wird ihm der ultrakonservative Richard Bernstein zum Gewährsmann und dessen "Diktatur der Tugend" zur Richtschnur. Doch da heute alles möglich ist, wird das Ganze auch noch mit ein paar vulgärmarxistischen Glaubenssätzen verbrämt: "Pornophobie wurzelt in einem tiefen Mißtrauen gegen Sex, in der Angst vor Sexualität, und ist..., zugleich konservativ und apolitisch. Es sind die ökonomischen, sozialen, rechtlichen, familiären Verhältnisse und nicht 'Männerphantasien' ... die Gewalt und Diskriminierung hervorrufen." Was soll Frau dazu noch sagen, vielleicht damals eine Abokampagne für Wichsheftchen starten, um Kohl und Kapital zu kippen? Pawek jedenfalls setzt "Pornographie mit Anarchie" gleich. Dafür hat er die Tagesaufzeichnungen des tolldreisten Frauenumlegers Walter aufgetan und dessen "peniszentrierte Radikalität" entdeckt: "Walter lebte und beschrieb mit tödlichem Ernst sein Leben als Fallstudie eines Mannes, der den Mut und die Mittel besaß, ganz und gar nur Schwanz zu sein." Zwei Monate später verteidigt Pawek vehement die Pornofilme im deutschen Privatfernsehen und vergißt auch hier das Mantra nicht: "Die moderne Fürsorglichkeit der nichtstaatlichen Schützer von Moral, Umwelt, Tieren, Frauen und Kindern dagegen fordert 'Korrektheit', ohne die ökonomischen und politischen Ursachen des 'Unkorrekten' wirklich in Frage zu stellen ..."26 Der Feind sitzt nicht nur in der Hamburger Anstalt für neue Medien, sondern auch im Verband Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), der eine "Verkrampfung" der Filme bewirke, weil "keine Schamlippe, kein erigierter Penis, kein Samentropfen zu erkennen sei." Selten traf er so richtig, der alte Spruch der Frauenbewegung, wonach die verklemmtesten Männer in der deutschen Linken anzutreffen sind.
Brigitta Huhnke
Ein Buch von Brigitta Huhnke zum Diskurs der "political correctness" sollte ursprünglich im Elefanten Press Verlag erscheinen, wird jetzt aber im Herbst bei einem anderen Verlag herauskommen.